Kapitel 13

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Daniel

Wir waren zurück in London. Es war ein sehr tränenreicher Abschied von meiner Familie gewesen, denn Marlie würde sie wohl nie wiedersehen. Der Abschied war für immer. Wir machten noch unzählige Fotos um eine Erinnerung an die letzten Tage zu haben. Marlie hatte dafür ihren Sauerstoffschlauch abgelegt. Sie wollte das Ding unter keinen Umständen auf den Fotos sehen. Doch es war ihr anzumerken, dass es eine einzige Quälerei war ohne den zusätzlichen Sauerstoff glücklich in die Kamera zu lächeln. Eigentlich wollten wir auch noch ein Familienfoto mit den Kindern machen, doch weder Alex, noch Emma bekamen ein Lächeln aufs Gesicht. Ich fühlte mich noch nicht bereit, auf die Kinder alleine aufzupassen, besonders wenn ich sah, wie traumatisiert sie schon vor dem Tod ihrer Mutter waren. Ich brauchte Marlie einfach noch. Die Schreie meiner Kinder von gestern Nacht waren mir noch immer präsent und ich würde sie auch nicht so schnell vergessen können. Doch es war nicht die Zeit um Schwäche zu zeigen. Ich wollte Marlie ihre letzten Tage so angenehm wie möglich machen. Sie würde schon bald das Bett nicht mehr verlassen können, denn ihre Lunge wurde mit jeden Tag ein Stückchen mehr zerstört und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie nur noch da liegen und auf ihren Tod warten würde. Das war für Marlie die absolute Horrorvorstellung und für mich sowieso. Sie litt ja jetzt schon genug darunter ein Sauerstoffgerät bei sich tragen zu müssen und die meiste Zeit in einem Rollstuhl zu sitzen. Doch wenn sie erst einmal ans Bett gefesselt sein würde, war ich mir sicher, dass sie in ein tiefes schwarzes Loch fallen würde. Die Ärzte hatten gesagt, dass die Tumore sich rasant bei ihr ausbreiteten. Jeden Tag, den sie noch draußen verbringen konnte, sollte sie in vollen Zügen genießen.

Doch heute stand erst einmal Bürokratie auf dem Plan. Wir mussten zum Bürgeramt und mich als Vater für die Kinder eintragen lassen, damit ich nach Marlies Tod auch problemlos das alleinige Sorgerecht zugesprochen bekam. Wir gingen zu viert dorthin und wie es bei Ämtern so üblich war, mussten wir ewig warten. Die Kinder wurden ganz hibbelig und Marlie war anzusehen, dass sie ihren Rollstuhl, in dem sie saß, am liebsten verbrennen und in der Themse versenken würde.

„Warum müssen wir hier so lange warten?”, fragte Emma gelangweilt.

„Damit alle wissen, dass ich euer Vater bin. Das muss aufgeschrieben werden“, versuchte ich notdürftig zu erklären.

„Mama kann schreiben. Kann sie das nicht machen?“, versuchte Emma eine Lösung zu finden, um hier möglichst schnell wegzukommen.

Ich lachte und auch die ältere Dame, die neben mir saß, musste schmunzeln.

„Nein, Schatz. Das geht nicht. Die müssen da auch einen Stempel ‘rauf machen und den hat Mama nicht.“

„Ich habe zu Hause ganz viele Stempel. Mit Blumen und Schmetterlingen.“

„Ja, das glaube ich dir, aber die Leute hier haben einen ganz speziellen Stempel und genau den brauchen wir.“

Frustriert verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust. Ich konnte mir auch Schöneres vorstellen, als hier zu sitzen und warten zu müssen.

„Sag mal Daddy, warum bist eigentlich erst jetzt da? Warum warst du nicht schon immer unser Daddy?“, fragte Alex aus heiterem Himmel und traf mich damit auf dem falschen Bein.

Ich hatte immer gehofft, dass diese Frage nie kommen würde. Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Kindern verständlich und sensibel erklären sollte, dass ich einfach ein Arschloch gewesen war. Auch Emma sah mich nun neugierig an.

„Naja“, begann ich zu stammeln, ohne zu wissen, was ich eigentlich sagen sollte.

„Euer Dad konnte nicht bei euch sein“, half Marlie mir nun aus. „Er hat immer an euch gedacht. Jeden Tag, aber er hat sehr weit weg gewohnt und er musste viel arbeiten.“

Regentanz - Piper Award EntryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt