Kapitel 15

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»Alles in Ordnung?«, fragt Dean als ich ins Zimmer komme. Er sitzt im Bett und hat gelesen. Als ich reinkomme, legt er das Buch zur Seite und sieht mich einfühlsam an. Er weiß bestimmt, was ich bei Drake gemacht habe, was ich ihm gesagt habe. Es war das einzig Richtige. Es wäre Drake gegenüber unfair, wenn ich nichts sage und ihn einfach leiden lasse. Er hat es verdient, die Wahrheit zu erfahren. Und dass er sie von mir erfährt.

Wieso fühlt sich diese Wahrheit dann nur so falsch an?

»Ja, alles okay.« Ich setze mich zu ihm und lehne mich benommen an seine starke Schulter.

»Weißt du, ich habe immer gewusst, dass mir etwas fehlt in meinem Leben«, hauche ich und wusle die Bettdecke zwischen meinen Fingern zusammen.

»Worauf willst du hinaus?«

»Ich meine, dass ich schon immer wusste, dass es dich irgendwo geben muss.« Dean lächelt und schlingt seinen Arm um mich.

»Ja, das Gefühl hatte ich auch immer.«

»Ich bin froh, dass du jetzt da bist.«

»Wie es aussieht bin ich genau zur richtigen Zeit gekommen«, sagt er und schmunzelt leicht.

»Ja... das denke ich auch.«

»Du solltest etwas schlafen. Du hast viel zu verarbeiten«, sagt Dean dann und zieht die Decke weiter nach oben. Ich nicke und rutsche näher an ihn heran. Er streckt den Arm aus, damit ich mich bequem an ihn kuscheln kann. Mein Kopf ruht auf seiner Brust und seine Hand streicht mir beruhigend über den Rücken. Ich kann hören wie sein Herz gleichmäßig schlägt. Dieses Pochen strahlt etwas Beruhigendes aus.

Ja, es ist wirklich schön einen Bruder zu haben, der mich versteht. Er gibt mir Kraft und macht mir Mut, das ist es, was ich so an ihm schätze.

Ich strenge mich wirklich an, nicht die Augen zu schließen, da ich sie sonst unmöglich vor dem Morgen wieder öffnen kann Alle paar Minuten fällt mein Blick auf die Uhr, die gegenüber dem Bett an der Wand hängt. Es ist fast 23 Uhr. Dean schläft schon neben mir. Seine Atmung geht langsam und tief und seine Hand ruht still auf meiner Schulter.

Obwohl er genau gleich alt ist wie ich, sieht es so aus als wäre er schon ein paar Jahre älter. Es fühlt sich auch so an, als wäre er mein großer Bruder. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass ich mich im Moment sehr klein und hilflos fühle. In etwa so, wie ich mich immer bei Zed gefühlt habe. Ausweglos, gefangen und verabscheut. Ich hätte nie gedacht, dass Alex jemals mit ein Grund sein könnte, wieso ich mich so fühle.

Um kurz vor Mitternacht stehe ich leise auf und versuche, Dean dabei nicht aufzuwecken, sonst könnte ich meinen Plan vergessen. Zum Glück hat er einen guten Schlaf, nicht so wie Alex, der bei jeder kleinsten Bewegung von mir aufzuwachen scheint.

Nachdem ich meine Schuhe und einen Pulli angezogen habe, eile ich aus der Tür und springe in die Luft. Meine Flügel fahren aus und machen einen kleinen Schnitt auf jeder Seite meines Pullis. Das ist der einzige Nachteil, den diese Dinger meiner Meinung nach haben. Sie machen alle meine Sachen kaputt, durch die sie nicht mühelos passen. Und dummerweise kommt durch diese Schlitze auch immer die Kälte an meinen Körper. Ich bin schon gespannt, wie ich das im Winter lösen werde.

Ich halte noch kurz vor Marys Laden und schiebe ihr einen Brief unter der Tür durch. Da wir heute Nachmittag nicht annähernd über alles geredet haben, was mir auf dem Herzen lag. Außerdem ist dieser Brief die einzige Möglichkeit den anderen mitzuteilen, wohin ich gegangen bin. Nur für den Fall...

Um Punkt Mitternacht fliege ich über dem Hotel.

Die Außenmauer ist schon an vielen Stellen abgeblättert, einige Fenster in den oberen Stockwerken sind zerbrochen und überall um das Hotel liegt Müll. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, das ist ein Geisterhaus. Aber der Schein trügt, das weiß ich jetzt.

SOPHIE (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt