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"Hallo mein Sohn." In meinem Kopf dreht sich alles. Düstere Finsternis und eisige Kälte vermischen sich mit unterdrückten Gefühlen und noch längst nicht vergessenen Worten.
"Was willst du hier?" frage ich zornig.
"Ich wollte dich sehen. Mit dir reden und hören, was du in den letzten Jahren erlebt hast." sagt er ganz beiläufig. Meine Hände ballen sich zu Fäusten und Wut so heiß wie Lava aus den tiefsten Tiefen des größten Vulkans sammelt sich in meinem Bauch. Je länger ich hier stehe und meinem Vater in die Augen schaue, umso größer wird meine Wut.

"Was interessiert es dich?" schreie ich diesem mir so verhassten Menschen entgegen. Mein Vater zuckt leicht zusammen und Alec macht einen Schritt auf mich zu. Ich hebe meine Hand und signalisiere damit, dass er stehen bleiben soll.
"Nicht Alec." sage ich flehend und verfluche mich dafür, dass meine Stimme bricht. Aber ich kann es nicht kontrollieren. Das Ganze ist zu viel und mein Herz fühlt sich an, als würde es jemand immer wieder fest zusammen drücken. Und dieser Jemand ist Alec.

"Magnus. Lass uns reden." sagt Alec, doch ich schüttele vehement meinen Kopf.
"Nein." presse ich zornig zwischen zusammengekniffenen Zähnen hervor. Das Knirschen meiner Zähne ist deutlich zu hören. Es durchbricht die Stille um uns herum. Ich atme schwer und muss mich zwingen, nicht mit aller Kraft auf den Mann mir gegenüber einzuprügeln. Viele Jahre habe ich die tosende See angeschrien. So viele Worte trug der Wind mit sich fort und jetzt fällt mir kein einziges mehr ein. Ich fühle mich seltsam leer, müde und erschöpft.

Mein Vater ist der Erste, der die Stille durchbricht. Ich will nicht hören was er zu sagen hat. Seine Rechtfertigungen sind mir egal. Doch er denkt nicht mal daran, wie es mir gerade geht.
"Wie geht es dir?" fragt er und ich lache höhnisch.
"Wunderbar. Einfach fantastisch." antworte ich und sehe an meinem Vater vorbei und direkt in Alecs schuldbewusstes Gesicht. Schützend lege ich die Arme um meinen Oberkörper und kralle meine Hände in die Seiten. Lächelnd schaut mein Vater mich an und ich würde ihm am liebsten vor die Füße kotzen. Die Dreistigkeit hier einfach so aufzukreuzen, wird von seinem unschuldigen Lächeln überboten. Wie schafft er es so zu tun, als wäre nichts gewesen? Als hätte er nicht vor zehn Jahren seinen Sohn mit seiner todkranken Frau alleine gelassen.

Der Hass auf den Mann der sich mein Vater nennt ist unermesslich groß. So viele Erinnerungen stürzen auf mich ein. Ich höre das Lachen meiner Mutter beim sonntäglichen Besuch im Central Park. Das zitronige Aroma einer lauen Sommernacht mit dem schrillen Zirpen der Zikaden vermischt sich mit dem Geruch nach Desinfektionsmittel und dem Leid einer im Sterben liegenden Frau. Geflüsterte Worte in der Nacht und ein gebrochenes Versprechen.
"Ich habe dir nichts zu sagen." Eigentlich möchte ich eine Menge klarstellen. Worte voller Wut und Zorn und der Trauer eines verlassenen Kindes, die ich ihm gerne ins Gesicht schreien möchte.

"Das was passiert ist tut mir leid. Ich weiß, dass es zu spät für eine Entschuldigung ist. Aber ich bitte dich, hör mich an." sagt er und kommt mit erhobenen Händen auf mich zu. Eine Geste des Friedens und für mich gerade so falsch in dieser skurrilen Situation. Ich möchte weg. Flucht. Der Situation und diesem Gespräch entfliehen. Aber ich kann mich kaum bewegen und versuche stattdessen meine viel zu schnelle Atmung in den Griff zu bekommen. Mein Herz schlägt viel zu schnell. Ich schließe kurz meine Augen und treffe eine Entscheidung.

Mein Vater steht direkt vor mir und sein bohrender Blick ist der letzte Impuls um den Vulkan in mir ausbrechen zu lassen.
"Du hast uns verraten. Du hast uns allein gelassen. Du hast Mum verlassen. Zu einer Zeit, in der sie dich am meisten gebraucht hätte. Aber nicht nur sie. Auch ich hätte meinen Vater gebraucht. Du bist einfach gegangen. Ohne ein Wort oder eine Erklärung. Du hast keine Ahnung was wir durchgemacht haben." schreie ich ihm entgegen.
"Hätte ich Ragnor nicht gehabt, dann wäre ich heute nicht hier. Raphael und Andrew haben mich ebenfalls aufgefangen. Sie alle waren für mich da. In der Zeit als Mum jeden Tag vor Schmerzen weinte und ich ihr nicht helfen konnte. Jeden Tag habe ich mich gefragt wo du bist und wie du einfach so gehen konntest. Jeden Tag rang ich mit der Entscheidung, wie es weiter gehen soll. Den Tag, an dem Mum starb, werde ich nie vergessen." sage ich und gehe an meinem Vater vorbei in Richtung des großen Terassenfensters. Noch immer umklammere ich schützend meinen Körper. Mit den Gedanken tief in der Vergangenheit blicke ich in den Garten und erinnere mich zurück.

"Das Zimmer im Krankenhaus war kalt und es gab nichts weiter als ein Bett, einen Schrank und einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen. Die Kabel und Schläuche die zu Maschinen führten welche unaufhörlich piepten und Mum mit Medikamenten versorgten habe ich so sehr gehasst. Aber es war die einzige Möglichkeit sie zu überwachen und nicht vorzeitig dem Tod zu übergeben. Aber irgendwann ging es nicht mehr. Es schneite, so wie jetzt auch und ich hielt Mum schützend im Arm. Ihr zierlicher Körper war ausgemergelt und die Haut blass. Mum summte leise und stumme Tränen flossen aus ihren Augen. Ich war achtzehn Jahre alt und hielt schluchzend meine sterbende Mutter im Arm." sage ich leise und doch klingt meine Stimme unnatürlich laut in meinen Ohren.

"Es tut mir leid Magnus." sagt mein Vater. Die Traurigkeit in seiner Stimme entgeht mir nicht. Aber ich kaufe ihm das nicht ab.
"Mir auch. Dafür, dass Mum bis zum Schluss daran glaubte, dass du wieder zu ihr zurück kommst." antworte ich anklagend und spüre Alecs warme Hand auf meiner Schulter. Mit geschlossenen Augen atme ich tief durch. Seine Nähe tut mir weh. Immer deutlicher wird mir bewußt, dass Alec derjenige ist, der meinen Vater kontaktierte. Ich frage mich wie. Woher wusste Alec wo er sich aufhält?

"Ich habe ihr geschrieben. Kurz nachdem ich gegangen bin. Das war ich ihr schuldig. Und dir." sagt er und ich kann nur verächtlich schnauben.
"Ich will es nicht hören. Geh. Verlass mein Haus." sage ich tonlos und schiebe Alecs Hand von meiner Schulter. Ich will die Berührung jetzt nicht. Zu sehr schmerzt die Erinnerung. Aber noch größer ist der Schmerz über Alecs Verrat.
"Lass es mich wieder gut machen."

"Verschwinde." schreie ich meinem Vater entgegen. Dabei habe ich mich so abrupt und unerwartet umgedreht, dass meine Schulter gegen Alecs Brust prallt und er zischend die Luft einzieht. Mein Vater hingegen sieht mich aus geweiteten Augen an und versucht einen Ausweg zu finden, der ihn nicht als den größten Arsch des Jahrhunderts dastehen lässt. Ich sehe es ganz deutlich. Keine Reue, kein Schmerz. Nur Entsetzen über meine erhobene Stimme und das vor Wut verzerrte Gesicht. Mir ist heiß, ich schwitze. Meine Hände sind zu Fäusten geballt und die Nägel bohren sich schmerzhaft in die empfindliche Haut meiner Handflächen.

"Ich hasse dich. Du bist ein Feigling. Ein mieses Arschloch das einfach davon rennt und und... ach du bist einfach ein mieses feiges Arschloch. Ich hätte dich gebraucht. Mum hätte dich gebraucht. Aber du bist einfach weggelaufen. Wie feige Arschlöcher das nun mal tun."
"Ich weiß Magnus. Es tut mi..."
"Spar dir deine Entschuldigung. Ich will sie nicht hören. Verschwinde und lass dich hier nie wieder blicken. Ich schwöre dir, tauchst du hier noch einmal auf, dann hoffe ich, du kannst schnell rennen." sage ich zornig. Jeder Muskel in meinem Körper ist angespannt und der Kiefer schmerzt bereits.

"Okay. Wie du willst. Alec hat meine Nummer. Du kannst dich jederzeit melden." sagt er und geht ohne ein weiteres Wort. Wieder einmal verschwindet er aus meinem Leben. Nur bin diesmal ich derjenige, der ihn vertrieben hat.
"Magnus." höre ich Alec hinter mir sagen und die sonst so schützenden und mich auffangenden Arme liegen jetzt schwer wie Blei um meinen Körper. Alec steht dicht hinter mir und drückt sich hart gegen meinen Rücken. Seine Umarmung schnürt mir die Luft ab und ich möchte nur noch schreien.

What happened in Vegas - Plötzlich verheiratetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt