Kapitel 24

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Daniel

Am nächsten Tag fiel der Kindergarten ausnahmsweise mal aus. Mum hatte mir vor ihrer Abreise gestern Abend noch empfohlen, dass wir etwas mit Annie unternehmen sollten. Es war wichtig, dass die Kinder schnell eine Bindung zu ihr aufbauten, denn schon bald würde man Annie auch ansehen, dass sie ein Kind erwartete und bis dahin mussten wir es Emma und Alex gesagt haben. Also machten wir heute den Zoobesuch, den wir eigentlich schon für vorgestern geplant hatten.

Emma und Annie verstanden sich super, doch Alex haderte weiterhin mit der Situation. Es war zwar nicht so, dass er mich oder Annie ignorierte, doch man spürte, dass er sich Annie gegenüber sehr distanziert verhielt. Er wich mir keinen Augenblick von der Seite. Emma hingegen blühte immer mehr auf. Bei den Elefanten machte sie zusammen mit Annie die Geräusche nach und im Schlangenhaus ergriff sie ängstlich ihre Hand. Es freute mich zu sehen, wie schnell Emma sich an die neue Situation gewöhnte. Alex wurde erst warm, als wir einen Stopp auf einem Spielplatz machten. Dort sah ich ihn erstmals wieder lachen, doch mit Annie wollte er nach wie vor nichts weiter zu tun haben. Er sprach mit ihr nur das Nötigste und vermied es mit ihr allein zu sein. Ich akzeptierte es. Ich konnte nicht erwarten, dass er eine neue Frau in meinem Leben als selbstverständlich hinnahm. Der gestrige Tag hatte mir erst wieder bewusst gemacht, wie sehr ihm seine Mutter fehlte. Ich vergaß das manchmal einfach. Wenn ich die beiden so spielen sah, dann würde man nicht denken, was für einen Verlust sie bereits erleiden mussten. Doch dann gab es Momente wie gestern, die mir zeigten, dass sie nicht weniger litten, als ich es tat. Auch wenn ich mit Annie nun zusammen war und wir sogar ein gemeinsames Kind erwarteten, dachte ich trotzdem ständig an Marlie. Sie war immer präsent. Ich brauchte nur Emma ins Gesicht zu schauen und erkannte sofort Marlie darin wieder.

Wir kamen bei den Affen an.

„Das waren Mums Lieblingstiere“, erzählte Emma.

„Affen?“, hakte ich verwundert nach.

Ich konnte mich nicht erinnern, dass Marlie Affen mochte, aber ich hatte Marlie mit Ausnahme ihrer letzten Woche auch fast fünf Jahre nicht gesehen. Es gab vieles, was die Kinder über Marlie wussten, das mir aber völlig neu war.

„Ja, sie hat immer gesagt, dass Affen sehr schlau sind und sie können von Baum zu Baum springen. Affen können sehr gut klettern. Das mochte sie.“

„Was ist denn dein Lieblingstier?“, erkundigte sich Annie und machte von Emma ein Foto, wie sie durch die Scheibe in das Affengehege sah.

„Hmm, früher waren es immer Pferde, aber ich glaube jetzt wäre ich gern ein Schwan.“

„Warum willst du ein Schwan sein?“, hakte ich nach.

„Naja, ich könnte dann in den Himmel fliegen und Mama besuchen.“

„Ein Papagei wäre doch viel besser“, warf Alex nun ein. „Ein Schwan kann doch nicht reden. Aber ein Papagei kann das. Also ich wäre gerne ein Papagei! Dann könnte ich zu Mummy fliegen und mit ihr reden.“

Ich wusste ja, dass den Kindern diese Illusion mit der Wolke gut tat, doch jedes Mal, wenn sie etwas Derartiges sagten, fühlte es sich irgendwie falsch an. Ich fürchtete mich so sehr vor dem Tag, an dem sie begreifen würden, dass ihre Mutter einfach nur in einer Urne im Boden vergraben und ihre Seele ausgelöscht war. Sie existierte einfach nicht mehr.

„Ich mag auch Papageien“, stimmte Annie zu. „Die sind so schön bunt.“

Am Abend las ich den Kindern noch eine Geschichte vor. Sie schliefen dabei ein. Der Tag war anstrengend gewesen und so brauchte ich nicht mehr das Ende vorlesen.

Regentanz - Piper Award EntryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt