Kapitel 1

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Marlie

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Es war einfach nicht geplant gewesen, dass wir uns wiedersehen. Wir hatten einen Deal und ich hatte mich nicht an ihn gehalten. Doch was hatte ich für eine Wahl gehabt?

Daniel sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Es war der pure Schock, der ihm ins Gesicht geschrieben stand. Seine Kinnlade war ein wenig nach unten geklappt, als er die Tür geöffnet und mich gesehen hatte. Wir hatten uns in den letzten fünf Jahren beide verändert und das nicht nur optisch. Unsere Leben hätten sich kaum in unterschiedlichere Richtungen entwickeln können. Und nun standen wir hier und wussten nicht, wie wir mit dem anderen umgehen sollten. Wir waren beide überfordert mit dieser Situation und ich wäre auch nicht hier, wenn ich irgendeinen anderen Ausweg gesehen hätte.

Da mich soeben ein Sommergewitter überrascht hatte, war ich von oben bis unten klitschnass. Meine Haare klebten an meinem Kopf und die Klamotten waren komplett durchgeweicht. Doch es war mir egal, wie ich aussah, auch wenn sich in meinen Schuhen schon Pfützen bildeten und sich auf meinem Körper eine Gänsehaut ausbreitete. In meinem Kopf schwirrten viel zu viele Sorgen und Ängste, sodass Nässe und Kälte meine geringsten Probleme waren.

„Marlie?", bekam Daniel als Erster ein Wort über die Lippen. Seine Stimme war tiefer geworden. Er sah generell männlicher und erwachsener aus. Die Haare waren kürzer, er trug einen Drei-Tage-Bart und unzählige Tattoos zierten nun seinen rechten Arm. Offenbar hatte er heute nicht mehr vorgehabt das Haus zu verlassen. Nur so konnte ich mir erklären, dass er eine durchlöcherte Jogginghose trug.

„Ja, ich bin's", entgegnete ich schon fast schüchtern, was mir eigentlich gar nicht ähnlich sah.

Meine Zähne klapperten ein wenig und ich war mir nicht sicher, ob das vor Aufregung oder vor Kälte war. Mein Puls begann zu rasen. Es war so seltsam ihn nach so einer langen Zeit wiederzusehen. Wir hatten zwei gemeinsame Kinder, doch ehrlich gesagt, fühlte es sich so an, als würde mir ein Fremder gegenüberstehen.

„Ähm, was machst du hier?", fragte er nun sichtlich verunsichert und betrachtete mich einmal von oben bis unten.

Meine Haare waren länger geworden und ich färbte sie nicht mehr blond. Mein ehemals athletischer Körper war in den letzten Monaten stark abgemagert, weshalb meine Hände knochig und meine Beine erschreckend dünn waren. Mit weiter Kleidung versuchte ich es zu kaschieren, doch da diese nun nass war und hauteng auflag, konnte Daniel wohl jeden einzelnen meiner Knochen sehen.

Nervös fuhr er sich durch die Haare.

„Ich muss mit dir reden!", stellte ich klar. „Es ist wirklich wichtig!"

„Okay", sagte er zögerlich und ging einen Schritt zur Seite, sodass ich in sein Haus eintreten konnte. „Komm rein!"

Damit hatte ich schon mal die erste Hürde geschafft. Ich hatte die Befürchtung gehabt, dass er mir vielleicht einfach die Tür vor der Nase zuschlagen würde, doch glücklicherweise hatte er darauf verzichtet. Trotzdem fühlte ich mich alles andere als wohl. Ich folgte ihm ins Wohnzimmer. Das hier war nicht einfach nur ein Haus, in dem ich gerade stand. Nein, es war eine Villa, die alles übertraf, was man sich an Luxus vorstellen konnte. Protz und Prunk hatte sich der Architekt wohl als Leitbild ausgesucht. Dieses Haus war ein wahres Kunstwerk aus Glas und Holz, wie man es sonst nur aus Architektenzeitschriften kannte. Jedes Möbelstück schien ein Unikat zu sein und ich traute mich kaum, mich auf die weiße Ledercouch zu setzen. Doch Daniel wies mich mit einer entsprechenden Geste an Platz zu nehmen.

„Willst du etwas trinken?", fragte er höflich, während er schnell ein paar herumliegende Klamotten aufsammelte und in einen Schrank stopfte. Was das betraf, hatte er sich offensichtlich kein bisschen geändert. Er war noch nie ein ordentlicher Mensch gewesen.

Regentanz - Piper Award EntryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt