35.

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Ich muss dann doch wegsehen. Ich kann der Anspannung nicht standhalten. Ich starre auf den Reißverschluss von Harrys Jacke und spüre mein Herz heftig hämmern. Das Licht der Straßenlaterne neben uns flackert leicht. Der Wind ist kälter geworden.

Ruhig bleiben, Louis. Ich atme tief durch. Keine Panik. Es ist nur Harry. Er mag dich. Trotzdem bin ich nervös. Ich fahre mit den Fingerspitzen unruhig über meine schweißige Handfläche. Das hier ist nicht meine Art. Ich begebe mich nicht einfach so ohne Notfallplan in eine verletzliche Position. Hier ist nichts, was mich schützt. Ich kann es nicht mal auf irgendeinen Alkohol schieben, weil ich so verdammt nüchtern bin.

Als keine Antwort kommt und ich es nicht mehr aushalte, hebe ich vorsichtig meinen Blick. Harry hat die Lippen aufeinander gepresst. Sein Blick ruht auf meinem Gesicht und er wirkt überrascht. Wirklich überrascht. Er hat damit genauso wenig gerechnet wie ich. Er ist diesen Mut genauso wenig von mir gewohnt wie ich. Sein Ausdruck macht mich noch nervöser. Ich halte den Atem an.

Für einige Sekunden fühle ich mich wie in einer Schwebe. Ich kann nicht mehr zurückrudern und das will ich auch gar nicht, aber ich kann auch nicht vorwärts, solange Harry nicht antwortet. Ich kann nur schweigen und warten. Dabei ist das hier keine Überraschung. Es ist ein Thema, das die ganze Zeit da war, aber nie ausgesprochen wurde. Von Harry öfter versucht, von mir immer abgeblockt. Und jetzt ... Ich räusperte mich, als ich es nicht mehr aushalte. „Also?", frage ich mit kratziger Stimme.

Harry blinzelt, als hätte er vergessen, worum es geht. „Was?"

Ich verziehe das Gesicht. „Du hast noch nicht geantwortet."

„Oh." Mehr sagt er nicht. Ich verlagere mein Gewicht von einem Bein aufs andere. Eine Gruppe Passanten geht an uns vorbei und ich gehe einen Schritt zurück, um ihnen Platz zu machen. Harry und ich sehen ihnen hinterher. Ich schlucke schwer. Sag was. Sag was.

Ich erwarte, dass ich jeden Moment von dieser Spannung reiß aus nehmen werde. Dass ich das Thema wechseln, oder lachen, oder vielleicht einfach weglaufen werde. Ich hasse es, wenn man mich zappeln lässt, ich hasse es, zu warten. Aber zu meiner Überraschung bleibe ich stehen und warte die langen Minuten, die es braucht.

Unsere Blicke treffen sich. Ich hebe eine fragende Augenbraue, versuche ein Lächeln. Harry lacht kurz, eine Art Schnaufen, aber es ist nicht hundertprozentig echt, da schwingt etwas mit, das ich nicht ganz identifizieren kann. Ich blinzele verwirrt. „Harry ...", sage ich und räuspere mich, weil meine Stimme nicht ganz so klingt, wie ich es gern hätte. „Es wäre cool, wenn du ... irgendwas sagen könntest."

„Ja ...", sagt er und weicht meinem Blick aus, aber er grinst. Ich hebe die Brauen. Macht er das mit Absicht?

Ich stoße ihm leicht gegen die Schulter. „Komm schon." Als er nur noch breiter grinst, verdrehe ich die Augen. „Harry!" Ich will ihn wieder anstoßen, aber diesmal fängt er meinen Arm in der Luft. Langsam lässt er seine Hand daran heruntergleiten, bis seine Finger meine finden und sich mit ihnen verschränken.

„Was denkst du denn?", fragt er, etwas ernster.

Ich zucke mit den Schultern. „Ist das ein ja?" Er zieht mich an der Hand weiter in Richtung unserer Wohnung. Er will jetzt einfach gehen? „Hey!", protestiere ich.

Ich will ihn aufhalten, ihn zur Rede stellen, aber stoppe in der Bewegung, als er mich wieder ansieht. Plötzlich wird mir klar, was da in seinem Gesicht mitschwingt. Die Farbe seiner Wangen und der Ausdruck seiner Augen verrät es.

Harry ist nervös. Mindestens genauso nervös wie ich. Er lacht nicht über mich, sondern weil er überrumpelt ist. Er öffnet den Mund, schließt ihn wieder, entscheidet sich gegen das Sprechen und zieht mich weiter. Und diesmal bin ich es, der grinsen muss.

Und mir wird auch klar, warum ich zwar nervös bin, aber nicht so panisch, wie ich normalerweise wäre. Ich bin mir ungewöhnlich sicher. Ich brauche keine Antwort. Ich zweifle nicht an Harry und wahrscheinlich wusste ich es schon die ganze Zeit. Er hat so oft versucht, mir näher zu kommen, mit mir darüber zu reden. Deshalb darf er jetzt ruhig schweigen. Es drängt nicht. Ich kenne seine Antwort, auch ohne dass er sie ausspricht.

Wir gehen zurück zum Haus und halten uns schweigend bei der Hand, beide dasselbe blöde Grinsen im Gesicht. Harry, der noch immer meinen Schlüssel hat, schließt die Tür auf. Wir gehen das Treppenhaus hoch, betreten die Wohnung. Es ist ganz still. Von Zayn wie erwartet noch immer keine Spur.

Wir sagen nichts, während wir uns erst in der Küche ein Glas Wasser teilen und dann zusammen Zähne putzen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir Zayn nicht wecken wollen oder daran, dass wir nichts sagen können. Manchmal erhasche ich Harrys Blick im Spiegelbild und spüre, wie mein Herz ein paar Schläge aussetzt. Wir spülen unsere Münder aus und erst da, auf dem Weg in unser Schlafzimmer, wird mir klar, dass wir nicht wirklich schweigen, sondern warten. Auf den Moment, an dem wir endlich die Schlafzimmertür hinter uns schließen können. Und allein sind.

Ich spüre die Aufregung plötzlich überall in meinem Körper. Ich sehe zu, wie unsere Schlafzimmertür aufgeht, und hinter uns wieder zuschlägt. Harry wirft mir einen ungewohnt schüchternen Blick zu und mein Herz zieht sich zusammen.

Ich hätte nicht gedacht, dass es sich anders anfühlen würde. Wir sind seit Monaten unzertrennlich. Wir sind immer zusammen. Was sollte sich jetzt ändern, nur weil ich ein paar ehrliche Worte gesagt habe? Harry scheint genauso von der Situation überfordert wie ich. Er räuspert sich. „Mann ... Sorry", murmelt er, mehr zu sich selbst als zu mir. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich nervös sein würde."

Ich muss grinsen weil er genau das ausspricht, was ich denke. Es kommt mir wahnsinnig vor, wie viel seit gestern passiert ist. Gestern morgen bin ich noch im Hostel-Zimmer aufgewacht. Vor einer Woche war ich noch ein Feigling. Und jetzt ... „Ich auch", sage ich leise.

Wir sehen uns an, beinahe schüchtern, wie zwei, die sich zum ersten Mal im Schlafzimmer des anderen aufhalten. Ich spüre das Bedürfnis, Harry näher zu kommen, so als würde es anders sein, als die zig Male zuvor. Ich beiße mir auf die Lippe und gehe einen Schritt auf ihn zu. Harry reagiert im selben Moment, setzt einen ebenso unbeholfenen Schritt vor, sodass wir uns mit einem Mal viel näher sind, als erwartet. Ich spüre die Elektrizität in der Luft. Und das Verlangen.

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter und entscheide mich, noch ein wenig mutiger zu sein. „Ich hab die Frage vorhin falsch gestellt", sage ich langsam. „Ich wollte nicht fragen, ob ich Zayn erzählen kann, dass wir zusammen sind. Eigentlich wollte ich fragen ... ob du mit mir zusammen sein willst."

Harry schmunzelt. „Kommt das nicht aufs selbe heraus?"

„Schon. Aber es wäre besser formuliert gewesen. Und was ich eigentlich sagen wollte ..." Wir sind uns jetzt sehr nah. Ich spüre Harrys Atem auf meinen Lippen und merke, wie ich weiche Knie bekomme. Ich konzentriere mich. „Was ich eigentlich sagen wollte, ist ... dass ich dich mag."

Harry stößt Luft aus, eine Mischung aus Nervosität, Belustigung, Aufregung. „Ach wirklich?", fragt er ironisch.

„Jap." Ich grinse. Er grinst.

Er sagt: „Ich mag dich auch." Und nach ein paar Sekunden fügt er hinzu: „Sorry, dass ich eben nicht geantwortet hab, ich bin einfach ..."

Er muss sich nicht erklären. Ich streiche über seinen Hals, mein Daumen an seiner Wange. Ein paar Sekunden komme ich mir noch unbeholfen vor, dann endlich scheinen sich unsere Hände daran zu erinnern, dass sie das hier nicht zum ersten Mal machen. Seine rechte Hand findet meine Taille. Meine linke Hand findet seine Rippen. Seine Lippen finden meine Wange, meinen Mundwinkel, meinen Mund.

Und plötzlich kommt es mir seltsam vor, dass ich dachte, es würde sich genau gleich anfühlen. Natürlich ist es anders. Weil das hier nicht mehr ein neugieriges Entdecken zweier Freunde ist oder eine spontane, intentionslose Berührung. Weil es nicht mehr ein Kampf ist, den ich mit mir selbst kämpfe. Weil nicht mehr ein Teil meines Gehirns versucht, mich aufzuhalten. Weil keine Schuldgefühle und Lügen mehr Grenzen zwischen uns aufbauen. Es sind nur noch Harry und ich und die Wahrheit, die wir endlich ausgesprochen haben.

Wir stehen. Dann stehen wir nicht mehr. Wir liegen. Während wir uns herumdrehen und atemlos küssen und ich spüre, dass die Hitze zwischen uns sehr schnell sehr unerträglich wird, suche ich nach Widerworten in meinem Kopf, oder meinem Körper. Einem Teil von mir, der das hier noch immer abschreckend findet. Aber da ist nichts.

Ich streiche eine lockige Strähne aus Harrys Gesicht. Sein Mund ist warm an meinem und für einen Moment muss ich die Augen öffnen und ihn ansehen. Ich sehe in seinem Blick, dass er auch darüber nachdenkt. Die Frage steht zwischen uns im Raum. „Ich will es jetzt tun", flüstere ich.

„Bist du sicher? Wir können uns alle Zeit der Welt lassen." Ich verfolge den Bewegungen seiner Lippen mit meinem Blick.

„Ich würde es gerne heute tun", flüstere ich. „Wenn du auch willst."

Er sieht mich an, seine Augen vertraut, sanft, wie schon am ersten Tag. Er nickt und küsst mich wieder und wieder versinken wir für ein paar Minuten in einen Zustand aus Küssen und Händen und Reibung, der meinen Verstand vollkommen abschottet. Mir ist wahnsinnig heiß, meine Hose ist eng, meine Lippen brennen und meine Stimme ist mehr ein raues Flüstern, als ich das nächste Mal von ihm ablasse. „Hast du ...?"

Er sucht seinen Rucksack. Er wühlt darin herum. Ich bleibe auf dem Bett sitzen und berühre meinen Mund mit dem Zeigefinger. Harry kommt wieder und ist über mir, küsst mich. Als ich mich auf die Matratze sinken lasse, folgt er mir. Ich öffne seine Hose und er meine und ich spüre es überall in meinem Körper, als er mich berührt. Sein Körper reagiert genauso wie meiner. Er löst sich von mir, um zu sagen: „Willst du ... oben oder unten? Mir ist beides recht."

Ich habe es mir so oft vorgestellt, dass ich nicht überlegen muss. „Ich glaube für den Anfang wäre oben weniger ... gruselig."

Harry lacht. „Ich habe nicht vor, heute irgendwas gruseliges mit dir anzustellen." Er küsst mich, Mund rot. „Willst du mir helfen?"

Wir machen es zusammen. Wir helfen einander, die Kleidungsstücke des anderen auszuziehen. Wir räumen das Bett frei. Harry legt sich hin und ich beuge mich über ihn, mein Mund mal auf seinem Mund, mal an seinem Hals. Er führt meine Hand zwischen seine Beine. Ich spüre, wie erregt er ist und wie sehr mein Herz rast. Er führt meine Hand weiter. Wir machen es zusammen.

Ich weiß nicht, warum ich jemals dachte, es würde unangenehm sein. Hier über Harry, seinem Körper dicht an meinem, fühlt es sich an wie das Natürlichste auf der Welt. Nichts in mir schreckt zurück. Nicht als ich mit den Fingern in ihn eindringe. Nicht als er beginnt, sich zu beugen, zu keuchen. Nicht als er mich an sich zieht und meine Finger wegdrückt. Nicht als ich frage „Okay?", er nickt, und ich in ihn eindringe und alles um mich herum verschwimmt.

Harrys Atem geht zittrig. Ich hatte immer gedacht, dass ich mich nur mit viel Mühe dazu bringen könnte, mit ihm zu schlafen. Dass ich erst nach ewigem Hin und Her und einer halben Existenzkrise einwilligen würde. Dass Harry mir zeigen würde wie es geht, ruhig, selbstsicher, entspannt.

Aber so ist es nicht. Für mich ist es zwar das erste Mal, dass ich mit einem Mann schlafe. Aber für ihn ist es auch das erste Mal, dass er mit mir schläft. Im Zimmer ist es still, bis auf unsere beschleunigten Atem und das leichte Quietschen des Betts. Ich drücke mein Becken vor, meine Hände auf den Innenseiten seiner Oberschenkel. Harrys Finger sind in meinen Haaren vergraben. Ich löse meinen Mund von seinem Hals, um ihn anzusehen. Seine Augen sind halb geschlossen, seine Stirn glänzt, die Lippen rot und ich erkenne spuren meiner Zähne in ihnen. Meine Augen fragen: Ist das okay?

Seine Augen antworten: Ja.

Danach frage ich nicht mehr. Ich denke nicht mehr. Ich schließe meine Augen und stoße mein Becken vor. Harry drückt sich mir entgegen. Das Quietschen wird lauter. Unser Keuchen wird lauter. Plötzlich kostet es mich alle Anstrengung nicht noch lauter zu sein und ich muss mich daran erinnern, dass wir nicht allein in der Wohnung sind.

Harry merkt es. „Shhh", macht er, seine Hände rutschen an meine Wange und er zieht mich zu sich, um mich zu küssen.

„Ich werd's ihm eh morgen erzählen", flüstere ich frustriert.

Harry hebt beide Brauen und grinst. „Du willst ihm hiervon erzählen?" Der Ton seiner Stimme passt nicht zu seinen Worten. Er sagt sie neckend, tief, verführerisch, und fügt leise hinzu. „Von allem? Auch ... hiervon?"

Plötzlich dreht er uns mit einem Ruck herum und diesmal kann ich das Stöhnen nicht unterdrücken, weil er jetzt nackt und breitbeinig auf mir sitzt und sich der Winkel verändert hat und ich – „Fuck!"

„Shhh", macht er wieder aber diesmal lacht er. Er beugt sich zu mir runter, sein Po bewegt sich gegen mein Becken, und küsst mich, sodass mein Keuchen in seinem Mund untergeht. Ich überlasse ihm die Kontrolle und gebe mich ihm ohne Widerrede hin. Er ist warm, seine Haut glänzt im schwachen Licht der Nacht, die durch das Fenster scheint. Ich lege meine Hände auf seine Hüfte, lasse sie mit den Bewegungen mitgehen. Ich schließe die Augen, als die Hitze sich in meiner Mitte sammelt und unerträglich wird. Mein Atem stockt. Harry lässt sich tiefer sinken und ich schnappe nach Luft, bevor ich meine Hand auf meinen Mund drücke, um die Laute zurückzuhalten. Ich spüre seinen Blick auf mir, während ich komme. Er beobachtet mich, und ich beobachte ihn, beiße mir auf die Hand, als er sich langsam vorbeugt, seine Lippen auf meinen Hals legt und mir sein stockender Atem verrät, dass auch er sein Limit erreicht hat.

Ich spüre alles auf einmal. Ich schließe die Augen und konzentriere mich nur auf unsere Körper. Die Hitze, die uns wie eine Welle überschwemmt. Das warme Gefühl, das sie zurücklässt. Draußen hat es begonnen zu regnen. Tropfen prasseln gegen das Fenster. Ich lasse mich in die Matratze sinken und Harry legt seine Stirn an meine Brust, sein Atem schnell. Für eine Weile atmen wir nur und lauschen dem Regen.

Ich starre gegen die Decke. Harrys Haare kitzeln meinen Hals. Ein müdes Lächeln liegt auf meinen Lippen. Vorsichtig spanne ich meine Bauchmuskeln an, um mich aufzusetzen, wodurch auch Harry sich aufsetzen muss, sich seine Beine über meine legen, unsere Gliedmaßen gespreizt und ineinander verschränkt. Ich lege meine Hand an seine Wange und presse meine feuchte Stirn an seine. Seine Hände finden meinen Rücken. Er umarmt mich mit lockerem Griff. Nach einiger Zeit erwidere ich die Umarmung. Es ist sehr dunkel im Zimmer. Langsam beruhigen sich unsere Atem. Harry malt mit dem Finger Formen auf meinen Rücken. Ich fahre mit dem Finger seine Wirbelsäule entlang.

„Hey", flüstert er nach einiger Zeit.

„Hey."

„Bist du okay?"

Ich öffne die Augen. So wie wir sitzen, Stirn an Stirn, können sich meine Augen nicht auf sein Gesicht fokussieren, weil er zu nah ist. Ich sehe ihn trotzdem an. „Ja", flüstere ich. Da sind keine Zweifel. Keine Ängste. Es ist genauso, wie es sein sollte.

Wir sitzen eine ganze Weile dort, sachte aneinander gelehnt, Arme umeinander gelegt, Beine ineinander verschränkt. Wir sind noch eng beieinander, als wir irgendwann liegen und die Decke über uns ziehen. Harry drückt sein Gesicht in meine Schulter. Ich presse einen Kuss auf seine Stirn. So schlafen wir ein.

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