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„Aaron ist tot. Er wurde erhängt in seiner Zelle gefunden." Mila ließ vor Schreck fast ihr Handy fallen, als sie die Worte hörte.

Dann sprang sie von ihrem Bürostuhl auf. „Was? Wie?"

„Er ist tot, Mila. Ich bin mir sicher, ich habe ihn gesehen", sagte Fairchild, die Polizistin, die sie zusammen mit Roberts gefunden hatte.

„Selbstmord?"

„Sieht bis jetzt so aus. Er wird bald obduziert. Ich melde mich, wenn ich genaueres weiß."

„Danke, Jamie. Bis dann." Sie legte auf und platzierte ihr Handy mit dem Display nach unten auf ihrem Schreibtisch.

Das musste sie erstmal verdauen. Ihre Hände umklammerten ihre Stuhllehne, bis die Knöchel weiß hervortraten. Sie stand auf und ging in den Pausenraum, um sich einen neuen Kaffee aufzubrühen.

Dort traf sie auf Agent Roberts. „Wir hatten wohl die gleiche Idee." Er schien ihr bleiches Gesicht zu bemerken. „Was ist los?"

„Fairchild hat angerufen. Aaron hat sich erhängt." Sie griff nach einer Tasse mit der Aufschrift Ich bin bereit für Urlaub und goss sich den dampfenden Kaffee ein.

„Wie geht es dir damit?"

Mila nahm eine weitere Tasse und füllte sie ebenfalls, dann erst antwortete sie: „Ich weiß es nicht."

Er nahm ihr das Getränk aus der Hand und genehmigte sich einen Schluck. „Sag Bescheid, wenn du was brauchst."

Mila nickte nur. „Ich muss noch einige Telefonate erledigen. Vielleicht ist Leon ja doch irgendwo untergekommen."

„Hoffen wir es mal."

Die nächste halbe Stunde quälte sie sich durch die Liste der Verwandten und Freunde, die Annie ihr gegeben hatte. Sie wählte die Nummer von Isabell Austin. Es klingelte drei Mal, ehe sie ranging.

„Hallo?"

„Agent Carter vom FBI hier. Sind Sie Isabell Austin?"

„Ja, die bin ich. Gibt es ein Problem? Ist meiner Tochter etwas passiert?"

„Ich rufe nicht wegen ihrer Tochter an. Leon, der Sohn von Anni Clarke ist verschwunden. Ist er vielleicht bei Ihnen oder wissen Sie etwas darüber?" Mila stand auf und streckte ihre schmerzenden Glieder, dann lief sie zum Fenster und schaute hinaus.

„Das ist ja schrecklich. Nein, er ist nicht hier."

„Waren ihre Kinder befreundet? Weiß ihre Tochter vielleicht etwas? Könnte ich sie vielleicht mal sprechen?" Sie setzte sich zurück auf ihren Stuhl.

Isabell räusperte sich. „Meine Tochter ist seit Samstag nicht nachhause gekommen. Sie ist öfter mal für ein paar Tage nicht da, deshalb habe ich mir auch keine Sorgen gemacht."

„Leon ist seit Samstag verschwunden", sagte Mila und kaute an ihrer Unterlippe.

Bestand da ein Zusammenhang? Waren die beiden womöglich zusammen abgehauen?

„Ich werde sie gleich anrufen." Isabells Stimme war eine Oktave höher geworden.

„Rufen Sie mich zurück. Wir kommen dann mal bei Ihnen vorbei." Mila legte auf, nachdem sie ihr ihre Telefonnummer gegeben hatte und massierte sich anschließend die Schläfen.

Wenige Minuten später nach dem Rückruf waren sie bereits unterwegs. Die Räder des Autos knirschten, als sie über den Kiesweg fuhren. Gerade als der Wagen zum Stehen kam, riss Mila die Beifahrertür auf und machte sich auf den Weg zur Haustür. Agent Roberts folgte ihr dicht auf den Fersen. Sie klingelte und strich sich eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr. Die Tür wurde wenige Sekunden später aufgerissen und eine Frau, die nicht größer als 1,50cm groß sein konnte, stand im Rahmen.

„Kommen Sie." Isabell winkte sie hinein, nachdem sie sich die Ausweise ansah. „Kann ich Ihnen etwas zum Trinken anbieten?"

„Nein, danke", sagten Agent Roberts und Mila synchron.

Mila verzichtete, da ihr das viele Koffein schon langsam zu Kopf stieg, ihre Hände zitterten oft und ihr Herz schlug schneller als sonst.

„Setzen Sie sich." Isabell deutete auf zwei Sessel, die sie vorher von Zeitungen und Magazinen befreite.

Mila nahm Platz, schlug die Beine übereinander und beugte den Oberkörper nach vorn. „Ihre Tochter bleibt also öfter mal von zuhause weg?", fragte sie.

„Ja. Sie übernachtet ständig bei Freunden. Sagt sie. Eigentlich geht sie auf Partys. Sie trinkt, sie raucht. Vielleicht nimmt sie sogar Drogen." Isabell zuckte mit den Achseln und schaute mit leerem Blick einen Punkt an der Wand an.

Wie konnte es ihr so egal sein, was ihre Tochter trieb?

„Wie heißt ihre Tochter? Wie alt ist sie? Haben sie ein Bild von ihr?", fragte Mila um erstmal einige allgemeine Informationen zu sammeln.

„Sophia. Sie ist fünfzehn. In ihrem Zimmer hängen welche mit ihren Freundinnen." Isabell spielte an einem Armband, dass ihren Arm ein wenig hochgerutscht war.

„Dürfen wir ihr Zimmer mal sehen?", fragte Mila und wandte den Blick vom Armband ab.

„Ja, oben die erste Tür rechts." Sie machte keine Anstalten aufzustehen, also ging Mila schließlich allein hoch.

Agent Roberts blieb unten, um weitere Fragen zu stellen. Vor Sophias Zimmer zögerte sie, um sich das Schild an der Tür durchzulesen. Betreten verboten! Kein Zutritt für Erwachsene.

„Verzeih mir, Sophia.", dachte Mila und schritt durch die Tür.

Beim Eintreten stieß sie mit ihrem Fuß gegen etwas Weiches. Es war nur ein Kissen, das vom Bett heruntergefallen zu sein schien. Mila hob es auf und legte es zwischen einige Stofftiere. Dann betrachtete sie die Bilder, von denen Isabell gesprochen hatte. Um ehrlich zu sein, konnte sie sich nicht vorstellen, dass ein fünfzehnjähriges Mädchen, dass mit Stofftieren schlief, Drogen nahm und Alkohol trank. Doch was wusste sie schon? Sie ging näher an die Fotos heran und entdeckte eins, auf dem Sophia mit Leon in die Kamera lächelte. Mila löste das Klebeband von der Wand, ohne dabei Rückstände zu hinterlassen und behielt es in der Hand, während sie sich weiter umsah. Sie würde Isabell fragen, ob sie es solange behalten könnte, bis die beiden wiederauftauchten. Hoffentlich lebendig.

„Was machen sie hier?" Die Tür wurde aufgestoßen und stieß mit einem Krachen gegen die Wand, wodurch Mila zusammenzuckte.

„Alles gut, Liebling. Sie ist vom FBI. Sie suchen Leon." Isabell war hinter ihrem Mann aufgetaucht und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Was macht sie dann im Zimmer unserer Tochter?" Er musterte sie kritisch und wandte sich nicht an seine Frau, obwohl er seine Worte an sie gerichtet hatte.

„Sophia und Leon sind beide am selben Tag verschwunden", sagte Mila.

„Sophia ist öfter nicht zuhause. Es ist nicht ungewöhnlich." Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Glauben Sie es gibt da einen Zusammenhang?"

„Möglich wäre es. Ich kann leider noch nichts Genaueres sagen. Vielleicht ist das alles auch nur ein großer Zufall." Ihre Intuition sagte ihr allerdings etwas Anderes und sie sollte Recht behalten. 

Der SpielmeisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt