~Kapitel 24~

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Ich blickte auf das Käsebrot, so als ob es vergiftet wäre. Auch das Glas Wasser, welches Dan mir hingestellt hatte, rührte ich nicht an. Mein Hals war zwar staubtrocken und in meinem Magen tobte der Hunger, doch zu groß war meine Angst, dass er die Lebensmittel doch mit Gift präpariert hatte. Ich hatte das letzte Mal vor eineinhalb Tagen etwas zu mir genommen. Das ging an niemandem spurlos vorbei. Dazu kamen die unglaublichen Schmerzen, welche in meinem ganzen Körper zu wüten schienen. Als ich die endlos langen Treppen hinaufgestiegen war, hatte ich schon befürchtet, vor Erschöpfung einfach ohnmächtig zu werden und nach hinten zu kippen. “Immerhin hätte der Tod mich dann von diesem Irren erlöst.” Dans Verhalten war noch merkwürdiger als das, was Madoc an den Tag gelegt hatte. Aber anscheinend hatte der Defiler seine Dissoziationsstörung überwunden, was wiederum bedeutete, dass er mich nicht vergewaltigen würde. Zumindest hoffte ich das. Seine Berührungen hatten sich in meine Haut gebrannt wie ein Brandzeichen.

Unbemerkt versuchte ich ihn anzuschauen, doch sah ich geradewegs in seine braunen Augen. Sofort senkte ich den Blick. “Ich Idiot.” Dan lehnte sich amüsiert grinsend in seinem Stuhl zurück und fixierte mich geduldig. Nichts machte mir so sehr Angst wie sein durchdringender Blick. Ich wollte gar nicht wissen, was er dachte. Womöglich waren seine Gedanken abgrundtief pervers, genauso wie seine sexuellen Neigungen. Es war schon krank genug, dass er so unglaublich viele Frauen vergewaltigt und ermordet hatte, da wollte ich gar nicht erst wissen, wie seine privatesten Fantasien aussahen. Bestimmt stellte er sich bei den Vergewaltigen vor, dass es seine Mutter war, die er da entwürdigte. Mir kam bittere Galle hoch. Dan hatte in mir seine Mutter gesehen. Immer und immer wieder. Er tat es jetzt immer noch.

Schnell lenkte ich meine Gedanken in unschuldigere Richtungen und sah mich um. Das Haus, in dem wir uns befanden, glich einem gut erhaltenen Lost Place mit unangetasteter Inneneinrichtung. Dan und ich saßen in der Küche auf zwei alten Stühlen, welche mit Leder überzogen waren. Es roch nach Nelken und Zitrusfrüchten. Zwischen uns stand ein schwerer Eichenholztisch, der bereits mehrere Kerben und Kratzer aufwies. Auch wenn alles hier stark von den Jahren gezeichnet war, war die Schönheit des alten Hauses unverkennbar. Die Besitzer mussten wohl einen Faible für Kunst gehabt haben, denn überall, wo man hinsah, hingen kunstvolle Bilder, die jedoch mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren. Neben der Haustür entdeckte ich ein Bild von Salvador Dalí. Ich wusste immer noch nicht, wo wir uns befanden, ahnte aber, dass wir nicht mehr in Deutschland waren. Nicht nur die Hitze bestätigte mir diese Annahme, sondern auch der Baustil des Hauses. Noch dazu hätte es wenig Sinn gemacht, in einem Land zu bleiben, wo man jederzeit Gefahr lief, geschnappt und eingepfercht zu werden.

"Iss und trink ruhig. Ich habe es nicht nötig, dich zu vergiften." Mit einem sichtbaren Zucken blickte ich Dan entgegen. Er schien meine Gedanken an meinem Gesichtsausdruck abgelesen zu haben. Stumm nickte ich und biss in das weiche Brot, woraufhin sein Grinsen nur noch breiter wurde. In meinem Mund machte sich eine Geschmacksexplosion breit und. Nachdem ich fertig war, nahm ich das kalte Glas in die Hand und stürzte das Wasser hinunter, so als ob es das Einzige wäre, was mich am Leben hielt. Meine Halsschmerzen legten sich, da meine Kehle nun wieder befeuchtet war. "Na also, geht doch", lachte Dan amüsiert. Am Liebsten hätte ich ihn aufgefordert, mir etwas über seine Vergangenheit zu erzählen. Etwas, was ich noch nicht wusste. Doch dann fiel mir ein, dass er das ja nicht konnte. “Wobei. Wenn er nicht mehr dissoziiert, dann dürfte er sich doch wieder erinnern können.” Am Ende entschied ich mich, es trotzdem nicht zu tun und verschwendete auch keinen weiteren Gedanken mehr an den Mann, der da vor mir saß. Meine Gedankengänge drehten sich einzig und allein um Madoc.

Ich liebte ihn aufrichtig. Er hatte eine so starke Wirkung auf mich, dass es unmöglich war, sich ihm zu entziehen. Alles in mir schrie nach seiner Nähe, nach Geborgenheit … und nach Liebe. Doch der Gedanke, dass er der gefährlichste Serienkiller der Welt war, wollte nicht so recht in meinen Kopf hinein. Erst jetzt fiel mir auf, dass es immer Anzeichen dafür gegeben hatte. Seine herrische und dominante Ader, die Art, wie er sich kleidete, das, was er mir über seinen Vater und seine Kindheit erzählt hätte, die Tatsache, dass er nachts mit einer Pistole bewaffnet durch die Elbestraße gezogen war und schlussendlich gegen Dan gekämpft hatte, um mich zu retten … Es waren alles glasklare Anzeichen, aber ich war zu blind gewesen, um es zu erkennen. Ganz gleich, ob ich bis vor zwei Tagen noch nie etwas von The Lone Hunter gehört hatte. “Ich war blind vor liebe.” Und ich hatte mich ausgerechnet in Madoc verliebt. In einen blutrünstigen Killer. Doch auch wenn die ganze Welt das in ihm sah, hatte ich eine gänzlich andere Seite von ihm kennengelernt. Eine fast schon gütige Seite. Dazu kam, dass er mich vor Dan gerettet hatte, auch wenn er das letzte Mal gescheitert war, was jedoch nicht an ihm gelegen hatte. Ich hatte jedoch weder Angst vor dem Tod noch vor meinem Entführer. Vor Madoc jedoch hatte ich Angst. Seitdem ich wusste, wer er wirklich war, nur umso mehr.

"Dan?" Der muskulöse Mann sah mich abwartend an. "Was weißt du alles über ... The Lone Hunter?", fragte ich schüchtern, woraufhin sein amüsiertes Grinsen zurückkam. "Du willst wissen, auf was du dich eingelassen hast, stimmts?" War ich wirklich so leicht zu durchschauen? “Ja. Das wäre wohl besser.” Er nickte und verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust. "Na ja, wo soll ich anfangen? Er ist hochbegabt, so wie ich. The Lone Hunter hat ein analytisches Denken inne. In Kombination mit seiner Hochbegabung und seiner Fähigkeiten als Killer ist das eine tödliche Kombination. Und das hat er schließlich schon oft genug unter Beweis gestellt. Es gibt viele Dokus über ihn. Und er hat viele Nachahmer.” Argwöhnisch verengte Dan seine Augen und runzelte nachdenklich die Stirn. Ich wartete geduldig, bis er weitersprach. “Niemand kann ihm das Wasser reichen. Noch nicht einmal ich. Und das weiß er auch. Du, Aubrey, bist jedoch mein Trumpf. So kann ich ihn manipulieren. Die Liebe zu dir hemmt seine Skrupellosigkeit. Aber es wird der Tag kommen, an dem ich verlieren werde. Das ist unausweichlich. Ich kann es nur hinauszögern."

Unruhig rang ich meine Hände in meinem Schoß. Dass ich immer noch nackt war, machte mir mittlerweile nichts mehr aus. Ich war mir bloß nicht sicher, ob ich noch mehr hören wollte. Ein leises Seufzen entwich mir und ich stellte die Frage, welche mir schon die ganze Zeit auf der Zunge gebrannt hatte, da mir der Bericht wieder einfiel, welchen ich in der Umkleide gelesen hatte. "Wie ist er so geworden?" Dan trank nun ebenfalls einen Schluck Wasser. "Sein Vater, ein geisteskranker Psychologe, hat ihn zu dem gemacht, was er heute ist. Wie ich dir bereits sagte, hieß er Sero”, sagte Dan ernst. “Hab darüber mal was gelesen”, murmelte ich leise. Er lächelte zögernd. “Ich weiß, ich war anwesend. Aber nun wieder zum Wesentlichen. Man kann einen Menschen brechen. Und wenn er einmal gebrochen ist, dann kann man ihm seinen Willen aufzwingen. Sero hat seinem Sohn über Jahre hinweg sowohl physische als auch psychische Schmerzen zugefügt. Und da Madoc, wie du ihn nennst, wollte, dass diese Qualen aufhören, tat er immer genau das, was sein Vater von ihm verlangte. Und dadurch kennt man ihn heute als den gefährlichsten Killer der Welt. Ich weiß nicht, was mit seinem Vater passiert ist. Jedoch weiß ich, was passierte, nachdem Madoc sich von seinen Ketten befreien konnte."

Dan hielt kurz inne, wartete auf eine Reaktion von mir. Ich bedeutete ihm, weiter zu sprechen. "Ich denke du weißt, was eine Schmerzsucht ist. Sie ist vergleichbar mit Masochismus. Madoc kann sich nur besser fühlen, wenn er Schmerzen erleidet oder anderen Schmerzen zufügt. Gleichzeitig ist es für ihn aber auch die einzige Möglichkeit, um sich lebendig zu fühlen. Deshalb verbrachte er unzählige Nächte mit Frauen, die eben jene Neigungen hatten. An BDSM-Praktiken ist nichts Verwerfliches, im Gegenteil. Aber er tat es nur, um seine Schmerzsucht zu befriedigen. Und nicht, weil er Lust auf Sex hatte. Und hast du ihn jemals morden sehen? Er schlachtet die Menschen ab wie Tiere. Und es kostet ihn nicht die geringste Anstrengung. Dieser Mann ist das Böse in Person." Geschockt riss ich die Augen auf. Ein ungläubiges “Was” verließ meinen Mund. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber das überstieg selbst meine schlimmsten Erwartungen. Niemals hätte ich gedacht, dass er so war, wie Dan ihn mir beschrieben hatte. “Irgendein Laster hat er, das war mir klar. Aber … BDSM? Schmerzsucht? Oh Gott, auf was hab ich mich da nur eingelassen.” Auch wenn ich in gewisser Weise angeekelt war, meine Neugier siegte am Ende doch. "Tut er das immer noch?" Dan hob fragend eine Augenbraue. “Seine Nächte mit Frauen verbringen? Nein, nicht, dass ich wüsste. Seitdem er beim FBI gearbeitet hat, ist er nie wieder ausfällig geworden. Er tötet nur noch Menschen wie mich. Menschen, die eine gegenwärtige Bedrohung für die Bevölkerung darstellen”, sagte er, streckte sich ausgiebig und stand dann auf. "Und du gedenkst nicht vor ihm zu fliehen?" Dan warf mir eine saubere Decke zu, die er zuvor auf dem Tresen abgelegt hatte. "Nein. Dass hatte ich auch nie vor. Ich habe mein Ziel erreicht, dank dir und Eve. All die Jahre wollte ich nichts Anderes, als mich erinnern zu können. Und das habe ich geschafft. Jetzt kann er kommen und mich holen." Er schenkte mir ein schiefes Lächeln.

Dieser Mann war kein skrupelloser Mörder. Das war er nie gewesen. "Ich geh eine Runde spazieren, Aubrey. Leg dich schlafen. Oder verschwinde. Wie es dir lieber ist. Ich halte dich nicht auf." Daraufhin setzte sich Dan auch schon in Bewegung. Bevor er aus der Haustür trat, hielt er noch kurz inne. "Ach, und eines noch", gab er nachdenklich von sich und blickte mich über die Schulter hinweg an. "Tut mir leid, dass ich dir all das angetan habe. Geh zurück zu ihm. Er wird dich beschützen. Und ich werde zu einer vergessenen Person werden. Wenn du dich entscheidest zu gehen, dann bring ihn zu mir." In seinen haselnussbraunen Augen lag wirklich so etwas wie eine tiefgründige Entschuldigung. Der Defiler lächelte mich noch einmal an, dann verließ er das Haus und ließ mich verwirrter denn je zurück.

Serial Killer (In Überarbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt