Kapitel 3

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»Guten Morgen, mein Liebes«, sagt Stan als ich in sein Büro komme. Er sitzt gemütlich vor einer dampfenden Tasse Kaffee und schreibt etwas in sein Notizbuch, das er nie aus der Hand legt.

»Morgen. Du sagtest, dass du mir einige Fragen beantwortest...«, beginne ich und stehe noch zögernd in der Tür.

»Natürlich, setz dich bitte.« Stan wendet den Blick nicht von seinem Notizbuch ab, als er mir den Platz vor seinem Schreibtisch anbietet. Ich trete über die Schwelle und sehe mich im Zimmer um. Früher war das hier mal das Büro des Hotelmanagers. Jetzt dient es als Arbeitszimmer für Stan, in dem er mehrere Stunden am Tag verbringt. Es würde mich wirklich interessieren, was genau er hier tut.

»Geht es dir wieder besser? Quentin sagte, dass die Explosion dich und Drake sehr mitgenommen hat.«

»Ja, es ist alles in Ordnung«, sage ich und zwinge mich zu lächeln.

Nach einiger Zeit legt Stan sein Büchlein beiseite und wendet sich endlich mir zu.

»Also?«, fragt er und sieht mich plötzlich gebannt an. Ich habe ihn vor ein paar Tagen darum gebeten mir einige Fragen zu beantworten, da ich bis jetzt noch nicht dazu bereit war, mich Stan und all meinen offenen Fragen zu stellen. Die Zeit brauchte ich, um meine Gedanken und Gefühle zu sortieren und um wieder einigermaßen klar denken zu können nach der Trennung von Alex.

Aber es war von Anfang an klar, dass ich irgendwann mal mit meinem Großvater über die Geschehnisse sprechen muss. Es ist doch merkwürdig, dass er erst jetzt auf der Bildfläche erscheint. Wieso jetzt? Und wieso wollte er unbedingt, dass ich so werde wie er? Ich habe ihm zwar schon einigermaßen verziehen, dass er mich im Grunde dazu gezwungen hat ein Dämon zu werden, aber ich frage mich dennoch wieso.

»Ähm...«, stottere ich, weil ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.

»Wie lange weißt du schon von mir?«

Ich verziehe das Gesicht über diese bescheuerte erste Frage, aber vielleicht bringt sie ja etwas Licht in die ganze Situation.

»Schon seit du geboren wurdest«, sagt er, als wäre das keine große Sache.

Gut... bringt doch kein Licht.

»Und warum hast du uns nie besucht? Oder geschrieben? Ich wusste bis vor wenigen Monaten noch nicht einmal, dass du existierst!« Stan fährt sich angestrengt übers Gesicht und reibt sich die Augen.

»Ich wusste, dass du das fragen würdest. Es... ich war nicht immer so wie jetzt. Ich habe mich mit meinem Sohn zerstritten, schon bevor er und deine Mutter sich gekannt haben. Er sagte, dass er mich nie wiedersehen will und daran habe ich mich gehalten. Als mich dann die Nachricht erreichte, dass er eine Tochter hat, war ich wohl einfach zu stolz, um mich blicken zu lassen.«

Ich versuche mir vorzustellen, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich von Anfang an einen Großvater in meinem Leben gehabt hätte. Nach dem Tod von Mom hätte er mir und Zed sicher beigestanden. Vielleicht wäre Zed nicht so ein Monster geworden mit der Hilfe seines Vaters. Aber ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder daran denke was gewesen wäre, wenn in unserem Leben etwas anders gelaufen wäre. Dieser sehnsüchtige Schmerz und der Wunsch ein anderes Leben geführt zu haben, macht alles nur noch schlimmer.

»Wusste Zed, dass du ein Dämon bist?«, frage ich neugierig weiter.

»Ja. Das war einer der Gründe für unseren Streit.«

Ich nicke zaghaft und rufe mir in Erinnerung, dass Stan mir gesagt hat, Zed wäre auch ein Dämon. Genauer gesagt wurde er zu einem, als meine Mom gestorben ist. Ich habe herausgefunden, dass eigentlich in fast jedem Menschen ein Dämon steckt. Die berüchtigte dunkle Seite in uns ist gar nicht so berüchtigt! Das ist der Dämon, der in uns schlummert. Bei manchen mehr, bei manchen weniger, aber Fakt ist, dass uns erst etwas wirklich Schlimmes widerfahren muss, damit diese dunkle Kraft in uns freigesetzt werden kann. Bei den meisten passiert das nie, weil die dämonische Seite einfach zu schwach ist und bei manchen braucht es einen kleinen Anreiz... Wie bei mir, als Stan mich hat glauben lassen, Alex wäre gestorben. Das hat mich innerlich so sehr zerschmettert, dass ich gar keinen anderen Ausweg mehr hatte.

SOPHIE (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt