Kapitel 25

5.7K 578 54
                                    

Daniel

Nach der widerwilligen Verkündung der Babynachricht hatte ich die Kinder in die Kita gebracht. Alex hatte wieder auf die altbewährte Taktik des Schweigens zurückgegriffen. Selbst seiner Schwester gegenüber verhielt er sich abweisend. Diese ließ sich davon jedoch nicht weiter stören und plapperte munter drauf los, was sie mit ihrer neuen Schwester alles machen konnte. Die Möglichkeit, dass es auch ein Bruder werden könnte, blendete sie komplett aus. Bereits jetzt versuchte sie mit mir den Namen ihrer Schwester auszuhandeln. Ihr klarer Favorit war Tinkerbell. Cinderella wäre auch okay, doch ansonsten war sie nicht sonderlich kompromissbereit.

 „Alex wird sich schon wieder einkriegen“, versuchte Annie mich zu beruhigen, als ich völlig fertig auf unserer Terrasse saß und ins Leere starrte.

Ich verstand nicht, wie sie die ganze Sache so locker nehmen konnte. Ich wünschte, ich hätte auch diese Ruhe weg. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich mit Alex machen sollte. Alle sagten, dass er sich schon beruhigen würde, doch ich hatte da so meine Zweifel. Klar, er würde sich irgendwann damit abfinden müssen, doch ich war mir nicht sicher, ob er mit der Situation jemals zufrieden sein würde. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Alex nicht von Anfang an bewusst gewesen war, dass ich nun seine Familie war und er bei mir jetzt für immer bleiben würde. Am Anfang schien es ihm noch gefallen zu haben. Es war wie Urlaub bei einem Freund, doch nun wurde ihm bewusst, dass hier sein neues Zuhause war und das gefiel ihm offensichtlich nicht. Knapp sechs Wochen kannte er mich nun. Ich konnte ihm da kaum einen Vorwurf machen, dass er mich noch nicht bedingungslos als Vater ansah, auch wenn es mir mittlerweile so vorkam, als wären sie schon immer Teil meines Lebens.

„Schatz, dein Handy klingelt“, machte mich Annie auf mein Telefon aufmerksam, das auf dem Tisch vibrierte. Ich sah auf das Display. Unbekannte Nummer.

„Riley“, meldete ich mich routiniert.

„Mr. Riley, hier ist Miss Anderson. Die Kindergärtnerin von Emma und Alex“, stellte sich Miss Anderson vor, die von den Kindern immer nur Julia genannt wurde. Sie war eine noch sehr junge Erzieherin, doch Emma und Alex waren völlig vernarrt in sie und auch ich schätzte sie sehr. Sie war immer sehr engagiert und liebevoll.

Miss Andersons Stimme klang zittrig und ich spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Zumal es nie ein gutes Zeichen ist, wenn die Kita bei einem anruft.

„Was ist passiert?“, fragte ich sofort mit aufkommender Unruhe.

Ich hörte ein kurzes Schluchzen, was nicht zu meiner Beruhigung beitrug. Verkrampft hielt ich den Hörer in der Hand und wartete gebannt auf ihre Erklärung.

„Es tut mir so leid, aber Alex ist weg“, brachte sie mit großer Mühe über ihre Lippen

„Weg? Wie weg?“, hakte ich ungläubig nach.

„Ich weiß es nicht. Heute war der Ausflug zur Kings Cross Station. Ich habe sie eigentlich alle immer im Auge gehabt und ständig durchgezählt, doch auf einmal war er einfach weg. Es tut mir so leid. Ich habe schon die Polizei benachrichtigt. Sie suchen ihn bereits.“

Mein Herz blieb stehen. Mein Kind war verschwunden? Mit einem Schlag brach alles über mir zusammen.

„Und Emma?“, brachte ich noch irgendwie hervor.

„Sie ist noch da. Sie weiß auch nicht, wo Alex ist. Sie meinte nur, dass sie sich gestritten hätten. Keiner hat gesehen, wie er sich von der Gruppe entfernt hat. Es tut mir so unglaublich leid. Wir tun wirklich alles um ihn wiederzufinden.“

OH GOTT! Ich war kurz davor einfach umzukippen. Mein Sohn war verschwunden! Davor hat jeder Vater am meisten Angst. Mein Kind war einfach weg. Sofort schossen tausend Szenarien in meinen Kopf, was alles Schreckliches mit ihm passiert sein könnte. Ausgerechnet an einem der größten Bahnhof des Landes war er verschwunden. Was, wenn er auf die Gleise fiel? War er überhaupt weggelaufen? Vielleicht hatte ihn jemand einfach mitgenommen und tat ihm nun etwas an. Mir wurde schlecht. Ich hatte Marlie versprochen, dass ich unsere Kinder mit meinem Leben beschützen würde, doch ich hatte es nicht einmal ein paar Wochen geschafft. Unser Sohn war weg und keiner hatte auch nur eine Ahnung, wo er war. Mir fiel es mit einem Mal schwer zu atmen. Gleichzeitig schoss Adrenalin durch meinen Körper. Mein Herz begann wild zu schlagen. Ich begann zu zittern. Ich musste irgendetwas tun.

Regentanz - Piper Award EntryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt