Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlage, ist mein erster Gedanke, dass ich ein verdammt schlechter Freund bin. Mein zweiter Gedanke ist, dass ich etwas ändern muss. Und mein dritter, dass Harry beim Schlafen wahnsinnig verletzlich aussieht. Er liegt auf dem Bauch, sein Gesicht mir zugewandt, die Lippen zu einem leichten Schmollmund verzogen, und da ist dieses unruhige Zucken seiner Brauen, das alle Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Es verzieht den friedlichen Ausdruck in seinem Gesicht zu etwas Ruhelosem. Sein eigentlich ruhiger Atem wird immer wieder durch einen Aussetzer unterbrochen. Ob er schlecht träumt?
Ich bleibe tief in die Matratze gebettet liegen und beobachte ihn eine ganze Zeit lang. Ich versuche meine Ignoranz von gestern Nacht wieder gut zu machen, indem ich mich in ihn hineinversetze. Ich stelle mir vor, in seiner Situation zu sein. Versuche mich daran zu erinnern, was er mir gestern erzählt hat. Aber ich hatte mich kaum auf ihn konzentriert. Alles, was mir lebhaft im Gedächtnis geblieben ist, sind die Küsse, mit denen ich ihn und mich abgelenkt habe. Ohne es richtig zu bemerken, fahre ich mir mit den Fingern über die Lippen.
Harry zuckt im Schlaf zusammen. Ich spüre einen Stich in meiner Brust und plötzlich erscheint es mir wie Hochverrat, dass ich ihm gestern nicht zugehört habe. Dass mir meine Probleme wichtiger waren, als seine. Gleichzeitig erscheint es mir absolut egoistisch, wie sehr ich mich auf mich selbst versteift habe, und dass ich ihn damit auch noch belasten wollte. Ich will ihm alles erzählen. Aber jetzt gerade hat Harry eindeutig anderes im Kopf, und das hat Vorrang.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich denke, oder ob ich einfach nur wieder eine Ausrede suche, die Wahrheit wenigstens noch ein paar Tage hinauszuzögern, aber es ist doch ein logischer Entschluss, mit der ganzen Sache zu warten, bis die Dinge ruhiger geworden sind. Bis Harry nicht mehr an seinen Vater oder seine Mutter oder sonst wen denken muss. Zu erfahren, dass der Typ, mit dem er seit Monaten ein Bett teilt, ihn die ganze Zeit anlügt, würde wahrscheinlich nicht gerade helfen.
Es sollte jetzt gar nicht um mich gehen. Es muss um ihn gehen.
Ich werde ungeduldig, während ich ihn beim Schlafen beobachte. Ich spiele mit dem Gedanken, ihn aufzuwecken. Das Gespräch von gestern nochmal neu zu beginnen. Hey, ich habe gestern irgendwie nicht aufgepasst. Wie war das nochmal mit deinem Vater? Seufzend und wütend über mich selbst, reibe ich mir über die Stirn. Ich schwöre mir, ab jetzt besser zu sein. Besser zu ihm zu sein. Ich rutsche ein Stück näher und ziehe die Decke ein Stück höher, um seine Schultern zu bedecken. Als ich meine Stirn an seine lege, zucken seine Wimpern und er beginnt, zu blinzeln.
„Schlaf weiter", flüstere ich.
Er brummt. Rutscht näher an mich. Seine Nase drückt gegen meine Wange und ich schließe die Augen. Ich war ewig nicht einem Menschen so nah. So auf Dauer. Jeden Tag. Ich atme seinen Geruch ein und warte darauf, dass er wieder einschläft. Aber das tut er nicht. Stattdessen zieht er nach ein paar Minuten sein Gesicht zurück und blinzelt mich verschlafen an. Er lächelt, und irgendwie erleichtert mich das. Vielleicht, weil er eigentlich sauer auf mich sein sollte. Aber das weiß er noch nicht. Und das soll er auch jetzt noch nicht wissen.
„Guten Morgen", flüstere ich. Wir sehen uns an. Und weil meine Hand in der Nähe seines Gesichts liegt und ich nur ein paar Zentimeter brauche, um ihn zu berühren, streiche ich mit dem Daumen über seine Wange. Er beobachtet mich dabei, müde aber aufmerksam. Ich denke daran, was er gestern gesagt hat. Zumindest daran kann ich mich erinnern. Dass er darauf gewartet hat, dass ich ihn wieder küsse. Und diesmal will ich ihn nicht warten lassen.
Ich bringe unsere Gesichter nah aneinander, bis sich unsere Nasen berühren. Ich warte ein paar Sekunden, bis er von selbst näher rutscht und sich unsere warmen, vom Schlaf etwas spröden Lippen treffen. Es ist ein kurzer aber fester Kuss, wie eine Begrüßung. So als könnten wir das jeden Morgen machen. Meine Hand bleibt ruhig auf seiner Wange liegen.
„Woah", murmelt er, die Augen geschlossen und ein Grinsen auf den Lippen. „Womit habe ich das verdient?"
„Soll ich dir Frühstück machen?", stelle ich als Gegenfrage.
Jetzt hebt er eine Augenbraue. „Warum?"
Um mein schlechtes Gewissen zu beseitigen. „Warum nicht?"
„Okay." Er grinst, gähnt und drückt sein Gesicht zurück ins Kissen, rollt sich auf den Bauch und will ganz offenbar nochmal einschlafen. Ich setze mich auf, streiche ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann beuge ich mich nochmal runter um ihm einen Kuss direkt unters Ohr zu drücken. Ich sehe das Grübchen auf seiner Wange. „So früh und schon so viel Aufmerksamkeit" murmelt er ins Kissen. Ich antworte nicht, grinse nur zurück, stehe auf und mache mich auf den Weg in die Küche.
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Der Kühlschrank ist leer, aber ich finde noch ein paar Aufbackbrötchen im Eisfach und ein paar Reste Nutella, die ich mit einem Löffel aus dem Glas kratzen, und dabei ein paar Klumpen Butter, die irgendein Idiot ins Nutellaglas geschmiert hat, ausweichen muss. Als ich einige Minuten später mit zwei Tassen Kaffee und einem Teller die Küche verlasse, treffe ich Zayn im Flur, der nur in Boxershorts bekleidet und mit den schwarzen, zerstrubbelten Haaren echt fertig aussieht.
„Gehts dir gut?", frage ich stirnrunzelnd.
„Klar. Mega", brummt er. So richtig kaufe ich ihm nicht ab, dass er das mit Gigi so einfach wegsteckt. Sein Blick huscht über das Frühstück in meinen Händen. „Ist das für mich?"
„Träum weiter."
„Harry?"
Ich versuche, ein so ausdrucksloses Gesicht wie möglich zu behalten. „Ja ..."
Zayn sieht mich an, sein rechtes Auge zuckt leicht. „Aha", sagt er dann vieldeutig. Er geht an mir vorbei in die Küche und ich höre das Klicken des Wasserkochers. Ich will gerade zurück ins Schlafzimmer, als er nochmal das Wort ergreift. „Alter, hast du schon wieder den Kaffee leer gemacht?"
Ich fluche innerlich. „Es ist nicht meine Schuld, dass du immer extra einen winzigen Rest drin lässt, sodass ich ihn leer machen muss."
„Ich brauche Kaffee", stöhnt er.
„Ist ja gut, ich kaufe gleich neuen. Darf ich erstmal frühstücken?"
„Beeil dich."
Harry sitzt grinsend im Bett, als ich ins Zimmer zurückkomme. „Es stimmt", sagt er, sodass Zayn es von der Küche aus nicht hören kann. Ich schließe die Zimmertür mit dem Fuß und stelle die Tassen und den Teller auf dem Nachttisch ab. „Er lässt wirklich immer absichtlich einen Rest drin, damit er nichts nachkaufen muss."
Ich schüttele schnaubend den Kopf. „Leider darf ich mich nicht beschweren."
Ich rutschte zurück unter die warme Decke und drücke Harry eine Tasse in die Hand. Den Teller lege ich auf meinem Schoß ab. Harry nuschelt ein Danke, und irgendetwas von dem unglaublichen Service, reibt sich die Augen und wirkt noch nicht wach genug, um viel zu reden. Ich beobachte ihn beim Essen, während ich in meine Kaffeetasse puste und dabei überlege, wie ich das Gespräch von gestern wieder aufbringe.
„Wann genau triffst du dich mit deinem Papa?", frage ich beiläufig und beiße in mein Brötchen.
„Am Mittwoch. Nachmittags."
„Bei ihm Zuhause?"
„Ja."
Ich trinke einen großen Schluck Kaffee. Ich will nichts fragen, was er gestern schon erzählt hat. Harry bemerkt mein Schweigen und sieht mich einige Sekunden lang an, während er weiter isst. „Machst du dir Sorgen?", fragt er plötzlich, und da ist ein neckendes Grinsen in seinem Gesicht, das mich rot werden lässt.
„Nein. Naja, also ich mache mir schon Gedanken ..."
Sein Grinsen wird breiter. „Das ist lieb von dir."
Von wegen lieb. Lieb ist das letzte, was ich bin. „Ich meine nur ... dass du gerne darüber reden kannst ... ich wollte dich gestern wirklich nicht unterbrechen."
„Ich mochte die Unterbrechung."
Ich kann mir ein Grinsen doch nicht verkneifen. Ich räuspere mich. „Also willst du nicht reden?"
Er schüttelt langsam mit dem Kopf. „Nein. Ich glaube, ich würde mir nur unnötig den Kopf zerbrechen. Was ist mit dir?"
„Mit mir?"
„Willst du über irgendwas reden?"
Ich runzele die Stirn. Das verläuft nicht so wirklich nach Plan. „Ich wüsste nicht, worüber."
Er zuckt mit den Schultern. „Zum Beispiel darüber, dass du mich heute morgen einfach so mit einem Kuss geweckt hast." Er grinst mich an und ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt.
„War das – durfte ich das nicht?"
„Doch." Er lacht. „Ich meine nur, falls du mir erzählen willst, wo wir stehen. Also, wir zwei ..."
Ich sehe ihn an. Ich spüre, wie sich mein Inneres davor sträubt, darüber nachzudenken. Ich wollte heute über ihn reden, nicht über mich. Und ich kann Harrys Blick nicht deuten. Was soll das heißen Wir zwei? Erwartet er etwas von mir? Ich räuspere mich und entschließe mich, immer dann die Wahrheit zu sagen, wenn es mir möglich ist. „Ehrlich gesagt ... denke ich da nicht so drüber nach", gebe ich zu. Ich öffne den Mund, schließe ihn wieder. Harry sieht mich an. „Ich meine – ich folge einfach meinem Bauchgefühl. Und mache das, was mir gerade in den Sinn kommt. Wenn das okay ist."
Harrys Blick huscht über mein Gesicht. „Das ist okay", sagt er. Dann grinst er. „Aber ich kann dich gerade nicht wirklich ernst nehmen, weil du schon seit fünf Minuten einen Klecks Nutella am Mund hast. Genau da." Er kommt näher und will mir mit der Hand über den Mund wischen, aber ich halte sein Handgelenk fest. Er wirkt erst verwirrt, hält aber den Blickkontakt und dann versteht er und sein Grinsen wird breiter. „War das jetzt gerade wieder dein Bauchgefühl?", murmelt er und kommt mit dem Gesicht näher.
„Ja", flüstere ich. Ich schließe die Augen, als er über meinen Mundwinkel leckt und als er mich wieder küsst, schmecke ich die süße Schokolade an seiner Zunge. Ich spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht. Wenn ich ihn küsse, ist es eine Sache, dann habe ich die Situation im Griff. Aber wenn er mich küsst ... Er winkelt den Kopf ein Stück an, und klettert mit einer kurzen Bewegung auf meinen Schoß. Ich höre, wie er klirrend die Kaffeetasse auf dem Nachttisch abstellt. Meine Hände finden wie automatisch seine Taille. Die Aufregung brodelt in meiner Brust und steigt hoch, in meinen Hals, sodass mir das Atmen schwerer fällt. Harry ist warm und trägt nur Boxershorts und er schmeckt nach Schokolade und Kaffee und vielleicht, wenn ich einfach meinen Kopf ausstelle, vielleicht könnten wir –
Es klopft an der Tür. Harry löst sich mit einem Lachen von mir und ich drücke ihm grinsend eine Hand auf den Mund, damit er still ist. „Jungs?"
„Was?", rufe ich zurück.
„Ich warte immer noch auf den Kaffee."
Ich stöhne und lasse meine Stirn gegen Harrys Brust sinken. Harry unterdrückt sich das Lachen, aber ich spüre es in Form von Vibrationen an meinem Gesicht. „Ich komme gleich."
Zayn entfernt sich wieder von der Tür. „Wahrscheinlich steht er seit fünfzehn Minuten nutzlos in der Küche rum und wartet auf Kaffee", flüstert Harry, immer noch lachend. Ich seufze grinsend.
„Wahrscheinlich." Ich nehme Harrys Gesicht in meine Hände und drücke ihm noch einen letzten Kuss auf den Mund. Dann scheuche ich ihn von meinem Schoß und ziehe mich an. Er beobachtet mich schweigend. Das Grinsend weicht nie von seinem Gesicht.
///
„Ich dachte, du hättest mal langsam wichtigere Dinge zu tun", sagt Zayn, als er die Hintertür der Tankstelle aufschließt.
„Was kann wichtiger sein, als dich an einem sonnigen Sonntag auf die Arbeit zu begleiten?"
Er schnaubt über meinen offensichtlichen Sarkasmus. „Lernen zum Beispiel. Müsste bei dir nicht langsam auch mal die Prüfungsphase anfangen?"
„Achso. Ja." Ich rattere die Monate in meinem Kopf durch. Es müsste wirklich langsam soweit sein, aber ich habe keine Ahnung, was ich zu tun hätte. Es ist eh alles zu spät und egal und sinnlos. „Ich lerne nachher noch", lüge ich. „Hatte nur heute keine Lust, alleine Zuhause zu sitzen."
„Hockt Harry wieder auf der Straße?"
„Jap, er spart für die nächste Miete."
„Guter Junge."
Ich folge Zayn durch den kleinen Flur mit den Toiletten in den Hauptraum. Zayns Arbeitskollege wirkt dankbar über die Ablösung und verschwindet so schnell wie möglich. Die meisten Leute, die reinkommen, wollen Alkohol, Zigaretten, oder bloß ihren Sprit bezahlen. Viel ist nicht los. Zayn trommelt gelangweilt mit den Fingern über den Tresen. „Gut, dass ich nicht mehr an Gigi denke", murmelt er plötzlich.
Ich schnaube. „Ja. Gut für dich."
„Und ans Rauchen muss ich auch kaum noch denken."
„Das freut mich."
„Musst du an irgendwas denken?"
Ich runzele die Stirn. Die Kaffeemaschine der Tanke kann ich mittlerweile selbst bedienen und tue so, als wäre ich hier Zuhause, als ich mir einen Milchkaffee zubereite. „Keine Ahnung. An Prüfungen?"
Zayn lässt seinen Nacken knacken. Durch die Glasfront beobachten wir, wie ein Auto parkt, der Kunde aussteigt und beginnt, zu tanken.
„Läuft da was zwischen dir und Harry?"
Ich verbrenne mich an dem heißen Becher und verschütte etwas Kaffee auf der Tresenoberfläche. Leise fluchend greife ich nach einer Serviette. Zayn beobachtet mich ungeduldig. „Du willst wirklich nicht akzeptieren, dass ich nichts mit Männern starten will, oder?", murmele ich in meinen dampfenden Becher.
Zayn legt den Kopf schräg und mustert mich von oben bis unten. „Ich meine nur. Du machst ihm Frühstück. Ihr klebt aneinander. Wenn ich reinkomme, wechselt ihr meistens das Thema. Ich trau mich ja nicht mal mehr, einfach ohne zu klopfen reinzukommen. Das ist so ein Gefühl, dass ich euch bei irgendwas stören könnte."
Ich beiße die Zähne zusammen. Zum Glück klopft er an, denke ich. Sonst hätten wir schon ein paar Mal auffliegen können.
„Und außerdem ..." Zayn behält den Kunden draußen im Auge, der gerade die Benzinkappe zuknallt. „Außerdem habe ich das Gefühl, dass du mittlerweile besser weißt, was in seinem Kopf vorgeht, als ich. Dabei kenne ich ihn fast mein ganzes Leben lang."
„Ich teile mir ja auch notgedrungen ein Bett mit ihm", kontere ich unbeeindruckt. „Wenn du eifersüchtig bist, kannst du auch gerne bei ihm mit einziehen und ich nehme dein Zimmer."
Zayn hebt beide Augenbrauen. „Ach, Tomlinson. Du bist so abhängig von mir, und trotzdem noch so frech. Schämst du dich gar nicht?"
Ich grinse unschuldig. „Doch, ein bisschen schon." Der Kunde betritt den Laden und ich mache mich mit meinem Becher auf in Richtung der kleinen Bartische neben der Theke, um Zayns Fragen zu entkommen. Mein Herzschlag geht ein bisschen schneller. Kurz hat er mich aus der Fassung gebracht. Ich stelle meinen Becher ab und setze mich auf den Barhocker. Ich plane, nicht lange hierzubleiben. Es ist nur, dass das alleine Zuhause Herumsitzen viel zu viel Zeit lässt, um herumzugrübeln. Und das tut mir momentan definitiv nicht gut. Vielleicht kann ich das nächste Mal meinen Laptop mitnehmen, und so tun, als würde ich lernen ...
Das Klingeln eines Handys bringt mich schließlich aus der Ruhe. Mein erster Gedanke ist, dass es meine Mutter ist. Ich fasse in meine Jackentasche und ziehe mein Handy raus, aber mein Display ist dunkel. „Ach fuck", murmelt Zayn, ohne sich daran zu stören, dass der Kunde ihn hört. Ich sehe mich um und entdecke Zayns Handy auf dem Tisch neben mir. „Wer ist das Louis?", ruft Zayn, während er mit gestresster Miene eine Schachtel Zigaretten abscannt.
Ich beuge mich über das Handy. „Unbekannte Nummer", rufe ich zurück.
„Kannst du mal rangehen?"
Ich verziehe das Gesicht. „Was, wenn es jemand ist, der mir einen Vertrag andrehen will?"
Zayn stöhnt genervt. Er murmelt dem Kunden ein schnelles Schönen Tag noch zu und kommt dann mit schnellen Schritten auf mich zu. Ohne zu zögern nimmt er das Telefonat an. „Hallo?" Seine Brauen sind zusammengekniffen und er wirft mir einen kurzen, seltsamen Blick zu. „Oh ... ja, hey. Nein, ich bin's. Zayn. Ja, genau. Er ist gerade nicht da." Zayn dreht sich zurück zur Tür, wo gerade ein neuer Kunde reinkommt. „Eigentlich ist es gerade schlecht", sagt er ins Handy. „Warte – warte kurz." Zayn seufzt, als sich der Kunde mit zwei Sixpack Bier an die Kasse stellt. Er dreht sich zu mir um. „Kannst du kurz übernehmen?", fragt er mich.
Ich hebe die Brauen. „Ich weiß nicht, wie man abkassiert."
Zayn verdreht die Augen. „Das meine ich nicht." Dann spricht er wieder in sein Handy. „Ich arbeite gerade. Ich gebe dir kurz meinen Mitbewohner, okay?"
Ich starre Zayn perplex an. „Wer ist das?", flüstere ich. Ich habe wirklich wenig Lust, mit irgendeinem von Zayns Bekannten zu plaudern. Aber im nächsten Moment habe ich auch schon das Handy in der Hand und Zayn sprintet zurück zur Kasse, um die sich dort langsam bildende Schlange zu bedienen.
Verwirrt starre ich auf das Display. Die unbekannte Nummer blickt mir entgegen. Ich unterdrücke ein lautes Seufzen und halte das Handy an mein Ohr. „Hallo?"
„Hallo? Zayn, bist du das jetzt noch?", fragt ein älterer Mann und ich ziehe verwirrt die Brauen zusammen.
„Hier spricht Louis Tomlinson", rattere ich monoton herunter.
„Ah, Louis. Louis, der Mitbewohner, richtig?" Ich blinzele verwirrt Zayn an, aber der ist mit seinen Kunden beschäftigt. Er hätte mir ruhig mal auf die Sprünge helfen können. Wer zum Teufel – „Mein Name ist Desmond Styles, Harrys Vater. Sie teilen sich also ... eine Wohnung mit meinem Sohn?"
Meine Kehle wird trocken. Harrys Vater? „Ja ... genau." Dass ich mir eigentlich ein Bett mit seinem Sohn teile, will ich ihm nicht unter die Nase binden. So wie er nach Harrys Outing reagiert hat, wäre das wahrscheinlich das letzte, was er wissen wollte.
Der Mann räuspert sich. „Es ist ... schön, Sie mal zu sprechen. Es gibt so viel in Harrys Leben, das ich nicht kenne. Sie sind also Student, ja? Älter als mein Sohn?" Er klingt forsch und neugierig, aber nicht boshaft, eher so als wollte er harmlosen Smalltalk führen. Ich weiß nicht warum, aber ich habe mir immer einen boshaften alten Mann vorgestellt.
Ich schlucke nervös. „Einundzwanzig bin ich. Ich habe mit Zayn zusammen gewohnt, als Harry eingezogen ist", sage ich und versuche ausnahmsweise, wie ein vertrauenserweckender Erwachsener zu klingen.
