18.

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„Aber ich dachte, ihr habt rumgemacht?"

Zayn wippt unruhig im Schreibtischstuhl hin und her und spielt mit einem Stift in seiner Hand, hält ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger, eine Geste, die verdächtig an das Halten von Zigaretten erinnert. Er trägt das selbe schwarze T-Shirt und die selben Jeans wie vorhin, hat seine Schuhe noch an, und der Schnürsenkel am linken Schuh droht, aufzugehen. Mir würde das gar nicht auffallen und es würde mich auch nicht interessieren, aber momentan schenke ich Zayn meine volle Aufmerksamkeit. Nicht, weil er gerade besonders gut aussieht, oder so. Sondern weil es mich davon abhält, Harry anzusehen. Harry, der im Bett an der Wand sitzt, die Beine wahrscheinlich angezogen, die Locken wahrscheinlich noch verwüstet, der Mund wahrscheinlich noch gerötet. Der Gedanke allein lässt mich jede Konzentration verlieren. Ich sitze mit einigem Abstand am Fußende des Bettes und glühe innerlich. Zayn, uns gegenüber, ist völlig ahnungslos. Auf meine Frage hin stöhnt er.

„Ja, wir haben rumgemacht. Und wie. Aber scheinbar ist das egal."

Er ist aufgewühlt, betrunken und hibbelig, die schwarzen Brauen zusammengezogen und den Blick starr auf den Stift zwischen seinen Fingern gerichtet. Er verbreitet einen Geruch von Bier und Energydrink und die Kälte von Draußen, die noch an seinem Körper haftet, zerstört den eben noch so stillen, zaghaften Frieden im Zimmer. Mir ist heiß und meine Lippen fühlen sich seltsam an und wahrscheinlich bin ich noch viel aufgewühlter als Zayn, bloß, dass ich mir davon nichts anmerken lasse. Gleichzeitig bin ich unfassbar müde. Ich werfe einen Blick auf die Uhranzeige des Weckers. Es ist kurz nach vier in der Nacht.

„Ich verstehe einfach nicht, was sie will", fährt Zayn jetzt fort. „Wir sind keine vierzehn mehr. Mädchen müssen nicht mehr alles mit ihren Freundinnen besprechen, oder?"

„Vielleicht gab es irgendein anderes Problem, was nichts mit dir zu tun hatte und deshalb musste sie schnell weg", schlage ich lahm vor.

„Was soll das für ein Problem sein, an das sie ausgerechnet in dem Moment denkt, in dem sie mich an sich zieht und mich küsst, sie – Gott, sie hat sich so verdammt gut angefühlt, Louis, du kannst es dir nicht vorstellen. Frauen sind einfach so –"

„Kompliziert?", murmelt Harry aus der Ecke. Seine Stimme ist tief und kratzig und ich gebe mir große Mühe, ihn nicht anzusehen. Genau genommen habe ich ihn nicht mehr angesehen, seit Zayn den Raum betreten hat.

„Du kapierst das nicht. Du darfst nicht mitreden. Frauen sind einfach nicht dein Fachgebiet." Er wendet sich mir zu, so als wäre ich von uns dreien der Frauenexperte. Ich.

„Okay." Harry rutscht in eine liegende Position und zieht die Decke über sich. „Dann gute Nacht."

Die Versuchung, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, weil er mich hier in dieser Situation allein lässt ist groß, aber ich reiße mich zusammen. Nicht hinsehen. Ich atme tief ein und versuche mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zayn. Gigi. Ein Kuss. „Also nochmal, damit ich das richtig verstehe", murmele ich und versuche so zu wirken, als wäre ich voll bei der Sache. „Ihr habt euch gut verstanden, dann hat sie dich geküsst. Ihr seid hoch in ihr Zimmer und dann, warum auch immer, hat sie es plötzlich abgebrochen, meinte, dass sie weg muss und ist einfach gegangen?"

Zayn nickt tatkräftig. „Und als ich ihr gefolgt bin, habe ich sie mit ihren Freundinnen gesehen, die scheinbar irgendetwas wild diskutiert haben. Und ihr Vater hat mich beim Rausgehen auch so seltsam angesehen."

„Warte, was? Ihr Vater?"

Zayn runzelt die Stirn. „Na der Typ am Eingang. Den habt ihr doch auch gesehen. Gigi meint, er erlaubt ihr die Partys in seinem Haus nur unter der Bedingung, dass er kontrollieren kann, wer raus und rein geht."

„Ah ..." Ich gebe mir wirklich Mühe, darüber nachzudenken. Über irgendetwas nachzudenken. Aber meine Gedanken reichen nicht weiter als einen Meter neben mir, wo Harry liegt und wo auch ich liegen will. Die Müdigkeit und die stetige Verwirrung hüllen meinen Kopf ein und ich muss meinen Blick auf die Schreibtischlampe fixieren, um die Augen offen zu halten und mich zu konzentrieren. „Und du bist dir sicher, dass du nichts Komisches gemacht hast, das sie abgeschreckt hat?", frage ich schließlich, stolz, überhaupt Worte zustande zu bringen.

„Ganz sicher!"

„Es klingt aber stark danach", meldet sich Harry doch noch mal mit müder Stimme zu Wort.

„Find ich auch", pflichte ich ihm bei, immer noch ohne ihn anzusehen.

Zayn sieht von mir zu Harry und seufzt lautstark. „Warum rede ich überhaupt mit euch? Der eine steht auf Kerle und der andere hat seit einem halben Jahr niemanden mehr geküsst und ist zu verklemmt, um das Wort Schwanz auszusprechen." Er streckt sich und lässt seinen Nacken knacken. „Ich hab nichts Komisches gemacht. Was soll ich denn gemacht haben? Falls ihr denkt ich mache irgendwelche Anfängerfehler, wie sofort nach ihren Brüsten zu greifen –"

Ich blende Zayns Redeschwall aus und spüre, wie meine rechte Gesichtshälfte anfängt zu kribbeln, weil ich Harrys Blick auf mir spüre. Die Versuchung ihn anzusehen ist kaum auszuhalten. Mein Gesicht wird heiß. Von wegen ich habe seit einem halben Jahr niemanden mehr geküsst. Ich spüre, wie die Bilder von dem, was wir eben gemacht haben, zurück in meinen Kopf schießen und verkrampfe meine Hand in meinem Oberschenkel. Es nützt nichts. Ich muss ihn ansehen. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf. Harry hat die Decke bis zum Kinn gezogen. Als er merkt, dass ich mich ihm zuwende, sieht er schnell Zayn an. Ich starre ihn an. Nach ein paar Sekunden sieht er doch wieder zurück und ich spüre, wie etwas durch meine Brust schießt und zucke innerlich zusammen. Diesmal bin ich es, der schnell wegguckt.

„Hört ihr mir überhaupt zu?", fragt Zayn genervt.

„Ich habe kein Problem damit, das Wort Schwanz zu sagen", murmele ich mit einem Räuspern.

„Dein rotes Gesicht beweist das Gegenteil."

Ich ignoriere ihn. „Warum fragst du sie nicht einfach, was los war?"

„Weil ..." Zayn zögert. „Weil ich nicht will, dass sie denkt, dass es mir so wichtig ist."

Harry schnaubt. „Aber es ist dir wichtig."

„Wolltest du nicht schlafen?", antwortet Zayn bissig.

Ich reibe mir über das Gesicht. „Natürlich ist es dir wichtig."

„Okay, vielleicht ist es mir wichtig." Zayn stöhnt und ich sehe in seinem Blick, dass er nicht nur ziemlich frustriert, sondern auch ziemlich angetrunken ist. „Aber sie ist mir keine Rechenschaft schuldig. Sie wollte mit mir rummachen und hat dann eben ihre Meinung geändert. End of the story."

„Vielleicht war sie sich unsicher, ob sie dich will und musste das erstmal mit ihren Freundinnen abchecken", schlage ich vor.

„Wer zur Hölle muss sowas erstmal mit seinen Freunden besprechen?"

Ich zucke mit den Schultern. Ich hätte gerade auch nichts gegen eine Person, die mir meine Gefühlslage erklärt. Als ich nicht antworte, beginnt Zayn erneut, über den Abend zu erzählen, davon, wie es einfach plötzlich Klick gemacht hat und da nichts Freundschaftliches mehr zwischen ihnen war, sondern nur noch Verlangen. Und wie schnell dieses Verlangen dann wieder abgeklungen ist. Doch es nützt nichts, nach Gründen zu suchen, nicht jetzt, mitten in der Nacht, angetrunken und todesmüde. Weder Harry noch ich können ihm helfen. Am Ende sind wir nur drei Kerle, die keine Ahnung haben.

Ich versuche, Zayn zuzuhören, bin mir aber Harry viel zu sehr bewusst. Er sagt nichts mehr, ist vielleicht eingeschlafen, aber als er sich bewegt, spüre ich seinen Fuß an meinem Oberschenkel. Mit aller Mühe widerstehe ich dem Drang, ihn nochmal anzusehen.

Zayn starrt erschöpft und stumm auf unseren Schreibtisch und wirkt wie ein Gerät, dessen Batterie sich langsam dem Ende neigt. Sein Redeschwall ist beendet. Schließlich seufzt er und klopft sich auf die Oberschenkel. „Ich glaube, ich geh mir noch ein Bier kaufen. Will noch jemand was?"

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Halb fünf. „Nein, danke."

Harry sagt nichts, also nickt Zayn und erhebt sich schwerfällig. Er steht schon, als er sich an etwas erinnert. „Übrigens. Was war vorhin mit dir los, Lou?"

Ich blinzele unkonzentriert. „Was? Achso." Ich öffne den Mund, suche nach einer sinnvollen Erklärung und entscheide mich schließlich für den einzigen Ausweg, keine Erklärung abliefern zu müssen. „Ich habe keine Ahnung ... war ziemlich betrunken. Totaler Blackout."

Zayn runzelt die Stirn. „Es klang so, als wärst du echt angepisst auf Harry. Du wolltest ihn ums Verrecken nicht mitnehmen. Harry, erinnerst du dich?"

Harry grummelt etwas, das so viel heißt wie: Halt die Klappe, ich schlafe.

Zayn mustert uns kurz, die Augen verengt. „Wenn ich es mir genau überlege ... Warum wart ihr eigentlich noch wach?"

„Ist es verboten, wach zu sein?"

Zayns Blick huscht prüfend von mir zu Harry und zurück. „Habe ich euch bei irgendwas gestört?"

„Nein", sage ich schnell.

„Sag bloß ..." Er geht jetzt nochmal einen Schritt auf uns zu und wirkt plötzlich wahnsinnig interessiert. Ich fühle mich gerade absolut nicht in der Lage, mit irgendetwas konfrontiert zu werden. „Gib's ruhig zu. Ihr habt euch bis eben gestritten, oder? Habe ich eine wilde Diskussion unterbrochen? Gibt es eine Krise im Paradies?" Er wackelt dramatisch mit den Brauen, sodass ich schnaubend die Augen verdrehe, ohne mir die Erleichterung anmerken zu lassen. Ein Streit. Ein Streit ist okay.

„Verpiss dich, Zayn, wir sind müde."

Zayn grinst mich an und wirft ein T-Shirt nach mir, das auf dem Boden liegt. „Dir auch eine gute Nacht." Dann, als hätte er sich an das Gigi-Problem erinnert, wird sein Blick wieder finster. Er geht zur Tür, flucht etwas über den Kater, den er morgen haben wird, stöhnt noch einmal im Selbstmitleid, und verschwindet dann endlich aus dem Zimmer.

Ich stehe auf, um die Tür zu schließen. Danach ist es still. Harry hat seit einer ganzen Weile nichts gesagt, wahrscheinlich ist er wirklich eingeschlafen. Ich mache das Licht aus und klettere zu ihm ins Bett. Sofort vergesse ich die letzte halbe Stunde und lasse die Gedanken wieder zu. Ich starre auf die Umrisse seines Gesichts in der Dunkelheit. Seine geschlossenen Augen, die leicht geöffneten Lippen, sein ruhiger, gleichmäßiger Atem. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das, was wir eben gemacht haben, wieder machen können. Ob wir es morgen noch können, oder übermorgen. Ich bin mir über gar nichts sicher.

Vorsichtig schiebe ich meine Hand unter die Decke, dort wo ich seine Hand vermute. Als ich sie finde und seine Finger mit meinen umschließe, spüre ich, wie er sie ganz kurz drückt. Wir schweigen und ich versuche vergeblich, meine Gedanken zu sortieren, so lange, bis mich die Müdigkeit endlich überrennt und auch ich einschlafe.

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