~Kapitel 16~

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Ich sah ihn schon von Weitem. Wie er geschockt die Augen aufriss, als er mich erkannte. Madoc rannte dicht gefolgt von der Agentin los, doch ich wusste, dass er mich unmöglich einholen konnte. Ich wusste, dass er mich nicht retten konnte. Pure Verzweiflung machte sich in mir breit und ich wollte seinen Namen schreien, doch kein Laut verließ meine Kehle. Keinen Augenblick lang wäre es mir in den Sinn gekommen, den Blick von ihm abzuwenden.

Die Kugeln drangen in das Gummi der Reifen ein, was dem Wagen einen Ruck versetzte. Madocs Messer traf auf die Karosserie und prallte daran ab. Das schrille Geräusch, welches dabei entstand, ließ mich das Gesicht verziehen. Im selben Augenblick riss der Defiler das Steuer herum. Mir gelang es noch einen letzten Blick auf die beiden zu werfen, da fuhren wir auch schon um die nächste Ecke. Der Ausdruck, der in Madocs Augen gelegen hatte, brannte sich in mein Gedächtnis. Das vor Wut und Verzweiflung verzerrte Gesicht und der blanke Hass in seinen stahlgrauen Augen ... Es verschaffte mir eine unangenehme Gänsehaut. "Er wird alles in seiner Macht stehende tun, um mich zu retten. Ganz bestimmt." Ich sah zum Defiler, der in diesem Moment seine schwarze Stoffmaske abzog, wodurch seine braunen Haare zerzaust wurden. Doch er schien von dieser Situation gänzlich unbeeindruckt zu sein. Bloß das kleine Grinsen, welches seine Mundwinkel kaum merklich in die Höhe hob, zeigte, dass er gewonnen hatte und er sich daran erfreute. Sein Blick fand meine. Ich wusste nicht, wieso, aber ich sah nicht weg. Anders als bei Madoc erzählten die Augen dieses Mannes seine ganze Geschichte. Sie waren wie ein offenes Buch. Ich sah seine Verzweiflung, seine Zerrissenheit, das Leid und ein Funken Hoffnung. Das waren nicht die Augen eines Killers. Das waren die Augen eines Mannes, der endlich inneren Frieden erfahren wollte.

Er schenkte mir ein kleines Lächeln und wandte sich ab, so als ob er gewollt hätte, dass ich sah, was ihn bewegte. Aufgewühlt biss mir in die Innenseite meiner Wange und versuchte die Panik nieder zu kämpfen, welche sich langsam, aber kontinuierlich in mir breitmachte. Eine innere Unruhe brachte mich zum Zittern. Ich hätte versuchen können zu fliehen, doch ich war ihm fast schon freiwillig gefolgt. Wie eine Fliege, die sich bereitwillig im Netz einer Spinne verfing. Ich war ein naiver Dummkopf, nichts weiter. Mein Vergewaltiger saß neben mir und das Einzige, was ich getan hatte, war ihm zu folgen. Ich hatte mich noch nicht einmal gegen seine Berührungen oder seinen Kuss gewehrt. Die Erinnerung daran ließ mich erschaudern. Was würde er jetzt bloß mit mir machen? Würde er mich erneut vergewaltigen und seine perversen sexuellen Neigungen an mir befriedigen? Oder würde er mich foltern und schlussendlich umbringen? Mühsam versuchte ich den Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken, was schlussendlich jedoch scheiterte. Der Geruch meines Angstschweißes setzte sich in meiner Nase fest und ich spürte, wie mein ganzer Körper unnatürlich glühte und unkontrolliert zitterte. Der Messerstich in meinem Arm schmerzte zum Glück nicht mehr. Dort war nur noch ein unangenehmes Pochen und das warme Blut, welches träge meinen Arm hinunter floss und meinen Pullover rot tränkte.

Der Defiler zeigte auf das Armaturenbrett. Ich folgte seinem Finger und sah ein schwarzes Stück Stoff. "Verbinde dir bitte die Augen. Am Besten so, dass ich nicht das Gefühl bekomme, kontrollieren zu müssen, ob du etwas sehen kannst oder nicht." Seine raue Stimme vermittelte deutlich, dass er keinen Widerspruch duldete. Also tat ich, was er verlangte und verband mir mit dem rauen Stoff die Augen. Plötzlich spürte ich einen Windhauch und runzelte verwundert die Stirn, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, dass das Fenster offen war. "Braves Mädchen. Du hast auf mich gehört", sagte er mit amüsiertem Unterton. Ich brauchte ihn nicht zu sehen, um zu wissen, dass er lächelte. Und nun wusste ich auch, woher der Windhauch kam. Er hatte überprüft, ob ich etwas sehen konnte. Doch nein, da war nichts außer Dunkelheit. Wie ein Albtraum, in dem man zu versinken drohte. Sie schien mich zu verschlingen und es dauerte nicht lange, da fing ich an, wild zu halluzinieren. Es war so, als ob seine heißen Finger erneut langsam über meinen nackten, entstellten Körper fuhren. Als ob ich wieder in diesem Container lag und um mein Leben fürchtete. Ich spürte all seine Schläge mit einem Mal wieder an meinem Körper und auch das schmerzhafte Pochen in meinem Unterleib, welches ich empfunden hatte, blieb nicht aus. Bebend holte ich Luft und versuchte, meine Tränen zurückzuhalten. Vor allem, was man nicht sehen konnte, hatte man Angst. Wenn man eine Gefahr sah, konnte man gegen sie kämpfen. Doch wenn man sie nicht sah, würde man verlieren. Außer man lernte, gegen die Dunkelheit zu kämpfen.

Serial Killer (In Überarbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt