Kapitel 17

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Daniel

Es war sieben Uhr morgens. Ein Leichenwagen hatte Marlie in der Nacht aus dem Haus geschafft. Dieses Bild, wie Marlies Körper in einen Plastiksack eingewickelt wurde, würde mich bis ans Ende meines Lebens verfolgen. Die Gerichtsmediziner sahen nur noch ein Stück Fleisch in ihr, das sie aufschneiden würden um eine Todesursache zu finden. Doch für mich war sie nicht nur die Mutter meiner Kinder, sondern auch die Liebe meines Lebens gewesen. Viel zu spät war mir bewusst geworden, was ich damals wirklich aufgegeben hatte. Und genau aus diesem Grund sollten sie ihren Körper nicht in etwas stecken, das aussah wie ein größerer Müllbeutel. Das war einfach nur entwürdigend und respektlos.

Emma und Alex hatten von alldem nichts mitbekommen. Sie schliefen noch, ohne den geringsten Schimmer zu haben, dass sie keine Mutter mehr hatten. Sie hatten von all dem nichts mitbekommen. Selbst meine Schreie hatten sie nicht geweckt. Nachdem man Marlie mitgenommen hatte, war ich sofort zum Telefon geeilt und hatte Cooper angerufen. Ich brauchte meinen besten Freund jetzt mehr denn je. Allein hielt ich das nicht aus und er wohnte nur ein paar Straßen weiter. Ich brauchte jemanden, der dafür sorgte, dass ich nicht komplett einen Nervenzusammenbruch erlitt. Ich hätte darauf gefasst sein müssen, dass Marlie stirbt. Immer wieder hatte sie es mir gesagt, doch es traf mich völlig unvorbereitet. Ich war davon ausgegangen, dass sie in einem Krankenhaus friedlich einschlafen würde und nicht, dass sie sich in meinem Bad mit Tabletten das Leben nahm. Ich glaube nicht, dass sie sich bewusst war, was sie mir damit wirklich angetan hatte. Ich konnte es noch immer nicht fassen.

 Innerhalb von fünf Minuten war Cooper bei mir gewesen. Am liebsten hätte ich mich jetzt einfach betrunken um den Schmerz zu betäuben, doch das konnte ich nicht. Ich war jetzt alleinerziehender Vater und was mir jetzt bevorstand, ließ mein Herz zum zweiten Mal in tausend Stücke zerspringen: Ich musste meinen Kinder erklären, dass Mummy nicht mehr da war.

„Morgen Daddy!“, sagte Alex fröhlich, als ich die Vorhänge in dem Zimmer aufzog.

Ich musste das hier alleine schaffen. Cooper hatte mir zwar angeboten dabei zu sein, doch das hatte ich abgelehnt. Cooper war für Alex und Emma eine fremde Person. Es wäre unangebracht, wenn jemand für sie Fremdes in so einem intimen Moment dabei war. Also blieb er unten im Wohnzimmer und kümmerte sich bereits um organisatorische Dinge. Es musste eine Beerdigung organisiert werden. Viele Menschen mussten darüber informiert werden, dass Marlie den Kampf gegen den Krebs verloren hatte. Mir blieb kaum Zeit um zu trauern oder das zu verarbeiten, was ich gesehen hatte.

„Hey Schatz, hast du gut geschlafen?“, fragte ich Alex und hörte mich unglaublich verschnupft an. Das kam jedoch von keiner Erkältung, sondern von dem stundenlangen Heulen.

„Jap. Ich hab geträumt, dass ich auf einer Seifenblasen geflogen bin“, erzählte er lebhaft. „Dann ist sie geplatzt und ich bin in eiskaltes Wasser gefallen.“ Dieser Traum beschrieb auf bittere Art und Weise auch meine Nacht. „Aber du hast mich wieder herausgezogen“, ergänzte Alex.

Emma war noch im Halbschlaf. Nur langsam öffnete sie ihre Augen und musterte mich. Ihr Blick blieb an meinem Gesicht hängen. Sie rappelte sich auf und blickte mich intensiv an.

„Was ist mit deinen Augen?“, fragte sie besorgt und strich mir mit der Hand vorsichtig durchs Gesicht.

„Ich habe geweint“, sagte ich ganz offen.

Natürlich sollte ich für die Kinder der starke Papa sein, aber ich wollte ihnen auch zeigen, dass es manchmal okay war zu weinen. Und heute war es definitiv angebracht Tränen zu vergießen.

Emma zog ihre Mundwinkel nach unten und sah mich mitleidig an.

„Warum weinst du denn?“, erkundigte sie sich. Es war erstaunlich wie ähnlich sie Marlie war. Diese großen braunen Augen und der rote Schmollmund waren dieselben wie die von ihrer Mutter. Ich vermisste sie jetzt schon so sehr.

Regentanz - Piper Award EntryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt