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Vollkommen unerwartet taucht Alec neben mir auf und greift nach meiner Hand. Sie umschließt die meine, leicht feucht und kalt. Es ist schön und beruhigend, angenehm zu wissen, dass ich nicht alleine nach Hause gehen muss. Der Regen fällt in dicken Tropfen auf die Erde. Ein Schwall Wasser, weich und kalt auf meiner Haut. Der Boden unter unseren Füßen ist durchtränkt von den Massen Wasser das aus den Wolken fällt. Dicke Blasen bilden sich auf dem nassen Teppich und ich schaue fasziniert auf das Bild was sich mir bietet. Alec mit tropfnassen tiefdunklen Haaren, einzelne Strähnen fallen immer wieder in sein schönes Gesicht und seine Hand bekommt die weiche Pracht einfach nicht gebändigt.

Ich kichere weil die Situation in der wir uns befinden einfach so absurd ist. Es gießt wie aus Eimern, es hört überhaupt nicht mehr auf. Mit jedem Schritt den wir gehen habe ich das Gefühl, wir kommen dem Zentrum der Wassermacht immer näher. Und anstatt wie alle anderen schnell nach einem Unterschlupf zu suchen, schlendern wir gemächlich durch den Park. Mit verschränkten Händen, einem Picknickkorb unter dem Arm und der Decke in der Hand, ohne Schirm und mit durchnässter Kleidung. Bei jedem Schritt geben meine Schuhe ein platschendes Geräusch von sich. Ich habe das Gefühl, sämtliches Wasser aus den dunklen Wolken über uns hat sich in meinen Schuhen versammelt und macht es sich dort gemütlich.

Gleichzeitig erinnert mich der Anblick von einem nassen Alec auch an unser Treffen im Hunters Moon. Und an das darauffolgende Gespräch. Ich seufze und spüre, dass Alec den Druck auf meine Hand verstärkt. Plötzlich ist mir die Situation unangenehm. Unter dem Vorwand mir das Wasser aus den Haaren und dem Gesicht zu streichen, entziehe ich mich Alecs Griff und vergrabe nach Beendigung meines Vorhaben die Hände tief in meinen Hosentaschen. Angestrengt denke ich über ein passendes Gesprächsthema nach. Die Stille zwischen uns ist gerade sehr erdrückend. Zumindest für mich.

"Wie bist du dazu gekommen gänzlich auf Fleisch zu verzichten?" frage ich. Keine Ahnung warum mir ausgerechnet diese Frage einfällt. Vielleicht wegen dem kleinen braunen Vogel direkt vor uns der beim vibrieren unserer Schritte schnell das Weite sucht. Ich spüre Alecs Blick auf mir, schaue aber weiterhin stur geradeaus.
"Ich habe einen Jagdschein. Alle Männer der Familie Lightwood haben einen Jagdschein. Mein Großvater fuhr schon mit seinem Vater in die Berge und verbrachte seine Wochenenden in einer kleinen Waldhütte. Abgeschieden vom Alltag und der Hektik. Der keifenden Ehefrau und den nervenden Kindern. So hat Dad es uns immer erzählt. Also fuhr auch sein Vater mit ihm in diese Waldhütte. Und irgendwann, ich denke Jace war zwölf und ich zehn Jahre alt, packten wir unsere Taschen unter dem Vorwand eines Campingausfluges. Wir waren so aufgeregt und freuten uns auf eine unbeschwerte Zeit voller Abenteuer. Umgeben von Natur und Wildnis und Freiheit. Ab da fuhren wir jedes Jahr in die Waldhütte und Dad brachte uns alles bei was wir wissen mussten. Als wir alt genug waren, machten Jace und ich unseren Jagdschein. Dad war mächtig stolz auf uns. Aber das Verhältnis zu ihm war schon damals mehr als schwierig."

"Im Grunde genommen ist es ganz einfach. Ich liebe die Natur. Deren Wald und die Bäume. Der Geruch nach feuchtem Waldboden, wenn es in der Nacht regnete. Duftende tiefgrüne Tannennadeln und die Strahlen der Sonne die das Wasser und den Tau verdampfen lassen. Der morgendliche Nebel der majestätisch durch das Unterholz streift, die feinen Gebilde der Spinnen, ihre Netze die im Licht der aufgehenden Sonne glitzern, der Tau welcher sich federleicht über die Landschaft legt. Holz unter meinen Händen und am Ende des Tages ein wunderschönes Stück Neues erschaffen zu haben erfüllt mich mit unglaublicher Freude. Der Gesang der Vögel, laut und schrill aber wunderschön. Das Knistern und Knacken in den Büschen und hinter jedem Baum ein neues Abenteuer oder eine versteckte Schönheit. Aber ein Tier zu töten, das bereitete mir immer Übelkeit. Es war keine Entscheidung weil es angesagt oder trendy war. Ich fühlte es in meinem Herzen. Ich möchte nicht das ein Tier sein Leben für mich gibt nur damit ich zwei Minuten des Glücks erlebe. Lieber möchte ich mich an der Schönheit der Dinge erfreuen. Das Rehkitz auf der sonnenbeschienenen Lichtung das seine Ohren spitz um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. Der Bergsee zu meinen Füßen, die spiegelglatte Oberfläche glitzert und reflektiert die Strahlen der großen runden feurigen Scheibe über mir. Kaltes Wasser, dunkel und geheimnisvoll. Spender von Leben und Überbringer von Tod. Freiheit. Das ist es was ich antworten würde auf die Frage was mich so sehr daran fasziniert."

Alecs Erzählungen sind so lebendig. Seine tiefe Stimme ist wahnsinnig beruhigend und die Liebe in seinen Worten spürbar. Ich fühle es mit all meinen Sinnen, bin nicht mehr in der Lage weiter zu gehen. Meine Beine tragen mich nicht mehr. Wie angewurzelt stehe ich hier auf diesem Weg mitten im Central Park und lausche gebannt Alecs Worten. Vereinzelt huschen Schatten an uns vorbei. Eine Mutter mit wehendem hellen Haar, ein weinendes Kleinkind in ihren Armen. Nicht älter als drei Jahre mit rabenschwarzen Haaren, so schwarz wie die von Alec. Beschützend vor der Kälte der Wassermassen drückt sie das kleine Bündel puren Lebens an ihre Brust und spricht beruhigend auf den weinenden Jungen ein. Ein älterer Herr mit Trenchcoat und Hut, einem großen schwarzen Schirm in der einen und einer grellpinken Hundeleine in der anderen Hand. Ein bellender Wirbelwind, klein, schwarz, vollkommen durchnässt.

"Meine Mutter war Staatsanwältin mit Leib und Seele. Strafrecht. Sie hat mehr böse Jungs nach Sing Sing geschickt als ich zählen könnte. Kleinkriminelle die in dunklen Ecken Drogen verkauft haben. Mafiabosse und deren Auftragskiller die auf den Straßen von New York ihr Unwesen trieben." Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus.
"Sie liebte ihren Job und kämpfte immer für Gerechtigkeit. Sie waren gegen das tragen einer Waffe in der Öffentlichkeit. Ragnor und meine Mum. 'Waffen bedeuten Tod. Und Tod bedeutet immer Leid und Schmerz, Tränen und Trauer. Einer leidet immer. Und einer kommt nie wieder zurück.' Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als meine Mum das erste Mal diese Worte zu mir sprach. Ragnor verlor einen spektakulären Fall. Der Mörder kam frei, entzog sich seiner gerechten Strafe, weil der Anwalt den Richter bestach. Das war der Tag an dem Ragnor das Strafrecht hinter sich ließ. Er wechselte zu Erbrecht." sage ich atemlos und bemerke erst jetzt, dass ich ohne Pause sprach.

"Deine Mutter hätte mich sicher nicht gemocht." Sanft lege ich meine Hand an seine Wange. Alec schließt seine Augen und ich höre ihn leise seufzen.
"Sie hätte dich geliebt. Den Boden unter deinen Füßen hätte sie angebetet und uns gezwungen jeden Sonntag zum Essen vorbei zu kommen. Du bist all das, was meine Mum sich immer für mich gewünscht hat." antworte ich leise.

What happened in Vegas - Plötzlich verheiratetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt