„Etwas Gutes hat es, dass du mich angelogen hast", sagt Zayn gut vier Stunden später, als mein Mund trocken ist vom vielen Reden. Er setzt sich auf die Theke neben die Kasse. Ich stehe vor dem Zigarettenregal und lese mir seit Stunden die Zutaten verschiedener Tabakhersteller durch. Vor allem, um beim Reden irgendwas in der Hand zu haben. Mittlerweile habe ich alles erzählt und mir nebenbei auch noch unnützes Wissen über Zigaretten angeeignet.
Jetzt sehe ich auf und runzele die Stirn. „Ach ja?"
„Es war natürlich scheiße. Richtig scheiße." Zayn guckt nochmal streng und ich stimme ihm sofort kopfnickend zu. „Aber nachdem ich dich an dem Tag stehen lassen hab, bin ich direkt zum Kiosk und hab Zigaretten gekauft."
„Und das findest du, ist etwas Gutes?"
Er verdreht die Augen, als wäre ich ein drei Jahre altes Kind. „Nein. Hör zu. Ich hab den Kiosk betreten und rate wer da war?"
„Wer?"
„Gigi!"
„Oh."
„Ich wollte nicht mit ihr reden, weil ich so scheiße drauf war. Und als sie mich angesprochen hat, wollt ich sie anschreien, aber sie hat so geguckt auf eine Art, die hat mich echt fertig gemacht. Aber ich war ohnehin so fertig, wegen ..."
Wegen mir. Ich nicke stumm.
„Den mitleidigen Blick kannst du dir sparen. Auf jeden Fall hat Gigi es mir wohl angesehen. Sie hat mich in den Arm genommen und mit zu sich genommen. Wir haben uns betrunken, ich hab ihr alles erzählt und am Ende des Abends waren wir zusammen."
„Oh. Wow."
„Sie hasst dich jetzt übrigens."
Ich schnaube und denke an ihren eiskalten, überheblichen Blick, mit dem sie mich von Anfang an angesehen hat. „Kann's mir vorstellen."
Zayn grinst. Diesmal erinnert er sich nicht zwischendurch daran, dass er mich nicht mehr angrinsen will, sondern grinst einfach weiter.
„Hat sie dir auch erklärt, warum sie so abweisend war?"
Und das war es dann mit dem Grinsen. Zayn stöhnt. „Sie hat schlechte Erfahrungen gemacht. Und ihre Freundinnen waren der Meinung, ich sei einer von den miesen Typen."
„Keine Ahnung, wie sie auf sowas kommen", sage ich mit etwas zu viel Sarkasmus in der Stimme. Zayn hebt beide Brauen, sein Blick sagt: Meinst du nicht, es ist ein wenig zu früh, um mich schon wieder zu beleidigen? Ich rede schnell weiter. „Hey, ich weiß, dass du einen zuckersüßen Charakter hast, aber wenn du immer schlecht drauf bist, alle anschnauzt und alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, mit Blicken bestrafst, ist das für andere Menschen eben nicht so leicht zu durchschauen."
„Zuckersüßer Charakter", schnaubt Zayn, weil das das einzige zu sein scheint, das ihn an meiner Aussage stört. „Ich geb dir gleich zuckersüß."
Ein Räuspern ertönt hinter ihm und mir fallen wieder die Kunden ein, die es in einer Tankstelle üblicherweise gibt. Zayn dreht sich seufzend zu dem Mann um und ich beobachte ihn eine Weile, wie er nach und nach Waren abscannt, auf die Tasten der Kasse drückt, Geld reinlegt und rausnimmt, Kunden begrüßt und verabschiedet, und dabei wie der unfreundlichste Tankstellenangestellter der Welt aussieht. Ich muss unwillkürlich lächeln.
Mein Magen knurrt und mir fällt ein, dass ich immer noch nicht gefrühstückt habe. Ich werfe einen Blick zu den Brötchen neben der Kasse und denke an Harry, der wahrscheinlich in irgendein Buch versunken ist. Ob er ohne mich gefrühstückt hat? Kurzerhand ordne ich die Zigarettenschachteln wieder mehr oder weniger gründlich in die Regale ein und umrunde den Kassentresen, um mich zu den anderen Kunden an die Schlange zu stellen.
Zayn hebt die Brauen als ich zwei Kunden später vor ihm stehe. „Ach. Du auch hier?", frage ich und er verdreht so stark die Augen, dass ich für einen Moment nur noch das Weiß in ihnen sehen kann. Ich grinse. „Ich hätte gerne vier Brötchen."
„Für Harry, oder was?" Jetzt muss auch er grinsen. Das Thema Harry scheint ihn immer noch von allem am meisten zu interessieren. Ich lächele nur vielsagend und er stopft die vier Brötchen in eine Tüte. „Ich schreib's dir auf die Schuldenliste."
Wir beide wissen, dass so eine Liste nicht existiert. „Ich kann zahlen –"
„Lass gut sein." Er sieht an mir vorbei, als gäbe es plötzlich etwas ganz spannendes draußen bei den Zapfsäulen zu beobachten. „Ist schon okay, ich hab ja das Geld. Und lass dir ruhig Zeit bei der Jobsuche. Also ... fühl dich nicht unter Druck gesetzt."
Wenn mich nicht alles täuscht, wird Zayn gerade rot. Ich verkneife mir ein Grinsen, weil mir mein Leben lieb ist, und spüre ein wohliges Gefühl in mir aufkommen. „Danke Zayn."
„Und wenn du Hilfe bei der Jobsuche oder so brauchst, weißt du, wo du mich findest."
„Danke", sage ich nochmal.
„Gehst du jetzt? Kannst du den Müll mit rausnehmen?"
Ich verdrehe die Augen, aber lasse mir von Zayn zwei Säcke in die Hand drücken. „Bis nachher!", rufe ich ihm noch zu, und er wedelt nur abweisend mit der Hand.
Ich werfe die zwei Müllsäcke in den Container ein paar Meter weiter. Ich will gerade gehen, als jemand meinen Namen ruft. Ich drehe mich nochmal um, da steht Zayn plötzlich in der Tür, die Augen zusammengekniffen. Seine Kunden hat er stehen lassen.
„Was ist?", rufe ich.
Er scheint nach Worten zu suchen. Er muss laut reden, damit ich ihn höre, weil ich schon einige Meter weiter stehe. So laut, dass es wahrscheinlich auch die Kunden hören. Aber so wie mir vorhin in der Bahn, ist es ihm scheißegal. „Tut mir leid, dass ich dich geoutet hab!"
Ich presse meine Lippen zusammen und muss grinsen, als ich an ihm vorbei sehe und die Blicke der Kunden sehe. „Ich befürchte, du hast es grad schon wieder gemacht." Zayn sieht hinter sich, dann wieder zu mir, und will etwas sagen, aber ich schüttele den Kopf. „Ist schon okay. Es kann jeder wissen." Ich grinse. „Es macht mir nichts mehr aus."
Zayn nickt. Er hebt einen Arm und winkt mir zu. Ich winke zurück und mache mich auf den Weg nach Hause.
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Der Tag ist ungewohnt sonnig und ich beschließe spontan, zu Fuß zu gehen. Mit der Brötchentüte in der Hand laufe ich durch Londons Nachmittag.
Mein Körper fühlt sich leichter an als früher. Wärmer. Freier. Ich schirme mir die Augen vor dem grellen Himmel. So viele Monate des Lügens. Und jetzt weiß ich nicht mal mehr, warum das überhaupt nötig gewesen ist. Es ist als hätte mir jemand etwas abgenommen. Etwas, das jeden einzelnen meiner Schritte erschwert hat. Eine Last, die ich jetzt nicht mehr spüre.
Ich biege in eine Einkaufspassage ein. Die Stadt ist voll, überall tummeln sich Touristengruppen, gestresste Einheimische, Familien und Paare. In den Restaurants sitzen Menschen mit ihren Laptops und arbeiten vielleicht gerade in ihrer Mittagspause weiter, weil sie es nicht lassen können.
Ich lasse meinen Blick über die Schaufenster gleiten. Hin und wieder sehe ich Zettel, auf denen Läden oder Cafés nach Aushilfen suchen. Die Worte sorgen nicht wie früher dafür, dass sich mein Magen zusammenzieht, sondern lösen ein völlig neues Gefühl aus.
Ein Gefühl der endlosen Möglichkeiten. Weil ich alles sein kann. Alles machen kann. Nichts hält mich davon ab. Ich könnte kellnern, oder eine Ausbildung anfangen, oder wieder studieren. In fünf Jahren könnte ich in einer Bank arbeiten oder mit Harry und Zayn eine Boyband gründen. Vielleicht könnte ich mit ganz viel Mühe lernen zu kochen, und ein Restaurant eröffnen.
Zum ersten Mal in meinem Leben fühlen sich die viele Möglichkeiten nicht erdrückend an, sondern wie eine Chance. Und obwohl ich nach all diesen Monaten noch immer am gleichen Punkt bin und weder Arbeit noch Studium habe, bin ich frei.
Ich merke erst, dass ich den ganzen Nachhauseweg über wie blöd vor mich hin gegrinst habe, als ich in unsere Straße einbiege und mein Kiefer beginnt, weh zu tun. Ich fasse mir ins Gesicht und muss lachen.
„Da ist aber einer gut gelaunt", sagt Harry, weil ich immer noch lache, als ich oben bei ihm ankomme.
Ich presse mir grinsend die Lippen aufeinander und sehe ihn einfach nur an. Er steht lässig in der Tür, trägt noch immer T-Shirt und Boxershorts und hat wie vermutet eines seiner Bücher in der Hand. Als ich nicht antworte und ihn auch sonst nicht begrüße, hebt er fragend die Augenbrauen und mein Grinsen wird nur größer.
Ich atme einmal tief Luft ein. Lasse sie raus. Ich bin sprachlos. Ich kann nicht beschreiben, wie es sich anfühlt. Also trete ich einfach nur ein, schließe die Tür, lege beide Arme um Harry und ziehe ihn mit einem Ruck von seinen Füßen, um ihn ins Wohnzimmer zu tragen.
Harry prustet überrascht und protestiert. „Louis! Ich bin zu schwer – Hey!" Er lässt das Buch fallen und dann lacht er nur noch und ich auch und wir landen auf dem Sofa und brauchen eine Weile, um uns wieder zu beruhigen. Das Sofa ist zu schmal für uns beide und ich habe sein Ellenbogen in der Seite, er mein Knie im Bein, aber es ist egal. Schließlich drehe ich mich auf die Seite, ihm zugewandt. Sein Blick huscht über mein Gesicht. Er muss nicht fragen, wie es gelaufen ist. Es ist offensichtlich.
„Also", sagt er stattdessen. „Hast du ihm von gestern erzählt?"
Ich muss lachen, als er albern mit den Augenbrauen wackelt, um mir zu verstehen zu geben, was er meint. „Jedes Detail", sage ich.
„Lügst du?"
„Vielleicht."
Er grinst und reckt seinen Kopf. Seine Lippen sind rau an meinen. Ich schließe die Augen. Er zieht sich zurück. „Ich hab ohne dich gefrühstückt. Hatte keine Lust, zu warten", gibt er zu.
Ich öffne gespielt empört den Mund. „Dann esse ich die vier Brötchen eben allein."
„Tankstellenbrötchen?", vermutet er. Ich muss zugeben, dass das nicht sonderlich verlockend klingt. Eigentlich habe ich auch gar keinen Hunger mehr. Ich bin zu glücklich, als dass mein Körper sich an so etwas wie Hunger erinnern könnte.
„Harry?", frage ich nach einer Weile des Schweigens.
„Hm?"
„Könntest du dir mich eher als Restaurantbesitzer oder Popstar vorstellen?"
Er kneift die Augen zusammen. „Gibt es noch andere Optionen oder sind das deine beiden Traumberufe?"
„Ich hab keine Träume", sage ich wahrheitsgetreu.
Sein Blick huscht prüfend über mein Gesicht, wie um festzustellen, ob ich traurig darüber bin, oder nicht. Er lächelt. „Wir finden schon was."
Irgendwann stehen wir dann doch auf. Ich schaffe zwei Brötchen mit Marmelade, Harry isst auch noch eins. Wir räumen ab, bevor wir in unser Zimmer gehen. Ich suche in meinem Kopf nach Dingen, die mir jetzt noch Sorgen bereiten könnten, aber die wenigen, die ich finde, beunruhigen mich nicht allzu sehr.
Da ist Harrys Vater. Harrys Mutter. Da sind meine Eltern, meine Familie, mit denen ich zu selten rede. Da ist die Tatsache, dass ich weder Arbeit noch Geld habe. Und dass Zayn wieder raucht ... Vor allem das. Ich muss grinsen.
„Was?", fragt Harry. Er steht vor dem Bett, ich noch bei der Tür. Genau hier haben wir uns vor ein paar Monaten zum ersten Mal gesehen. Als ich meine Zimmertür aufgemacht habe, und er da plötzlich stand, unangekündigt, aber nicht unerwünscht.
Jetzt kommt er auf mich zu und legt seine Hände an meine Taille. Er stupst meine Nase mit seiner an. Er riecht nach Marmelade, genau wie ich. Er schmeckt auch so, als ich ihn küsse.
„Weißt du noch?", frage ich nach einer Minute. „Als du dich die ersten Monate geweigert hast, meinen Schrank mitzubenutzen und aus deinem Rucksack heraus gelebt hast?"
Er runzelt die Stirn, hat keine Ahnung, worauf ich hinaus will. „Ja?"
„Ich hatte manchmal Angst, dass du jederzeit abreisen könntest. Einfach den Rucksack nehmen und gehen, genauso schnell wie du hergekommen bist. Du bist schließlich nie lange an einem Ort geblieben."
Er sagt eine Weile nichts und sieht mich einfach nur aufmerksam an. „Der Grund, warum ich nie lange an einem Ort geblieben bin, ist dass ich mich nirgends wohlgefühlt habe", sagt er schließlich.
„Und hier fühlst du dich wohl?"
„Naja, ich weiß nicht, ob ich Zayn ewig auf der Tasche liegen will, aber ja. Und überhaupt ... Wenn ich das nächste Mal spontan abhaue, nehme ich dich auf jeden Fall mit."
Ich muss grinsen und er auch. Es stimmt, dass wir Zayns Gastfreundschaft nicht ewig in Anspruch nehmen können.
„Woran denkst du?", fragt er, als ich eine Minute später immer noch nicht geantwortet hab.
Ich denke daran, mir heute noch den erstbesten Job zu suchen, den ich finde. Einer, der keinen Spaß macht, aber viel Geld bringt, damit ich meine Schulden abbezahlen kann. Damit ich genug Geld zusammensammeln kann, um mit Harry abzuhauen. Oder vielleicht auch nicht.
Ich denke daran, mir viel Zeit bei der Jobsuche zu lassen. Etwas zu finden, was ich wirklich machen will. Die nächsten Jahre zusammen mit meinen zwei besten Freunden hier zu wohnen.
Das ist schöne und das beängstigende daran, frei zu sein. Alle Möglichkeiten stehen offen.
„Das sage ich dir, wenn ich den Gedanken zu Ende gedacht habe", antworte ich.
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Das war's also. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diese Geschichte nach drei Jahren und 100K Wörtern tatsächlich nochmal zu Ende schreiben werde.
Sagt mir gerne, was ihr denkt, auch für Kritik bin ich total offen.
Danke fürs Lesen! <3
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you are a home that I want to grow up in
FanfictionLouis' Leben stellt sich auf den Kopf, als unerwartet ein fremder Junge in seinem Zimmer einzieht und sich ab jetzt ein Bett mit ihm teilen soll. Dass Louis Jungs eigentlich mag, aber niemals etwas mit ihnen anfangen würde, erleichtert die Sache nic...