„Ah, ja. Ich bin froh, dass er mit Zayn zusammenwohnt. Habe den Burschen schon immer gemocht. Aber warum ich anrufe ... Ich versuche Harry zu erreichen. Das ist doch die Nummer, unter der er mich vorgestern angerufen hat?"
„Er hat von Zayns Handy angerufen. Er hat kein eigenes."
„Oh. Kein eigenes. Nun –" Er scheint für einige Sekunden überlegen zu müssen. Ich trommele nervös mit den Fingern über den Tresen. „Dann ... wären Sie so nett, ihm etwas von mir auszurichten?"
Ich lecke mir über die Lippen. „Ja, natürlich."
„Es ist mir etwas unangenehm. Ich habe vorgestern mit Harry ein Treffen für nächsten Mittwoch ausgemacht. Leider kann ich an dem Tag doch nicht."
Ich blinzele, mein Blick auf nichts bestimmtes gerichtet. Etwas zerrt an meinen Eingeweiden. Ein Teil von mir will es ihm recht machen und sofort okay sagen. Okay, ich richte es ihm aus. Aber dann muss ich an Harry denken. Und seine Angst, dass sein Vater ihn zurückstößt. An die Überwindung, die es ihn gekostet hat, ihn überhaupt zu kontaktieren. Und dass jetzt gerade in diesem Moment, sein Vater sich einfach aus der Affäre ziehen könnte. „Okay", sage ich etwas distanzierter. „Könnten Sie denn an einem anderen Tag?"
„Nun, ich würde dafür zu einem anderen Zeitpunkt nochmal anrufen, damit ich es mit Harry terminlich klären kann."
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Harry hat eigentlich immer Zeit. Wir könnten sofort einen Termin machen."
„Ich würde es wirklich lieber mit ihm persönlich besprechen."
„Kann er Sie heute Abend zurückrufen?"
„Nein, es ist mir lieber wenn ich nochmal anrufe."
Beinahe will ich fragen, was denn am Mittwoch plötzlich so wichtiges ansteht, dass er seinen einzigen Sohn nach drei verdammten Jahren nicht treffen kann. Aber dann reiße ich mich doch zusammen. Ich will es mir nicht gleich mit ihm verscherzen. Ich gebe nach. „Okay", sage ich. „Ich sage Harry Bescheid."
„Das ist sehr nett."
Es ist vielleicht nur ein Bauchgefühl, aber irgendwie kommt mir die Sache seltsam vor. Zayn hat die Kunden abkassiert und beobachtet mich stumm und neugierig. „Harry wird auf Ihren Anruf warten", sage ich noch mit etwas mehr Nachdruck. „Ihm ist das Treffen sehr wichtig."
„Ich melde mich so schnell es geht", verspricht er. „Also dann. Nochmals danke ..." Er legt auf. Ich nehme das Handy von meinem Ohr und schüttele mit dem Kopf. Zayn kommt auf mich zu.
„Was wollte er?"
„Er hat das Treffen abgesagt."
„Warum?"
„Hat er nicht gesagt."
Zayn runzelt die Stirn. „Komisch ... "
„Vielleicht hat er es sich anders überlegt und will doch keinen Kontakt mit Harry."
„Oder es ist einfach irgendwas dazwischengekommen?"
Ich fühle mich seltsam angespannt, so als hätte mich jemand versetzt und nicht Harry. „Ich weiß nicht."
Zayn sieht mich prüfend an. „Machst du dir gerade ernsthafte Sorgen?"
Ich zucke mit den Schultern. „Ich will einfach nicht, dass er Harry ..."
Dass er Harry weh tut. Ich spreche es nicht aus. Und zu meiner Erleichterung lacht Zayn nicht, sondern nickt nur. „Das will ich auch nicht. Aber dafür hat er ja uns. Also ich weiß nicht, was du vor hast, aber falls Mister Desmond Styles sich nicht mehr meldet, wird er definitiv von mir hören."
Zayns Blick ist ernst und ich glaube ihm sofort. Ich muss wohl oder übel grinsen. „Von uns", korrigiere ich ihn. Er nickt. Dann betritt wieder ein Kunde den Laden und Zayn verschwindet zurück hinter den Tresen.
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FanfictionLouis' Leben stellt sich auf den Kopf, als unerwartet ein fremder Junge in seinem Zimmer einzieht und sich ab jetzt ein Bett mit ihm teilen soll. Dass Louis Jungs eigentlich mag, aber niemals etwas mit ihnen anfangen würde, erleichtert die Sache nic...