Kapitel 1

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»Passt auf, er könnte überall sein!«, flüstert Drake warnend, als wir mit Messern bewaffnet vor einer leeren Bar stehen. Die scharfen Splitter der zerbrochenen Fenster schimmern unheilvoll im Mondlicht und lechzen förmlich danach uns aufzuschlitzen. Ich steige vorsichtig über die klaffenden Zähne der Scheibe hinweg und wende den Blick erst wieder von ihnen ab, als ich heil in der Bar stehe. Innen herrscht eine erdrückende Dunkelheit, die ihre langen Finger augenblicklich auch um uns legt.

Es ist finsterste Nacht und keine Menschenseele ist mehr auf den Straßen unterwegs, was unser Vorhaben deutlich erleichtert.

Drake, ein paar andere und ich sind einem Dämon bis hierher gefolgt, wo er das Fenster eingeschlagen hat und in die Bar geflüchtet ist. Ich mache meine Augen so weit wie möglich auf, doch das nützt nichts. Das Mondlicht scheint nicht bis in die hintersten Ecken der Bar und mit freiem Auge, ohne jeglichen Lichteinfluss ist es unmöglich etwas zu erkennen. Drake spannt sich neben mir an und klammert sich noch fester an das erhobene Messer, das er von sich wegstreckt. Die Anspannung ist zum Greifen. Niemand wagt es einen Mucks zu machen, denn jedes Geräusch könnte dem Dämon, den wir verfolgen, sagen wo wir sind.

Plötzlich höre ich ein schleifendes Geräusch von der anderen Seite und schrecke hoch. Wir drehen uns alle gleichzeitig um und versuchen abermals in der Dunkelheit irgendetwas zu erkennen, aber erfolglos. Es ist, als würde man versuchen sich in einem schwarzen Loch zu orientieren. Die Dunkelheit frisst das ganze Licht, sodass wir nichts mehr erkennen können. Noch dazu spielt sie auch hinterlistig mit unserem Verstand, es scheint als würde sich überall in der Dunkelheit etwas bewegen. Das ist zum Verrücktwerden!

»Na los! Komm raus, dann werden wir auch ganz sanft sein!«, ruft Drake in den Raum und wirft mir von der Seite ein böses Grinsen zu. Den Witz bringt er immer bevor er den Dämonen mit einem gekonnten Schlag auf den Kopf das Licht ausknipst. Zu Drakes Verteidigung muss man aber sagen, dass es nur äußerst selten vorkommt, dass ein Dämon sich freiwillig ergibt. Meistens endet alles in einem Kampf.

Anstatt eine Antwort zu bekommen, hören wir nur hämisches Gelächter aus einer Ecke.

Lacht dieser Mistkerl uns etwa aus? Welcher hirnverbrannte Dummkopf lacht diejenigen aus, die ihn kidnappen wollen?

»Wer seid ihr? Die Dämonen-Polizei?«, fragt er mit tiefer, gefährlicher Stimme und tritt aus seinem Versteck, sodass wir ihn im Licht des Mondes sehen können. Es handelt sich um einen Mann Mitte vierzig, der aussieht als hätte ihn Jack the Ripper höchstpersönlich großgezogen. Überall an ihm klebt Blut. Sogar um seinen Mund ist Blut, was mich annehmen lässt, dass er sein früheres Opfer totgebissen hat. Im selben Moment spielt sich in meinem Kopfkino eine grauenvolle Szene ab, die ich lieber nicht gesehen hätte. In meinem Körper breitet sich Übelkeit aus.

Seine Augen sind pechschwarz, was bedeutet, dass der Dämon vor uns ein Sorai ist – einer der Stärkeren. Und der Ausdruck in seinem Gesicht grenzt schon fast an Wahnsinn.

Wie gesagt, Jack the Ripper!

Die Polizisten, die uns regelmäßig mit Informationen ausstatten, sagten uns gestern, dass es zu vermehrten Todesfällen in dieser Umgebung kam, bei denen die Opfer zuerst sexuell missbraucht und dann auf brutalste Weise ermordet wurden. Näher will ich erst gar nicht darauf eingehen. Wir sind hier, um diesem brutalen Monster Einhalt zu gebieten.

Hätte ich nicht die Gewissheit das stärkste lebende Wesen auf der Welt zu sein, würde ich schreiend vor diesem Dämon wegrennen. Aber so kann ich immerhin helfen die Stadt ein Stückchen sicherer zu machen.

»Sowas in der Art!«, sage ich auf die Frage hin, ob wir die Dämonen-Polizei sind und lasse schmunzelnd meinen Dämon in den Vordergrund treten. Ich spüre wie die Stärke und die Kampfbereitschaft in meinen Körper fließen und sich auch meine Augen verändern. Meine rehbraunen Augen, die ich bedauerlicherweise von meinem Vater geerbt habe, weichen und machen einem strahlenden Weiß Platz, das mich als Kyrie auszeichnet. Ich bin, wie ich erst vor zwei Monaten herausgefunden habe, wohl die einzige Kyrie auf der ganzen Welt. Ziemlich eigenartig, zu wissen, dass man wortwörtlich alleine eine eigene Spezies bildet, aber mittlerweile habe ich mich damit abgefunden... ziemlich.

SOPHIE (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt