Harrys Lächeln spiegelt sich in meinem eigenen Gesicht wider. Er hat die Augen noch halb geschlossen, bloß hin und wieder huscht sein Blick über mein Gesicht, was dazu führt, das sein Lächeln jedes Mal ein Stück breiter wird. Er liegt auf dem Rücken, die Decke ist halb von ihm gerutscht. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, seit wir aufgewacht sind. Und ich weiß auch nicht, wie lange ich ihn schon ansehe.
Harry lässt einen müden Atemstoß aus und dreht sich auf die Seite, sodass er mir zugewandt ist. Er schiebt seinen Fuß zwischen meine Unterschenkel, seine Locken fallen ihm ins Gesicht.
„Du bist kalt", merke ich an.
„Weil du nachts an der Decke gezogen hast."
Ich rutsche näher und lege meine Arme um seine Taille. Er ist nackt, genau wie ich. Ich ziehe ihn an mich. Mit einer Hand lege ich die Decke so über uns, dass er gut eingepackt ist. „Besser?"
Harry brummt als Zustimmung. Er seufzt glücklich. Obwohl wir nur wenige Stunden Schlaf hatten, fühle ich mich ungewohnt ausgeglichen. So als könnte ich heute aufstehen und etwas unternehmen. Als könnte ich ein aufwändiges Frühstück zubereiten. Vielleicht sogar Einkaufen gehen.
Wir liegen ein paar Minuten aneinander gekuschelt da, während wir langsam wacher werden. Von draußen scheint die Sonne durchs Fenster auf unsere Bettdecke. Ich habe keine Ahnung, welcher Wochentag heute ist, geschweige denn welches Datum. Es könnte Sonntag sein, genauso Mittwoch.
Harrys Atem wird langsamer an meinem Hals. „Bist du wieder eingeschlafen?", flüstere ich.
„Mhm", sagt er. Also ja. Ich grinse und würde liebend gern bei ihm bleiben, aber meine Muskeln schreien danach, heute nicht den Tag zu verschlafen. Und mein Hunger auch.
„Ich mach Frühstück. Ich bring's dir gleich ans Bett."
Er brummt und ich will mich von ihm lösen, aber er protestiert. „Nein."
Ich lache, lasse meine Finger über seine Rippen fahren. „Nein?"
„Ich komme mit." Er löst sich von mir. Seine Augen sehen nicht so aus, als würde er wirklich aufstehen wollen, doch er grinst und beginnt, mich zu schieben.
„Hey!" Er schiebt weiter, bis ich die Bettkante erreiche und ich greife nach seinen Armen. „Harry", sage ich warnend. „Ich –" Aber da schubst er mich auch schon vom Bett. Womit er nicht gerechnet hat, ist dass ich ihn an seinen Armen mitziehe und er mit einem Uff auf mir landet. Er lacht, seine Brust vibriert gegen meine und ich schnaube.
„Wofür war das denn?"
„Einfach so." Er stützt sich mit den Ellenbogen links und rechts von meinem Kopf ab und grinst auf mich hinunter. Dann, langsam, als wollte er sich die Zeit nehmen, als wollte er es wirklich genießen, überbrückt er den Abstand zwischen uns und küsst mich sachte auf den Mund. Meine Augen fallen zu und ich erwidere den Kuss ebenso sanft. Ich hebe meine Hand um ihm durch die Haare zu streichen. Und obwohl unsere Münder so vorsichtig sind, so unschuldig, liegen wir trotzdem nackt aufeinander, die Körper aneinander gepresst und ich spüre sehr schnell ein wohligen Ziehen durch meine untere Magengegend.
Ich küsse ihn nochmal, löse mich dann von ihm. „Lass uns genau an dieser Stelle weitermachen. Nach dem Frühstück."
„Mhh", macht Harry. Er sieht auf mich hinab. Als er sich aufrappelt, rutscht er mit seinem Körper an meinem entlang und ich weiß nicht, ob er das mit Absicht macht, aber ich muss kurz scharf die Luft einziehen, während er so tut, als hätte er es nicht bemerkt. Er steht auf und sucht seine Klamotten zusammen. Ich beobachte ihn und merke gar nicht, wie sehr ich starre. Als er Boxershorts und ein T-Shirt trägt, sieht er mich an. „Willst du da noch ewig rumliegen? Ich dachte du wolltest unbedingt frühstücken."
Ich beiße mir auf die Unterlippe und rappele mich auf, um mich anzuziehen und ihm zu folgen.
Der Kühlschrank gibt nichts sonderlich viel her, aber immerhin gibt es Kaffee, ein paar Toasts und Marmelade. Die Küche sieht so sauber aus wie noch nie, was auf meine Putzaktion gestern zurückzuführen ist. Als ich den Kühlschrank öffne, sehe ich, dass von Zayns Essen, das wir gestern für ihn mitbestellt haben, wirklich nichts mehr zu sehen ist. Ich schüttele den Kopf, greife nach der Marmelade und schließe die Tür wieder. Harry übernimmt den Kaffee, während ich uns Toasts schmiere. Wir stehen nah beieinander vor der Küchentheke und ich lehne mich ein Stück nach rechts, um meine Hüfte leicht gegen Harrys zu drücken. Da ist diese unsichtbare Kraft, die in mir ständig das Bedürfnis auslöst, ihm nah zu sein. Harry hebt seinen Blick und lächelt mich an. Ich lächele zurück.
Plötzlich hören wir ein Poltern aus dem Flur. Ich lasse fast das Messer fallen und Harry verschüttet einige Tropfen vom Kaffee. In der Tür steht Zayn. Er trägt eine schwarze Jacke und hat seine Haare zurechtgemacht. Seine Miene sieht aus, als hätte er gerade jemanden umgebracht, oder als wollte er es gleich tun. Im vorwurfsvollen Ton sagt er: „Warum grinst ihr so blöd durch die Gegend? Ihr seht scheißglücklich aus."
Wenn Zayn nicht Zayn wäre und ich nicht ich wäre, würde mich seine Mimik und sein aggressiver Ton wahrscheinlich abschrecken. Wahrscheinlich würde ich sie als Indiz dafür lesen, dass er immer noch sauer auf mich ist. Aber Zayn ist nun mal Zayn und ich bin ich und deshalb weiß ich, dass die Tatsache, dass er überhaupt hier steht, uns ansieht und mit uns spricht, ein verdammt großer Fortschritt ist.
Ich will mich räuspern aber es klingt eher wie ein Husten und ich weiß nicht, was ich antworten soll. Harry, gewohnt lässig, erwidert: „Kann man von dir ja nicht behaupten."
„Ich muss zur Arbeit." Er kramt in seinen Jackentaschen und zieht eine Zigarette hervor, die er sich demonstrativ hinters Ohr schiebt. Wie um zu sagen: Schau, was du mir angetan hast. Das ist deine Schuld. Er wirft uns noch einen griesgrämigen Blick zu, bevor er sich zur Tür wendet und die Wohnung verlässt.
Da geht er wieder. Mein ehemaliger bester Freund. Doch die Chance, dass er mit sich reden lässt, wirkt plötzlich doppelt so hoch wie gestern noch. Ich spüre es in meiner Brust ziehen und weiß, dass ich hier nicht acht Stunden auf seine Rückkehr warten kann. Und überhaupt, wer weiß, in welcher Stimmung er dann ist. Zayns Launen sind unberechenbar. Abrupt lasse ich mein Messer fallen. Diesmal wirklich.
„Ich ...", stammele ich, sehe Harry an, dann die Tür. „Ich muss ..."
„Schon klar." Harry packt mich an den Schultern und schiebt mich aus der Küche in Richtung Schlafzimmer. „Muss ich mitkommen oder schaffst du das allein?"
„Ich schaff das." Ich greife mir die erstbesten Klamotten, die ich finde, merke erst als ich sie trage, dass es Harrys sind, aber habe weder Zeit noch Nerven, etwas daran zu ändern. „Bist du sicher, dass es für dich okay ist? Wegen dem Frühstück –"
„Wenn es nach mir ginge, hätten wir mit dem Frühstück eh noch gewartet." Er wackelt mit den Brauen und drückt mir einen Kuss auf den Mund. Dann gibt er mich frei. Ich schnappe mir eine Jacke und schlüpfe in meine Schuhe. „Bis später!", rufe ich, schon halb aus der Wohnung.
„Schnapp ihn dir, Cowboy!", kommt zurück und ich verdrehe noch die Augen, bevor ich die Tür hinter mir schließe.
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Ich renne. So richtig. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt gerannt bin. Die Welt rast an mir vorbei, ich biege eine scharfe Kurve ab, sprinte über eine Ampel, spüre das Blut in meinem Kopf rauschen. Ich höre die U-Bahn schon, als ich noch oben stehe. Ich nehme drei Treppenstufen gleichzeitig, da steht sie, die Bahn, die Türen piepen schon. Mit einem Satz springe ich hindurch und lande schwer atmend zwischen zwei älteren Damen, die mich erschrocken ansehen.
„Na, na, Sie hätten uns umrennen können!", sagt die eine mit gerunzelter Stirn.
„Tut mir leid", keuche ich. Mein Hals brennt und ich sehe mich um. Zayn ist grundsätzlich faul und steigt in der Regel durch die Tür der U-Bahn ein, die am nächsten an der Treppe liegt. Also die Tür, durch die auch ich gekommen bin. Ich strecke mich, um zwischen den Köpfen der Fahrgäste hindurch sehen zu können. Nach wenigen Sekunden entdecke ich ihn. Er steht mit dem Rücken zu mir, aber es ist definitiv sein Hinterkopf.
Ich quetsche mich durch die Menge hindurch. „Zayn!", rufe ich völlig außer Atem. „Zayn!"
Er dreht sich um, als ich schon bei ihm bin. Er sieht überrascht aus und nicht sonderlich glücklich, mich zu sehen. „Was machst du hier?" Ich will sprechen, aber erstmal muss ich verschnaufen. Ich halte mir den Bauch und keuche. „Das nenn ich mal Ausdauer", sagt Zayn sarkastisch. Ich ignoriere den Kommentar. „Ich will nicht mit dir reden, Louis. Ich muss zur Arbeit."
Endlich finde ich meine Sprache wieder. „Es dauert nicht lange." Einatmen. Ausatmen. Einatmen. „Versprochen. Ich will mich nur entschuldigen."
„Ach nee." Zayn verdreht die Augen. „Das ist ja was ganz neues."
Ich ignoriere seinen Ton und nicke. „Ja, also. Entschuldigung. Fürs Lügen und alles. Ich war ein Idiot."
„Ich habe gesagt, dass ich nicht reden will, Louis." Zayn wendet sich ab und beginnt, sich durch die Menge zu drängen, weg von mir. Ich folge ihm ohne zu zögern und rede einfach weiter.
„Ich hätte dir vertrauen sollen und dich in meine Sorgen mit einbeziehen sollen, statt sie zu überspielen!", rufe ich ihm zu. Ein Mann mit Glatze und Vollbart sieht mich stirnrunzelnd an und auch ein paar andere Gäste drehen sich neugierig zu mir um. Einem anderen Louis wäre das hier vielleicht peinlich gewesen. Aber mir nicht. Zayn dagegen schon.
„Sag mal, musst du hier so rumbrüllen?"
„Müsste ich nicht, wenn du nicht weglaufen würdest!" Wir erreichen jetzt den zweiten Wagen und Zayn wirkt mittlerweile nur noch genervt. Kurzerhand schiebt er seine Hand in die Jackentasche und fischt Kopfhörer heraus. Das hat mir gerade noch gefehlt. Gibt es nicht irgendwas, das seine Aufmerksamkeit erregt? Irgendeinen Satz, mit dem ich ihn zum Zuhören bringen kann? Irgendwas, das ihn so richtig schockiert?
Ich beiße die Zähne zusammen und sehe mich um. Das hier kann ziemlich peinlich werden. Aber es ist es mir wert. Ich nehme all meinen Mut zusammen und gehe noch einen Schritt auf ihn zu. Ich hole tief Luft. „Ich hab gestern mit Harry geschlafen!"
Jetzt habe ich wirklich die Aufmerksamkeit aller Menschen, die um uns herum stehen. Manche machen große Augen, andere beginnen zu flüstern, aber ich ignoriere sie. Mein Blick ruht auf Zayn, dessen Miene wie eingefroren ist. Er starrt gegen die Fensterscheibe, die bloß die rasende Dunkelheit von Londons U-Bahnschächten zeigt. Ganz langsam schiebt er die Kopfhörer zurück in seine Jackentasche und dreht seinen Kopf zu mir. Seine Augen leuchten. „Du hast ... was?"
Endlich erreiche ich ihn und diesmal läuft er nicht weg. Er starrt mich an. Plötzlich habe ich all seine Aufmerksamkeit. Das, was ich die ganze Zeit wollte. Andererseits ... muss ich jetzt auch weitererzählen. Ich spüre wie ich rot werde und weiche Zayns Blick aus, sehe stattdessen auf sein Ohr. „Wir ..." Ich räuspere mich. „Wir sind zusammen. Seit gestern. Aber naja, das ganze geht schon ein paar Monate ..."
Ich weiß nicht, was ich erwarten soll. Eine neue Flut von Zayns Wut, die über mich hinein bricht, weil ich ihm wieder etwas verheimlicht habe? Ein „Hah, ich wusste doch, dass du bi bist"? Ein High Five und ein „Glückwunsch, Kumpel"? Vorsichtig sehe ich Zayn in die Augen. Seine Miene verrät nichts. Er sieht mich ungläubig an. Die nächste Station wird angezeigt. Noch gut drei Minuten, bis wir da sind.
Weil er nicht antwortet, nutze ich die Gelegenheit, um zu sprechen. Wenn ich ihn schon mal für mich habe und er mir zuhört, muss ich das auch ausnutzen. „Ich hab's dir nicht erzählt, weil ich mir unsicher war, ob ich das wirklich will oder nicht, und ich nicht wollte, dass ich es irgendwie ... zerrede."
Zayn nickt stumm. Das versteht er.
„Und als ich dir von dem Rest erzählt hab, konnte ich es auch nicht sagen, weil ich nicht wusste, ob Harry damit einverstanden wäre. Aber wir haben gestern Abend alles geklärt."
„Na dann habt ihr ja Glück gehabt, dass ich gestern nicht aufgekreuzt bin", murmelt Zayn tonlos. Ich presse die Lippen aufeinander. Ich wollte ihm so viel sagen aber jetzt weiß ich nicht mehr, was. Er weiß, dass es mir leid tut.
Weil mir nichts besseres einfällt, versuche ich es also wieder. „Auf jeden Fall möchte ich mich nochmal richtig bei dir entschuldigen. Ich hab mich wirklich mies verhalten und ich schwöre, dass ich dich nicht mehr anlüge. Ich hab mein Studium abgebrochen und –"
„Wow."
„Ja, und –"
Zayn hebt den Blick zur Haltestellenanzeige. Wir sind fast da. Ohne etwas zu sagen quetscht er sich zur Tür durch und ich folge ihm instinktiv.
„Und ich hab auch mit meiner Mutter einiges geklärt."
Die U-Bahn hält. Die Türen gehen auf. Wir steigen zusammen mit einer Traube aus Menschen aus und Zayn geht zielstrebig auf die Treppen zu, während er eine Zigarette aus seiner Jackentasche fischt.
„Und du kannst ruhig noch ein bisschen sauer sein, ich verlange gar nicht, dass du mir sofort verzeihst."
Ich folge ihm die Treppen hoch. Ich muss mich anstrengen, so schnell ist er. Oben bleibt er stehen, um sich die Zigarette anzuzünden und ich laufe fast in ihn rein.
„Und außerdem -"
Jetzt stöhnt er laut auf. „Kannst du mal die Luft anhalten?", schnauzt er mich an. „Ich hab's kapiert, okay? Können wir jetzt wieder über Harry reden?"
„Über Harry?"
„Über Harry. Ich will alles wissen. Jedes Detail." Ich sehe Zayn ungläubig an. Er zieht an seiner Zigarette und sieht zurück, die Brauen gehoben. Schließlich schnauft er. „Weißt du wie lange ich darauf gewartet hab, dass was zwischen euch passiert? Na los, lass mich nicht zappeln!"
Ich muss verwirrt lachen. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", sage ich kopfschüttelnd.
Zayn zuckt mit den Schultern und geht weiter. „Am Anfang. Meine Schicht geht acht Stunden. So lange hast du Zeit." Ich will es ihm erzählen. Ich will ihm alles erzählen. Ich will ihm so viel erzählen, dass es all die Dinge, die ich verheimlicht habe, wieder gut macht. Für einen kurzen Moment bröckelt Zayns Fassade und er grinst. Er sieht in den Himmel und bläst Rauch aus. Als er es bemerkt, entgleiten ihm sofort alle Gesichtszüge. Er sieht mich wieder streng an. „Schieß los, Louis", sagt er ungeduldig. „Und hör auf so scheiße zu grinsen, das nervt."
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you are a home that I want to grow up in
FanfictionLouis' Leben stellt sich auf den Kopf, als unerwartet ein fremder Junge in seinem Zimmer einzieht und sich ab jetzt ein Bett mit ihm teilen soll. Dass Louis Jungs eigentlich mag, aber niemals etwas mit ihnen anfangen würde, erleichtert die Sache nic...