Dan lief über den heißen, ausgetrockneten Boden der Wüste. Die Zeitverschiebung machte ihm spürbar zu schaffen. War es in Europa bereits 3 Uhr morgens, brach hier gerade erst der Abend an. Eigentlich sollte er sich eine Mütze Schlaf gönnen, doch er dies in seiner gegenwärtigen Lage nicht möglich. Er drehte sich um und erwartete, dass Aubrey das Haus verließ, doch blieb die Tür geschlossen. Es war nicht verwunderlich. Aubrey konnte nirgendswo hin. Sie wäre in der Wüste verloren und würde einen qualvollen Hungertod sterben. Doch es war wahrscheinlicher dass sie in dieser Hitze verdurstete. Ihm sollte es Recht sein. Er hatte keine Verwendung mehr für sie. Aus diesem Grund entschied er sich dafür so viel Abstand wie möglich von diesem Haus zu bekommen. Und je weiter er lief, desto mehr verblasste das Weiß des Holzes. Es war nicht mehr als ein Flimmern in der Ferne. Dan trank gierig einen Schluck des kalten Wassers, welches er in einem Kanister mit sich trug. Es schmeckte sehr nach Eisen doch stillte es seinen Durst. Mehr interessierte ihn nicht. Aufmerksam ließ er den Blick schweifen. Nicht weitab von ihm entfernt war eine Schlucht. Zwei Akazienbäume standen gute fünf Meter vor dem Abgrund und warfen Schatten auf den ausgetrockneten Boden. Trotz das es bereits Abend war, war der Boden immer noch glühend heiß. Entschlossen lief er los und setzte sich an den kräftigen Stamm von einem der Bäume. Als Dan saß und den Kanister neben sich abgestellt hatte, gestattete er sich seinen wirren Gedanken nachzuhängen. Sie waren wie Puzzleteile die einfach nicht zusammenpassen wollten. Mit der Zeit hatte er einige von ihnen zusammenfügen können, doch war das Puzzle bei weitem noch nicht komplett. Das Foto seiner Eltern erschien vor seinem inneren Auge. Wer waren sie? Woher kamen sie? Und was hatte seine Mutter im Endeffekt zur Prostitution getrieben? "Würde ich sie bloß kennen." Dan seufzte. Er konnte nicht verstehen wieso seine Mutter ihn weggegeben hatte. Aber ob er den Grund wirklich wissen wollte, wusste er auch nicht. So viele Jahre hatte er damit zugebracht alles dafür zu tun um eine Erinnerung an seine Eltern zurück zu gewinnen. Damit er endlich wusste, wie sie aussahen. Und nun? Nun hatte er das erreicht, aber wie viel hatte es ihn gekostet? Wie viele Frauenleben hatte es die Welt gekostet? Es war so, als ob eine Stimme leise "189" in sein Ohr flüsterte. Doch es waren nicht nur 189 tote Frauen. Es waren auch 189 auseinandergerissene Familien. 189 Ehemänner, die ihre Ehefrau verloren hatten. Und vielleicht auch 189 Kinder, die ihre Mütter verloren hatten. Es war grausam. ER war grausam.
Dan vergrub sein Gesicht in den Händen und ließ sich von seinem Schuldgefühl mitreißen. Es trug ihn weit fort, tief in ein schwarzes Loch hinein welches nur aus Qual zu bestehen schien. Er dachte schon, dass er den Verstand in diesem Wirrwarr aus Negativität verlor, bis etwas Feuchtes seine Hand berührte. Als Dan den Kopf hob, blickte er geradewegs in die forschenden Augen eines Kojoten. Die braun-orangene Färbung strahlte Wärme aus. Das Tier saß vor ihm auf den Hinterbeinen und musterte ihn aufmerksam, schien jedoch keinerlei Scheu vor ihm zu haben. Kojoten standen für das Unberechenbare, das Überraschende und das Unerwartete. "Vielleicht ist das ja ein Zeichen." Lächelnd streckte er die Hand nach dem schönen Geschöpf aus. Zuerst fing es leise an zu knurren und bleckte die Zähne, doch dann ließ es zu dass Dan es hinter dem Ohr kraulen konnte. Der Kojote kam ihm nicht wie ein wildes Tier vor, eher wie ein zahmer Schoßhund. Er besaß einen buschigen Schwanz welcher, genauso wie sein Körper, orange-braun gefärbt war und sah im Großen und Ganzen wie ein zu klein geratener Wolf aus. Kein Wunder, schließlich waren die beiden Spezies verwandt. Dan fiel ein, dass er noch etwas Trockenfleisch in der Tasche hatte, welches er in einer luftdichten Box im Haus gefunden hatte, in welchem Aubrey sich nun befand. Ohne zu zögern holte er es heraus und hielt es dem Kojoten hin. Dieser nahm es nach kurzem Schnuppern vorsichtig mit den Zähnen auf und schlang es in einem Happs hinunter. Dann schmiegte er sich an Dans Bein und genoss die Streicheleinheiten. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wieso das Tier so zahm war, denn hier draußen in der Einöde wohnte keine Menschenseele. Doch er verschwendete keinen weiteren Gedanken daran, da er wusste dass er nicht auf die Antwort käme. Stattdessen sah er hinauf in den Himmel und beobachtete den Mond, welcher schon blass erkennbar am Horizont leuchtete. Die Hitze der texanischen Wüste verflüchtigte sich allmählich, die Luft wurde kälter und eine leichte Brise wehte über seine Haut. Der Boden jedoch glühte immer noch, spendete ihm somit aber genügend Wärme. Dan überlegte fieberhaft was er jetzt tun sollte, bis ihm etwas einfiel was er seit langer Zeit vergessen hatte.
Er holte sein Handy aus der Hosentasche und las sich die Anrufsliste durch. Viel gab es dort nicht zu lesen. Der letzte Anruf war vor vier Jahren gewesen und genau diesen suchte er. Der Freund, welcher ihm den Wohnort von the Lone Hunter beschrieben hatte, war auch ein gefürchteter Kopfgeldjäger welcher es geschafft hatte dem Blick des einsamen Jägers zu entkommen. Auch wenn er wusste, dass er irgendwann ins Fadenkreuz geraten würde. Dieser Mann hatte sich ihm als Matthew vorgestellt. Ob dies überhaupt sein richtiger Name war, wusste Dan bis heute nicht. Doch Matthew sagte ihm, dass er ihn anrufen sollte, egal was er brauchte. Sie waren sich begegnet als Dan gerade einen Mord im West End vollbracht hatte und nun wusste er auch, weshalb die Dissoziation eingetreten war. Mit zitternden Fingern drückte er auf "Wählen" und hoffte inständig, dass die Nummer noch vergeben war. Sie war es. "Matthew Anderson, was kann ich für Sie tun?" Dan erkannte die Stimme. Dunkel und kratzig, passend zu einem hart aussehenden Burschen Mitte dreißig. "Dan hier. Ich wollte dich um einen Gefallen bitten." "Dan wer?" "Dan Lowes. Der Defiler. Matt, ich brauche eine Dienstleistung von dir." Dem Mann schien ein Licht aufzugehen, denn ein erstauntes "Oh mein Gott" verließ seinen Mund. "Ich hätte nicht gedacht dass du dich noch an mich erinnerst. Geschweige denn dass du noch lebst! Der Wahnsinn.." Dan konnte das Lächeln durch das Handy hindurch spüren. "Steht das Angebot noch, welches du mir vor vier Jahren gemacht hast?" "Natürlich, Dummkopf! Ich habe nur darauf gewartet endlich wieder einen nervenaufreibenden Auftrag zu bekommen! Um was geht es?" Dan musste seine Worte nun weise wählen, denn sonst würde sein Plan scheitern. "Meine Zeit ist gezählt. Ich habe nicht mehr vor weg zu rennen. Er jagt mich. Und du musst ihn für mich töten." Die Antwort, welche er bekam, war anders als er erwartet. Denn Matthew meinte nur: "Geht in Ordnung. Wo muss ich hinkommen?" Der Kopfgeldjäger schien zu merken, dass sein Gesprächspartner sprachlos war, denn er lachte auf. "Dieser Bastard von Mensch hat meine Familie getötet. Er hat sie abgeschlachtet wie ein Tier. Solange ich sie rächen kann indem ich ihn töte ist mir mein Leben herzlich egal. Es gibt niemanden mehr der Zuhause auf mich wartet. Also, wo soll ich wann sein?" Mühsam schluckte Dan den Kloß in seinem Hals hinunter. Er konnte es nicht fassen. "Zehn Meilen östlich des Hauses der Knox', morgen um 22:00 Uhr. Aber sei gewarnt, er wird nicht alleine kommen. Eine Frau vom FBI begleitet ihn." Matthew klatschte in die Hände. "Okay, so machen wirs. Du musst mir nebenbei nichts zahlen. Nach diesem Auftrag werde ich sowieso, falls ich scheitere, zerstückelt in einem Fluss liegen. Bis morgen dann, alter Freund." Der Kopfgeldjäger beendete das Gespräch.
Mit einem dümmlichen Grinsen auf dem Gesicht lehnte Dan sich zurück an den Stamm und schloss die Augen. Geistesgegenwärtig krallte er den Kojoten weiterhin hinterm Ohr. Falls sein Plan aufging würde die Welt nicht nur von einem Monster befreit werden, sonder von dreien. Drei fliegen mit einer Klappe. Es wäre perfekt.
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Serial Killer (In Überarbeitung)
Gizem / Gerilim!Band I der Serial Killer - Reihe! Angst lehrt dich Dinge, die du zuvor nicht zu sehen vermochtest. Doch bekanntlich ist Schmerz der beste Lehrer. Aus ihm resultieren die verschiedensten Veränderungen. Womöglich konntest du mir folgen und dein Verst...