Kapitel 28 ~ Need For Speed

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Erschöpft ließ sich Mia ins Gras fallen.

Sie hatte ihr Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, eingehalten.
Nachdem sie ein paar Runden gejoggt war, hatte sie sich einen Parkour mit Hütchen aufgebaut und dribbeln geübt.

Dann hatte sie Pässe trainiert.
Als Außenverteidiger musste man auf lange und kurze Strecken zielsicher zum Mitspieler passen können.
Sie hatte die Hütchen auf der ganzen Wiese verteilt und dann zu ihnen geschossen.

Schließlich hatte sie beschlossen, das Training für heute sein zu lassen. Am Abend könnte sie mit ihrem Vater vielleicht ein Match schauen und lernen die Spielweise zu analysieren.

Mia fuhr mit dem Fahrrad durch den Wald. Die Hütchen und den Ball hatte sie in ihrem Rucksack verstaut.

Plötzlich hörte sie Geschrei.

Sie bremste scharf, sodass der Hinterreifen über die Erde schlitterte.
Sie hatte eine ungute Ahnung woher die Laute kamen...

Manchmal verfluchte sie ihre Neugierde.
Vorsichtig fuhr sie näher an die Lärmquelle heran. Irgendwann endete der Wald und sie lehnte ihr Fahrrad gegen einen Baum.
Sie machte noch ein paar Schritte vor und spähte hinter einem Baumstamm hervor.

Vor ihr breitete sich eine Wiese aus. Ziemlich mittig stand ein gut konstruiertes Baumhaus und etwas weiter entfernt befand sich das Haus in dem die Besitzer wohl wohnten.

Mia bewunderte die gute Bauweise des Holzgebäudes. Doch lange würde dieses Haus nicht mehr im Baum hängen.
Ein paar Jugendliche machten sich soeben daran, es anzugreifen.
Sie sahen bedrohlich aus, der eine hatte sogar eine Motorkreissäge.

Beim allmächtigen Motoröl!
Das war doch tatsächlich der dicke Michi mit den Unbesiegbaren Siegern.

Mia begann sich am Arm zu kratzen. Hoffentlich entdeckten die sie hier nicht.
Mia blickte nochmal zu dem Baumhaus.
Schade darum...

Und dann sah sie ein Totenkopftuch aufblitzen.
Konnte das sein?
Sie sah genauer hin und bei einer Wasserschießkanone stand doch tatsächlich Vanessa. Dann entdeckte sie auch Anna unter der Menge.
Und augenblicklich machte alles total Sinn.

Die Kerle verteidigten ihren Stützpunkt tapfer und irgendwie bekam Mia ein seltsames Gefühl im Bauch.
Es wäre sicher lustig gewesen da mitzumachen. Mit den Wasserkanonen auf die Unbesiegbaren Sieger zu schießen hätte bestimmt Spaß gemacht.
Diese Tyrannen zu bekämpfen wäre sicher auch nichts Schlechtes.
Und in vielen Jahren werden sie sich an den Tag zurückerinnern, an dem sie ein Baumhaus zu einer Festung umgebaut und den dicken Michi persönlich in die Flucht geschlagen haben.

Mia legte den Kopf schief.
Sie sah wie ihre Freundinnen (waren sie überhaupt Freunde?) die Zeit ihres Lebens hatten.
Sie wandte sich ab.
Sie hatte genug gesehen.

Mit gesenktem Kopf lief sie zu ihrem Fahrrad, stieg auf und fuhr los. Sie trat fest in die Pedale und als sie bei der entscheidenden Kreuzzung ankam, weiter in den Wald oder Richtung nachhause, musste sie nicht lange überlegen.
Sie fuhr auf Wegen, die schlecht befahrbar waren und erkundete ein paar neue Orte.

Sie und ihr Rad.
So wie es immer war.
Sie brauchte niemanden.
Sie war allein.
Und das machte sie glücklich.
Sie konnte im Alleingang alles schaffen, was sie wollte.
Sie brauchte niemanden sonst.
Sie ging ihren Weg solo.
So wie es sein sollte.

Doch das Fahrradfahren ließ sie nicht so aufblühen wie sonst. Normalerweise waren es diese Momente, in denen sie sich fühlte, als würde sie im Augenblick leben.
Doch da war eine Leere in ihr, die nicht gefüllt werden konnte.

Mia schüttelte den Kopf, um all diese Gedanken zu vertreiben.

Sie riss den Lenker herum und machte eine scharfe Kurve. Dann trat sie so fest in die Pedale wie sie konnte.
Sie musste auf andere Gedanken kommen und um das zu schaffen war ihr Fahhrad einfach zu langsam.
Sie brauchte etwas Schnelleres.
Sie hatte eine Sehnsucht nach hohem Tempo.

Und ohne wirklich darüber nachzudenken, führte ihr Weg sie zur Kartbahn.

Auf der Wiese neben der Rennstrecke sprang sie von ihrem Rad ab und ließ es fallen. Sie ging zu der kleinen Hütte, in der sie den Besitzer vermutete. Doch anstatt dass sie ihn dort vorfand, lag er auf einem Liegestuhl vor dem Häuschen.
Er hatte einen Sonnenhut und eine Sonnebrille auf. Als er sie sah, nahm er die Brille ab.

„Mia!", rief er freudig.
„Hallo", grüßte sie lächelnd, wenn auch etwas verlegen.
„Ich hab mich schon gefragt wann du wieder die Geschwindigkeit vermisst. Du fährst doch nirgendwo anders, oder?", fragte mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
„Das würde ich niemals wagen! Das ist die beste Kartstrecke in der Umgebung", sagte Mia während sie zu den Leihkarts schlenderte.

Sie schob es zur Startlinie.

„Ist doch in Ordnung, wenn ich ein paar Runden dreh, oder?", fragte sie nochmals.
„Natürlich, tob dich aus!"
Der Blick des Besitzers, Carlos, fiel auf das Kart. Es war hauptsächlich schwarz, hatte aber einige grüne und weiße Elemente.
„Du nimmst dir immer das", stellte er fest.
„Ist mein Lieblingskart", sagte Mia schulterzuckend.
„Vielleichst brichst du damit den Streckenrekord", meinte Carlos.
„Streckenrekord?", fragte sie.
„Unter einer Minute hat noch keiner die Strecke geschafft", erklärte er grinsend.
„Unter einer Minute?! Das Ding hat maximal 10 PS, das schafft doch niemand!"
„Versuchen kann man's ja... Ein Deal; Wenn du es schaffst, bekommst du das Kart."

Mia sah ihn ungläubig an.
„Das meinst du doch nicht ernst", sagte sie erstaunt.
„Doch, warum nicht. Wie du gesagt hast, das schafft sowieso keiner", meinte Carlos.
„Na schön, Herausforderung angenommen."
Carlos grinste, da er wusste, dass dieses Mädchen einer Herausforderung nie wiederstehen konnte.

„Aber dir muss klar sein, dass diese Regel für alle gilt. Du könntest die Herausforderung und oder das Kart verlieren."
Mia schnaubte.
Carlos wusste, dass sie eine schlechte Verliererin war.

„Einverstanden."

Mia holte sich einen Helm und setzte sich ins Kart. Sie schob das Visier vom Helm hinunter und griff ans Lenkrad.
Dann trat sie aufs Gaspedal.

Sie spürte die Geschwindigkeit, das Adrenalin, das sie durchströmte. Im Gegensatz zu einem Auto hatte das Kart keine Federn oder Dämpfer, deswegen hat man ein pures Fahrgefühl.

Natürlich schaffte sie es nicht unter 1 Minute. Noch nicht.
In den Schikanen und Spitzkehren verlor sie zu viel Zeit.

An diesem Tag fuhr Mia einige Runden.
Die Höchstgeschwindigkeit der Leihkarts lagen bei 80 km/h, das war nicht unbedingt das Schnellste, aber definitiv besser als das Rad.

Und während sie versuchte die Ideallinie einzuhalten, ihre Techniken verbesserte und das Kart zur Höchstleistung trieb, genoss sie das Tempo, die Freiheit und die innere Ruhe, die sie dabei spürte.

Denn während die Welt rasant an ihr vorbeizog und das Adrenalin durch sie hindurchpumpte, war für sie jeder Moment wie in Zeitlupe.

Soccer Girls - Mädchenchaos im Wilde-Kerle-LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt