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Tim war besorgt, als er sein Handy weglegte und Chloe immer noch nicht auf seinen Anruf reagierte. Er hatte erst spät davon erfahren, dass Taylor sie verprügelt hatte, weil seine Eltern ihn krankgeschrieben hatten. Sein Vater hatte ihm ein zweites blaues Auge verpasst und sie wollten nicht, dass jemand Verdacht schöpfte. Als er sie im Krankenhaus besuchen wollte, sagte man ihm, dass sie bereits entlassen wurde. Er hatte Chloe zwar immer noch nicht ganz verziehen, dass sie Taylor ihm vorzog, doch ihm lag nun mal etwas an ihr und er wollte sichergehen, dass es ihr auch gut ging. Eine Stimme in seinem Ohr, hatte die Hoffnung sie könnten wieder Freunde werden, jetzt wo ja mit Taylor offensichtlich Schluss war. Nun fasste er den Entschluss, bei ihr zuhause nachzuschauen, ob auch wirklich alles in Ordnung war. Er kletterte also durch sein Fenster, genau wie er es schon viele Male getan hatte, Darunter befand sich eine Dachschräge, die er nur hinunterzuklettern brauchte. Die restlichen zwei Meter Höhe, sprang er hinunter. Doch als er sich umdrehen wollte, um loszurennen, hielt ihn ein Hüsteln davon ab. Erschrocken blickte er direkt in die kalten blauen Augen seines Vaters, der wütend die Arme vor seiner Brust verschränkt hielt.

„Wo willst du denn hin, Sohn." Victor musterte ihn scharf, woraufhin Tim seinen Blick gen Boden senkte.

„Ich wollte Chloe besuchen gehen", sagte er mutiger, als er sich fühlte. „Sie antwortet nicht auf meine Anrufe." Er hob nun den Kopf, sah seinem Vater aber trotzdem noch nicht in die Augen.

„Soso." Victor löste die Position seiner Hände und ließ sie nun an seinem Körper herunterhängen, dafür streckte er seinen Bauch nach vorn. „Zu Chloe also." Er murmelte, dass Tim Mühe hatte ihn zu verstehen.

„Darf ich jetzt gehen?" Er wollte nicht unhöflich sein, doch es juckte ihm in den Fingern endlich loslaufen zu dürfen.

„Du möchtest also gehen." Victor zog die Worte unendlich in die Länge und Tim wollte ihn am liebsten bei den Schultern packen und schütteln, dass er endlich zum Punkt kam. „Wieso sollte ich dich einfach gehen lassen? Diese komische Mila scheint sowieso schon einen Verdacht gegen mich zu hegen. Wenn du da mit einem zweiten blauen Auge auftauchst. Nein, danke. Sie wird nicht verstehen, dass es nur zu deinem Besten ist. Das versteht keiner, hörst du Junge. Die Welt ist nun mal grausam, es wird dich keiner vor ihr beschützen können."

Tim hörte der Rede mit hochgezogenen Augenbrauen zu. Alles was er jemals wollte, war seinen Vater stolz zu machen, doch das war schlichtweg einfach unmöglich. Mit letzter Kraft hatte er sich immer an diesen Strohhalm geklammert. Wenn er es schaffte, dann würde Victor damit aufhören ihn zu schlagen. Jetzt wo er ihn so einen Unsinn reden hörte, legte sich bei ihm ein Schalter in seinem Kopf um. Er wollte weg von zuhause. Egal wohin. Einfach nur fort. Er ballte seine Hände zu Fäusten und plante schon seine Flucht. Nachts, wenn seine Eltern schliefen, würde er ein weiteres Mal aus dem Fenster klettern und niemals wieder zurückkehren. Victor würde wohl kaum die ganze Nacht dort Wache halten, oder?

„Was meinst du, was wäre eine angemessene Bestrafung für deinen Ausbruch?", fragte Victor ihn nachdenklich.

„Keine Ahnung." Er zuckte nur mit den Achseln, was sollte man schon auf solch eine Frage erwidern.

„Werde mal nicht frech, Sohn." Sein Vater zog schnaubend die Nase hoch und trat einen Schritt näher an ihn heran. „Sei froh, dass ich dich überhaupt frage."

Tim sah sich um, die Hecke verbarg sie vor den Augen der neugierigen Nachbarn, wenn sein Vater ihm was tun wollte, konnte er das auch, ohne das es für ihn gefährlich wurde. Vielleicht sollte er einfach um Hilfe rufen? Er verwarf die Idee wieder, denn wenn niemand es hörte, konnte er gleich anfangen sich sein eigenes Grab zu schaufeln. Tim wagte einen kurzen Blick hinter sich und entdeckte etwas, dass sein Herz schneller schlagen ließ. Ein Loch im Zaun, wenn er es dort rechtzeitig hindurchschaffte, bevor sein Vater ihn einholte, dann war er erstmal in Sicherheit. Victor würde dort nicht hindurchpassen, selbst Tim hatte schon so seine Mühe damit. Als Kind hatte er diesen Durchgang oft benutzt, um sich heimlich mit seinen Freunden zu treffen. Ohne zu überlegen, drehte Tim sich um und rannte los. An seinen Vater verschwendete er nicht einen Blick, als er mit langen Schritten dem Zaun immer näherkam. Sein Herz klopfte wie verrückt, als er nur noch wenige Meter von dem Zaun entfernt war, doch da packte eine Hand nach seinem Arm und schubste ihn auf den Boden. Tim landete unsanft im Matsch und starrte überrascht auf seine Hände, die nun ganz schmutzig waren, als wäre das seine einzige Sorge.

„Was fällt dir ein?" An Victors Schläfe bildete sich die Wutfalte, wie Tim es insgeheim nannte, wenn seine Ader zu pochen begann.

Er blieb still, denn er wusste, kein Wort der Welt konnte ihn vor dem schützen, was nun kam. Tim schloss einfach nur die Augen und wartete.

„Stell dich mir gefälligst wie ein richtiger Mann gegenüber." Victor packte ihn wieder am Arm und zog ihn grob auf die Beine. „Mach deine Augen auf." Er schlug ihm auf den Arm.

Tim machte nun die Augen auf und konnte direkt auf das Loch in dem Zaun sehen. Er war so kurz davor gewesen, hätte er nicht ein wenig schneller sein können. Er keuchte auf, als ihn eine Faust in den Magen traf, dass er sich fast übergeben musste. Seine Zähne knirschten, als sie bei der Wucht des Schlages aufeinanderprallten.

„Vielleicht wird es Zeit für ein neues Veilchen. Das alte ist fast verheilt." Sein Vater packte ihn am Kinn und drehte seinen Kopf, als wäre er ein Pferd, das verkauft werden sollte.

Tim verspürte den Drang sich dem Griff seines Vaters zu entwinden, doch er wusste es würde alles nur noch schlimmer machen, also ließ er es bleiben und erduldete die Inspektion. Schließlich ließ Victor ihn los, doch nur um eine weitere Faust zu bilden und damit nun direkt auf sein Auge zu zielen. Tim konnte ein Wimmern nicht unterdrücken als sein Kopf von dem Schlag zurückgeworfen wurde und sein Auge nun schon das dritte Mal in kurzer Zeit pochte. Er war sich sicher, sein Vater hatte ihm gerade ein neues Veilchen verpasst. Doch nun reichte es ihm und eine unbändige Wut erfasste ihn. Tim riss sich los und schaffte es, den Überraschungseffekt nutzend, durch das Loch im Zaun zu entkommen. Als er hindurch geschlüpft war, drehte er sich nicht einmal um. Er nahm sich fest vor, das Haus das letzte Mal in seinem Leben betreten zu haben, auch wenn das nun hieß, dass er von nun an auf der Straße leben musste. Jedoch konnte er jetzt nicht direkt zu Chloe gehen, denn dort würde sein Vater ihn als erstes vermuten und sofort zurückholen, sollte er ihn dort finden. Tim zuckte nur mit den Schultern und rannte weiter die Straße entlang. Was sollte er jetzt tun? Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen einfach abzuhauen. Ohne Plan, Kleidung oder etwas zu essen. Er wusste nicht wo er hinsollte, denn überall wo er hingehen könnte, würde sein Vater ihn gleich finden. Er überlegte fieberhaft und kam dann auf die Idee, in der alten Scheune zu übernachten, die schon seit Jahren leer stand und ein beliebter Treffpunkt für seine Freunde und ihn darstellte. Wenn er Glück hatte, waren dort noch einige Decken und Kissen, die sie einmal mitgebracht hatten, um es bequemer zu haben. Tim brauchte eine Weile bis er ankam, war jedoch keineswegs außer Puste, als er die schwere Holztür aufstieß und eine Leiter hinauf auf den Heuboden kletterte. Zu seiner Freude lagen die Decken noch so da, wie sie sie zurückgelassen hatten. Er ließ sich darauf fallen und tastete vorsichtig mit der Hand nach seinem Auge. Er zischte mit den Zähnen, als er es berührte, doch er hatte schon schlimmeres überwunden. Nur die Übelkeit machte ihm zu schaffen, die da der Adrenalinschub langsam versiegte, wiedereinsetzte. Er schaffte es noch, sich ein kleines Lager einzurichten auf dem er schlafen konnte, als ihm auch schon die Augen zufielen und er zu träumen anfing.

Der SpielmeisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt