~Kapitel 11~

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Nachdem Madoc die Umkleide verlassen und mich mit der Agentin allein gelassen hatte, wuchs mein Unbehagen nur noch mehr. Sobald diese Nähe zwischen uns verschwunden war, hatte ich mich mit einem Mal so leer und verloren gefühlt. Da war etwas in Madocs Blick gewesen, was mich hatte frösteln lassen. Etwas Gefährliches hatte in seinen Augen gelegen und die Art und Weise, wie er mich geküsst hatte, hatte mir nur umso mehr weisgemacht, wie zerrissen er in Wirklichkeit war. Für mich war er ein wandelndes Rätsel, welches es zu lösen galt.

Die junge Frau setzte sich vor mir auf eine Bank und schaute mich erst mal nur an, ohne etwas zu sagen. Ich nutzte diese Gelegenheit, um sie zu mustern. Ihre schwarze SWAT Ausrüstung viel mir dabei direkt ins Auge. Madoc hatte gesagt, dass sie Agentin bei der Behavioral Analysis Unit war. Soweit ich jedoch wusste, agierte die BAU in Amerika, nicht hier in Europa. Der Hauptsitz befand sich ebenfalls in den USA. Diese Tatsache warf Fragen auf. Ich sah ihr in die Augen. Den Ausdruck, der in ihnen lag, konnte ich beim besten Willen nicht deuten. Sie beherrschte das Pokerface einwandfrei. "Warum sind Sie hier?" Die Latina überkreuzte die Beine und ließ ihren Blick über meinen Körper gleiten, was mir mehr als unangenehm war. "Wegen dem Vorfall von vorgestern Nacht. Weil du hoffentlich der Schlüssel bist, um den Defiler endlich fassen zu können", entgegnete sie mit der ihr eigenen, samtigen Stimme. Ich schüttelte den Kopf. "Sie haben meine Frage falsch verstanden. Ich wollte wissen, weswegen Sie hier sind. Warum jemand von der BAU und keiner vom BKA?" Die Agentin grinste. "Du hast Grips, Kleine. Es ist nicht relevant, aber wie du wahrscheinlich merkst, bin ich anders als die Beamten aus Europa. Ich bin ... cooler. Sagt ihr doch so, oder?" Wir fingen beide an zu lachen. Es lockerte die Situation erheblich auf, jedoch war es nicht die Antwort, welche ich mir erhofft hatte. Es machte überhaupt keinen Sinn, dass sie war. Es war schlichtweg nicht ihr Aufgabenbereich. "Wer weiß, vielleicht hat es etwas mit Madoc zutun." Dieser Gedankengang war zwar nicht mehr als eine vage Vermutung, jedoch konnte ich mir sonst keinen Reim auf ihre Anwesenheit machen.

"Darf ich mir deine Verletzungen anschauen?", riss sie mich plötzlich aus meinen Gedanken. Erst wollte ich verneinen, doch dann nickte ich zaghaft und ließ meinen Pullover fallen. "Dieser Fall musst gelöst werden." Und während ich das dachte, kam mir eine erschreckende Eingebung. Ich war gar nicht zur Polizei gegangen. Woher sollte sie also wissen, dass ich vergewaltigt wurde? War Lace womöglich ohne meines Wissens zur Polizei gegangen? Vielleicht jemand aus meiner Klasse? Wusste meine Mutter bescheid? Sie würde sich bestimmt riesengroße Sorgen machen. Oder aber ... Könnte es möglich sein, dass es Madoc gewesen war? Fragen über Fragen, welche auf Dauer nur Kopfschmerzen verursachten. Ich beschloss, Madoc sobald als möglich mit meiner Vermutung zu konfrontieren. Die Agentin musterte mich eindringlich und sagte dann nach ein Paar abschätzigen Blicken: "Das sieht ihm nicht ähnlich." Fragend hob ich eine Augenbraue und setzte mich vor ihr hin, währenddessen streifte ich mir das Kleidungsstück über meinen entstellten Körper.

"Aubrey, du musst wissen, dass der Defiler bis jetzt jedes seiner Opfer nach der Vergewaltigung umgebracht hat. Jede der Frauen wies tiefe Schnittverletzungen auf, viele waren daran womöglich verblutet. Die meisten Serienmörder empfinden nur die erwünschte Befriedigung, wenn sie das Opfer mit den bloßen Händen oder einem Messer töten. Ein Schuss in den Kopf würde diesen Effekt nicht erbringen. Du jedoch lebst noch und hast gerade Mal faustgroße Hämatome und Prellungen. Er hat dich nur geschlagen. Von der Verletzung an deiner Wade mal abgesehen. Die Frage ist bloß, wieso?" Überfordert zuckte ich mit den Schultern. "Erzähl mir bitte alles an was du dich erinnern kannst. Ich weiß, es ist nicht angenehm, aber es muss sein." Ich ließ ein wehmütiges Seufzen hören. "In dieser Nacht war ich am eisernen Steg. Gegen halb eins bin ich auf dem Rückweg durch die Elbestraße. Sie wissen ja wahrscheinlich, für was diese bekannt ist. Ich hatte die ganze Zeit das beängstigende Gefühl, verfolgt zu werden. Und als ich um einen der Müllcontainer herumlief, packte mich plötzlich jemand an den Haaren und zog mich nach hinten. Er presste mir seine Hand auf den Mund und schlug mir irgendwas gegen den Kopf. Ich ging in die Knie und war zuallererst ziemlich desorientiert. Diese Person hatte enorm viel Kraft. Nach kurzer Zeit habe ich es geschafft, mich zu befreien und bin so schnell ich konnte davon gerannt, bis das Messer mich an der Wade traf." Zögernd hielt ich inne. Meine Verletzung schien im Takt meines Herzens zu pulsieren. Die Agentin sah mich abwartend an. Sie schien zu merken, wie viel Mühe ich hatte, über das zu sprechen, was gleich kommen würde. Als ich tief durchgeatmet hatte, fuhr ich mit heiserer Stimme fort.

"Als ich stehen blieb, um es rauszuziehen, traf mich eine Flasche an der Schläfe und ich fiel. Ein Mann thronte über mir, in ein schwarzes, Uniform ähnliches Kleidungsstück gehüllt. Mehr konnte ich leider nicht erkennen. Weder Körperkonturen noch sonst etwas. Er packte mich am Fuß und zog mich den ganzen Weg zurück zum Container. Und dann.." Ich brach ab, da diese schreckliche Erinnerung mich überrumpelte. Die Agentin stand auf und nahm mich in den Arm. "Erzähl bitte weiter, Aubrey", sagte sie aufbauend. Meine Stimme zitterte, so als ob mir kalt wäre und meine Hände waren eiskalt. "Er schlug mir immer wieder ins Gesicht, bis meine Nase brach. Ich erinnere mich noch an seine Stimme. Sie war tief und klang sehr rau." "Was hat er zu dir gesagt?" Mit großer Mühe kämpfte ich gegen die Tränen an und hielt den Blick gesenkt. "Das noch etwas ganz Anderes mich gleich zum Stöhnen bringen wird. Nachdem er meine Klamotten aufgeschnitten hat, vergewaltigte er mich. Seine braunen Augen fixierten einen Punkt oberhalb meines Kopfes. Als er mir die Luft abdrückte, dachte ich schon, dass es das jetzt war. Aber er ließ von mir ab und verschwand einfach. Und ich? Ich lag in einer stinkenden Suppe aus Müll und Wasser, fühlte mich elendig und beschmutzt. Die Schmerzen raubten mir fast das Bewusstsein."

Die Agentin sah mich mitleidig an. "Kam er zum Höhepunkt? Und was ist danach passiert?" Auf ihre erste Frage hingab ich nur ein Nicken von mir. "Als ich es geschafft hatte, mich aus dem Container zu schleppen, kam er auf mich zugerannt und wollte mich wahrscheinlich töten. Doch plötzlich hörte ich einen Schuss und eine Kugel durchschlug seine Hand. Daraufhin ist er davongelaufen. Der Mann, der den Schuss getan hatte, ist ihm mit einer unglaublichen Geschwindigkeit hinterhergerannt, doch er konnte ihn nicht mehr einholen. Als er mich dann fragte, ob ich ins Krankenhaus will, bin ich kurz darauf ohnmächtig geworden. Seine stahlgrauen Augen blieben mir aber in Erinnerung. Das war das Wichtigste, denke ich." Sie riss geschockt die Augen auf. "Warte warte. Du wurdest gerettet?!" Misstrauisch runzelte ich die Stirn. Etwas stimmte nicht an der Verwunderung, die sie vorgab zu haben. "Ja, wurde ich." Die Agentin fuhr sich durch die lockigen Haare. "Weißt du, wer es sein könnte?" Meine Körpersprache musste mich wohl verraten haben, denn sie sah mich anklagend an. "Du sagtest stahlgraue Augen, oder?" Und dann kam eine Aussage, die mich so abrupt traf wie ein Faustschlag. "Was ist das zwischen dir und Knox?" Die Art und Weise, wie sie über Madoc sprach, sagte mir, dass die beiden sich kennen mussten. Sie wusste mehr, als sie zugab zu wissen. Das betraf mich, Madoc und die Gesamtsituation sowie auch den Fall, welcher sich um den Defiler drehte. "Er ist mein Lehrer. Was sollte zwischen uns sein?", gab ich mich unwissend. Die Agentin erhob sich mit einem wissenden Grinsen. "Aubrey, ich bin selbst eine Frau. Mir kannst du nichts vormachen, wenn es um Liebe geht. Deine Augen haben dich verraten. Die Art und Weise wie du ihn angesehen hast. Und wie er dich angesehen hat." Mit diesem Satz ging sie zur Tür. "Danke für deine Aussage. Hoffentlich bringt das uns weiter. Ich werde auf dich zurückkommen." Waghalsig, wie ich war, konfrontierte ich sie mit einer sehr privaten Frage. "Sie und Madoc kennen sich, habe ich recht?" Ihre Hand, welche auf der Türklinke lag, verkrampfte sich augenblicklich. Sie sah mich an und ich erschauderte. In ihren Augen lag ungezügelter Hass und ein Ausdruck von Trauer. Es erinnerte mich an den Ausdruck, welcher in Madocs Augen gelegen hatte. Argwöhnisch verengte sie die Augenbrauen. "Du hast recht, wir kennen uns. Mehr musst du allerdings nicht wissen." Und damit verließ sie die Umkleide.

Ich blickte auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte. Diese Frau war mehr als nur merkwürdig. Und es irritierte mich, dass Madoc nachts durch die Straßen zog, mit einer Pistole bewaffnet und offensichtlich darauf aus, Menschen zu töten. Ich zog mein Handy aus der Jackentasche und öffnete die Suchmaschine. Dann gab ich "Agentin Diaz, Behavioral Analysis Unit" ein und drückte die Suchen-Taste. Sofort wurden mir unzählige Artikel angezeigt. Ich las mir einen von ihnen durch, welcher die Überschrift "Das Unglück am Rio Grande" trug. Er handelte um ein kleines Mädchen, Sophia Diaz, welches durch die Hand eines Serienmörders starb. Er wurde nur als einsamer Jäger aufgeführt, jedoch nicht namentlich benannt. "Seltsam." Verwirrt runzelte ich die Stirn. Ein Kindermörder, dessen Identität nicht bekannt war? Das kam nicht sehr häufig vor, doch als ich sah, dass diese Tat in Amerika geschehen war, beschlich mich eine Ahnung. Ich schloss den Artikel und suchte nach dem einsamen Jäger, doch verwunderlicherweise gab es keinen einzigen Artikel über ihn. Lediglich den, welchen ich kurz zuvor aufgerufen hatte. Dann versuchte ich es mit Madoc Knox, doch stieß ich ebenfalls auf keine Ergebnisse. Dort standen nur drei kurze Sätze. "Sero Knox war ein geisteskranker Psychologe. Ein Mann besessen davon, der Welt zu beweisen, dass Serienmörder gemacht und nicht geboren wurden. Und kein Mittel war ihm zu schade, um seinen Probanden leiden zu lassen, sodass dieser schlussendlich, wie von ihm gewollt, zu einem Serienmörder wurde", las ich die Sätze laut vor. Doch egal wie interessant diese Information auch war, weiterbringen tat sie mich leider nicht. Als ich mein Handy wieder in der Jackentasche verstaut hatte, hörte ich plötzlich ein Klatschen hinter mir. Ich drehte mich um - und sah in die Augen des Defilers.

Serial Killer (In Überarbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt