Kapitel 16 ~ Zwiegespalten

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Das Schicksal hasste sie.
Als sie letztens das mit der "Mädchenverschwörung" gesagt hatte, war es ein Scherz.
Jetzt hatte sich herausgestellt, dass es weitaus mehr als das war.
Und Mia war mitten drin in dem ganzen Schlamassel.

Alles begann, als sie von Anna angerufen wurde.

„Hey, ich möchte dich etwas fragen", hatte sie zögernd gesagt. Dann gab es eine Pause.
Mia konnte Menschen gut einschätzen und Anna war definitiv eine Person, die immer gut über ihre Wortwahl nachdachte. Vermutlich tat sie das auch in diesem Moment.

„Ich habe ein Abenteuer für uns. Eine Herausforderung."
Mia runzelte die Stirn.
Sie hatte sich Anna als Komplizin bei Abenteuern vorgestellt. Das Mädchen hatte einen Drang aus ihrem Käfig auszubrechen und zu leben, aber dass sie so schnell mit einer Idee kommen würde, nun damit hatte Mia nicht gerechnet.

Jedoch war sie gerne spontan. Improvisieren zählte zu einer ihrer Stärken. Daher zuckte sie mit den Schultern und meinte: „Schieß los!"

Mias Stimme klang noch etwas zögernd. Die Art wie Anna gesprochen hatte, machte sie ein wenig misstrauisch. Sie vermutete, dass ihre Freundin gleich eine Bombe platzen lassen würde.

„Wir haben ein Match!"
„Wir haben ein bitte was?", fragte Mia schockiert.
„Gegen die Wilden Kerle."
„Gegen bitte wen?"
„Schön, dass du so höflich bleibst", sagte Anna und Mia konnte ihr Grinsen förmlich durch das Telefon hören.

Was zum Teufel passierte hier gerade?

Sie musste erst einmal tief durchatmen und ihre Gedanken sammeln, sonst würde sie beim Reden nur stottern.
Mit der Hand fuhr sie sich durchs Haar.

„Ein Match?"
„Ja"
„Gegen die Kerle?"
„Ja"
„Das ist absolut hirnrissig."
„Ich nenne das genial."
Das Grinsen war unüberhörbar.

Mia schüttelte den Kopf und begann sich am Arm zu kratzen. Sie wollte nicht so harsch klingen, aber sie sah den Sinn dahinter nicht, sich vor den Kerlen freiwillig zu blamieren.

„Du willst sie zu zweit besiegen?", fragte sie daher skeptisch.
„Eigentlich wären wir zu fünft."

Das klang wenigstens schon mehr nach einer Mannschaft.

„Wer sind die anderen?"
„Eine Freundin von mir und zwei Mädchen, die sie kennt. Die sind alle total wild. Verlass dich drauf! Das Match ist morgen bei der Geburtstagsfeier von meiner Freundin. Bist du dabei?"
Mia überhörte nicht die Hoffnung in Annas Stimme.

Das mit dem 'Improvisieren ist eine ihrer Stärken' strich Mia sofort wieder in ihren Gedanken.
Sie war total überfordert.

„Hör zu, es ist ja nett, dass du an mich denkst, aber dir ist schon klar, dass ich nicht Fußball spielen kann, oder? Und ich kann doch nicht auf einer Party von jemandem aufkreuzen, den ich nicht kenne. Außerdem haben wir keine Zeit zum Trainieren. Das könnte in einer Katastrophe enden!"

„Vanessa meint, du bist bei ihrer Party willkommen. Wir werden die Kerle auch ohne Training besiegen können, wenn wir nur gut genug spielen. Wir brauchen dich, Mia!"

Sie war verzweifelt.
Sie wollte ihre neugewonnene Freundin nicht enttäuschen, aber wie sollte sie ihr erklären, dass sie es einfach nicht konnte.

„Ihr werdet nicht gut spielen, wenn ich am Feld stehe!"
„Kannst du passen?", fragte Anna.
„Ja", meinte Mia verwirrt.
„Kannst du den Ball annehmen?"
„Ja", antwortete sie zögernd.
„Kannst du jemandem den Ball abnehmen?"
„Ist ein Schiri dabei?"
„Nein."
„Dann schon."
„Na siehst du! Du wärst sicher eine großartige Verteidigerin!"

Darauf lief es also hinaus...

Mia konnte Anna nicht von den Zweifeln erzählen, die andere in ihr solange gesät hatten, bis sie es selbst geglaubt hatte.

„Und du kannst dem Jungen, den du umgefahren hast, eins auswischen", sagte Anna überlegen.

Mia biss sich auf die Unterlippe, um ein Grinsen zu unterdrücken.
Dieses Mädchen war verdammt clever.

Der Mützenjunge war zwar gemein zu ihr, aber deswegen zog sie doch nicht gleich in einen Rachefeldzug gegen ihn.
Obwohl der Gedanke natürlich verlockend war.

Niemand beleidigte ihre Leidenschaft zum Rad- und Motorsport.

Mia seufzte.

„Du hast das wohl ziemlich gut durchgeplant."
„Was soll ich sagen. Ich bin eben ein Genie", meinte Anna. Sie klang zufrieden.

Mia schüttelte den Kopf. Sie wollte Anna wirklich nicht hängen lassen. Die anderen Drei genauso wenig, auch wenn sie die nicht einmal kannte.

Sie mochte Anna sehr.
Mia hatte nicht viele Freundinnen.
Dani war ihr sehr ans Herz gewachsen, doch sie hatte ihre Mannschaft und jedes Mal, wenn sie von ihren Freunden dort erzählte, tat das weh.

Was sie wohl zu der Sache sagen würde?
Ja, Dani. Nachdem ich euch letztens unfreiwillig ausspioniert habe, dachte ich mir, ich fordere deine Mannschaft heraus. Ich weiß, ich habe gesagt, ich kann nicht Fußball spielen, aber man lebt ja nur einmal, nicht wahr?"

Mia ließ sich die Wand hinuntergleiten.
In ihr kämpften zwei Seiten.
Die eine rief: „Es wäre Wahnsinn! Pures Risiko! Idiotisch!"
Aber die andere rief: „Es wäre eine Herausforderung! Es wäre ein Abenteuer! Du könntest es dir endlich selbst beweisen!"

Mia kniff die Augen zusammen und krümmte sich zusammen.
Komfort Zone gegen den Nervenkitzel des Lebens.
Diesen Kampf focht sie innerlich aus.

Da war noch eine Stimme:
„Was ist denn mit dir los?"

Die kam aber nicht aus ihrem Kopf.
Sie öffnete die Augen und sah ihren Vater vor ihr stehen.
Mit kritischem Blick musterte er sie, wie sie verkrampft am Boden hockte.

„Ich wollte die Bequemheit des Teppichs testen."
„Während du Elektroschocks ausgesetzt wirst?", fragte ihr Vater.
Augenblicklich setzte Mia sich normal hin und lockerte ihre gekrümmte Körperhaltung.
Übertrieben lächelte sie ihn an.
„Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich telefoniere mit dem Manager der Teppichtestungsfirma."
„Aber natürlich. Tut mir leid, dass ich mich nach deinem Wohlergehen erkundigt habe. Beim nächsten Mal werde ich meine Neugierde zügeln", meinte ihr Vater schmunzelnd und verließ den Raum.

„Mia?", hörte sie Annas Stimme durch das Telefon.
„Ja, bin noch da."
„Hast du dich entschieden?"

Mia seufzte.
Sie war definitiv nicht bereit für dieses Spiel, aber es würde aufregend werden.
Und wenn etwas einem das Gefühl gibt am Leben zu sein, dann ist es wohl das Risiko wert.
Sie wollte es nicht tun. Sie hatte Angst davor. Doch es war die Gelegenheit, diese Furcht zu bekämpfen und sich selbst etwas zu beweisen.

Es sind die Dinge, die uns Angst machen, die uns freisetzen, sobald wir sie bezwungen haben.

Und Mia wollte nichts mehr als frei zu leben.

„Also, was sagst du?"
„Wir haben ein Spiel."

Soccer Girls - Mädchenchaos im Wilde-Kerle-LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt