Nachtleben

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Keine Ahnung, ob meine Umarmung unangemessen war, aber ich hatte in dem Moment einfach nur reagiert. Mein Bauchgefühl hatte mir gesagt, dass es okay wäre. Aber ihre Erwiderung hatte etwas steif gewirkt. Eigentlich sollte es mich nicht weiter beschäftigen, aber dennoch tat es das. Ich hoffte der Abend würde wieder so locker und unbefangen sein, wie der gesamte Tag. Wir hatten unheimlich viel gelacht und geredet und ich hatte das Gefühl, dass wir uns schon ewig kannten. Was wir ja gewissermaßen auch taten, aber dennoch waren wir irgendwo zwei Fremde, die sich grad erst kennenlernten. Ach, es war zum Haare raufen. Nein, sie war keine Fremde. Bei Fremden hatte ich nie das Gefühl von Vertrautheit. Ich war vorsichtig bei Menschen, die ich nicht wirklich kannte. Sonja jedoch konnte ich vertrauen. Das spürte ich einfach.
Ich stieg aus der Dusche und machte mich für den Abend fertig. Ich zog Jeans und Karohemd an und schrieb Sunny, dass ich mich in etwa zwanzig Minuten auf den Weg machen würde.
Ich gab Kal noch etwas Futter und frisches Wasser, checkte ob ich alles hatte, und machte mich dann auf den Weg nach Holloway. Zum zweiten Mal an diesem Tag. Ich parkte den Wagen am Straßenrand, lief über die Straße und klingelte. Wenig später ertönte er Türsummer und ich drückte die Tür auf. Sunnys Lockenkopf schaute übers Treppengeländer. „Bleib unten. Ich komme", rief sie mir entgegen und so lehnte ich mich an die Wand und wartete. Meine Hände hatte ich in den Hosentaschen vergraben. Eilig kam sie die Treppen runter, diesmal ohne mir in die Arme zu stolpern, und blieb grinsend vor mir stehen. Die Brille von heute Vormittag hatte sie wieder gegen ihre Kontaktlinsen getauscht. Sie trug eine schwarze, enge Jeans und dazu ein schlichtes, weißes Shirt. Um den Hals trug sie ein feingliedriges, goldenes Kettchen mit einem kleinen Anhänger, der aussah wie ein Flügel. Hose und Shirt lagen eng an ihrem Körper an und brachten ihre Rundungen perfekt zur Geltung. Sie war schlank, hatte aber Kurven, wo sie meiner Meinung nach hingehören. Kurz gesagt, sie war umwerfend. „Gut siehst du aus", lächelte ich und hielt ihr die Tür auf. „Danke. Du auch. Aber dein Hemd passte schon mal besser, oder?“, fragte sie mich und ich sah sie irritiert an. „Wieso?“
„Da muss man ja Angst haben, dass gleich einer der Knöpfe abfliegt, und einem ins Auge springt", scherzte sie. „Ha Ha", machte ich und wechselte mit ihr die Straßenseite. Sie grinste und stieg ein, als ich ihr die Beifahrertür aufhielt. „Also, wie ist der Plan für heute Abend?“, wollte sie wissen, als ich den Wagen gestartet hatte und losfuhr. „Wir bringen meinen Wagen nach Hause, warten auf Simon und Jen und gehen dann los“, erklärte ich. „Gehen? Wie gut, dass ich flache Schuhe angezogen habe“, schmunzelte sie und deutete auf ihre Chucks. Ich lachte. „Gehen meinte ich nicht wörtlich. Simon und Jen kommen mit dem Taxi. Da steigen wir dann mit ein", erklärte ich ihr und sie kicherte. „Ok, ich hatte schon Angst“, gab sie schmunzelnd zu. „Du weißt, London ist groß“, wiederholte ich meine Aussage von gestern und zwinkerte. „Da einfach irgendwo hin zu spazieren kann dauern. Auch wenn ich ziemlich zentral wohne.“
Der Verkehr war ziemlich zäh, und wir verspäteten uns bereits. „Wo bleibt ihr?“,  meldete sich mein Bruder, der mich angerufen hatte. „Gib uns zehn Minuten“, bat ich. „Ok, komm in die Hufe", ertönte es durch die Freisprecheinrichtung und ich verdrehte die Augen. „Ja ja", murmelte ich und legte auf. „Ältere Geschwister können so herrisch sein", sagte Sunny und grinste. Sie grinste ziemlich viel, wie mir auffiel. Die Gelassenheit von heute Mittag war also wieder da. Das war gut. „Wem sagst du das", murmelte ich bestätigend und grinste ebenfalls.
Wenig später fuhr ich auf den Hof vor meinem Haus, wo am Straßenrand bereits das Taxi wartete. „Hier wohnst du also?“, fragte Sunny überrascht. „Ja, seit Anfang des Jahres", bestätigte ich. „Ich hätte es eher… protziger erwartet", meinte sie und ich lachte. „Wozu? Ich bin alleine mit meinem Hund. Was soll ich da mit 10 Zimmern oder 300 Quadratmetern? Das kleine Reihenhaus reicht mir vollkommen", sagte ich und stieg aus. „Da bin ich ganz deiner Meinung. Nur nach deinen Autos hätte ich irgendwie was anderes erwartet.“ „Das ist was ganz anderes", grinste ich. „Das sind meine Spielzeuge", zwinkerte ich. „Ich mag Luxus, klar, aber man muss es ja nicht übertreiben. Ich gebe mein Geld lieber für andere aus.“ Sie sah mich einen Moment lang überrascht an, lächelte dann aber. Ich hielt ihr die Tür zum Taxi auf und ließ sie als erste einsteigen. Sie begrüßte Simon und Jen und stellte sich vor.
Wir ließen uns in die Stadt fahren und stiegen vor unserem Lieblingsclub aus. Hier waren Simon und ich ständig. In letzter Zeit nicht mehr ganz so häufig. Jedenfalls hatten wir hier schon einige Nächte durchgefeiert.
Ich hielt Sunny meinen Arm hin, in dem sie sich lächelnd einharkte und gingen gefolgt von Simon und Jenny durch den Eingang. Von den Türstehern wurden wir begrüßt und so konnten wir gleich durch.
Wir suchten uns einen Platz ziemlich weit hinten, aber dort wo man den ganzen Club überblicken konnte. Ich organsierte die erste Runde Getränke, die man uns an den Tisch brachte. Sunny schien sich gut mit Jen zu verstehen, die beiden plapperten zumindest die ganze Zeit über alles mögliche. Mir fiel auf, dass es nicht oft vorkam, dass die Frauen oder Freundinnen meiner Brüder etwas mit meinen Beziehungen anfangen konnten. Meistens waren die Mädels auch weitaus jünger als ich. Ich hatte tatsächlich mal was mit einer Achtzehnjährigen. Allerdings fand ich das erst später raus und hatte ihr dann klar gemacht, dass es nicht ginge. Es wäre eh nicht gut gegangen. Aber ich wollte keine lockeren Bekanntschaften mehr. Ich wollte eine Frau an meiner Seite und Familie. Dieser Wunsch festigte sich immer mehr in mir.
Sunny lachte ein lautes, offenes Lachen und in mir regte sich etwas. Dieses Lachen traf mich so intensiv, dass ich dieses Gefühl nicht einzuordnen vermochte. Klar war, ich stand auf Sunny. Mehr noch als das. Ich lief Gefahr, mich ernsthaft in sie zu verlieben. Verknallt hatte ich mich damals schon mit dreizehn in sie. Ich hätte nicht für möglich gehalten, das sowas so lange anhalten könnte. Sonja war zu einer umwerfenden Frau geworden und ich befürchtete, dass sie mir gefährlich werden könnte. Im positiven Sinne. Eigentlich war es längst geschehen. Seit ich sie auf dem Klassentreffen wiedergesehen hatte. „Wo bist du mit deinen Gedanken?“, fragte sie mich schließlich amüsiert. „Ich habe mich gerade gefragt, warum du damals auf dem Klassentreffen einfach so abgehauen bist“, log ich schnell. Sie seufzte. „Es war einfach niemand anwesend, der mich interessierte. Und du wurdest ständig in irgendeine Unterhaltung gezogen", erklärte sie. „Ich bin auch nicht mehr lang geblieben. Nachdem du weg warst, hatte ich kein Bock mehr. Du warst der Grund, warum ich überhaupt so lange geblieben bin“, gestand ich.. „Ich?“, fragte sie ungläubig und lachte. „Ja, natürlich du. Wir als zwei Außenseiter und Loser", zwinkerte ich und wieder lachte sie. „Sorry Henry, aber an diesem Abend warst du alles andere als ein Außenseiter und Loser.“ Ich schnaufte. „Ja, und es nervte tierisch", murmelte ich und nahm einen kräftigen Schluck von meinem Jacky-Cola. Ich betrachtete sie eine Weile von der Seite, als Jen sie wieder in eine Unterhaltung zog, und mir fiel zum ersten mal dieses winzige Nasenpiercing auf. Es war nur ein winziger, goldener Stecker. Ich fragte mich, ob sie es schon lange hatte. „Hallo? Erde an Henry.“ Simon schnippte mit den Fingern vor meinem Gesicht herum. „Hm?“, machte ich fragend und sah ihn an. „Komm mit“, sagte er und zog mich mit sich Richtung Theke. Dort orderte er zwei Tequila und schob mir Salz und Zitrone hin. „Also, Henners, wenn da noch was gehen soll, zwischen dir und….Sonja? Dann solltest du anfangen deinen Charme sprühen zu lassen. Sonst wird das nichts mehr mit ihr", redete er auf mich ein. „Wovon…? Was redest du da für ein Mist? Ich will sie doch nicht flach legen", wand ich ein und stürzte den Tequilla hinunter. Ohne Salz und Zitrone. Mein Bruder hob die Augenbraue. „Willst du nicht? Aber du hast sie dir schon angesehen, oder? Die Frau ist… eine Granate", bemerkte er und ich schnaufte. „Ja, und? Muss ich sie deshalb gleich flachlegen wollen?“
„Dich hats erwischt", vermutete er dann und ich verdrehte die Augen, bestellte noch zwei Tequilla. Simon lachte. „Du widersprichst mir nicht“, grinste er. „Also habe ich recht. Dann halt dich ran. Sie ist der Wahnsinn.“
„Sie ist nicht meine Kragenweite", murmelte ich dann und trank den zweiten Tequila, schüttelte mich und biss in die Zitrone. „Das ist die erste Frau, die genau deine Kragenweite hat. Sieh sie dir an. Sie ist klug. Wortgewand, ohne Bla Bla, witzig! Schön UND sexy“, zählte er auf und ich konnte ihm da nicht widersprechen. „Und das Wichtigste, sie ist eine Frau! Kein Mädchen. Eine erwachsene Frau, die, wenn du mich fragst, weiß wer sie ist. Und keine die sich wegen dir verbiegt. Eben das was du brauchst. Und willst", redete er weiter und ich trank schweigend aus meinem Glas. Simon lachte und klopfte mir auf die Schulter. „Und wie soll ich das deiner Meinung nach anstellen?“, fragte ich nun, denn ich hatte keinen Plan. Typisch. Ich und die Frauen. Mädchen anzusprechen war nicht das Problem, aber hier ging es um Sunny und darum, sie dazu zu bringen, mit mir auszugehen. Und darin war ich alles andere als gut. Mein Bruder schüttelte mit dem Kopf. „Sie steht auch auf dich. Das seht jeder Idiot“, sagte er nur und bestellte noch eine Runde Tequila für uns alle. Damit gingen wir zurück zu den beiden Frauen.
„Oh Gott, ich liebe dieses Lied. Ich muss tanzen", kam es plötzlich von Sunny und zog Jen mit sich zur Tanzfläche. Simon und mein Blick folgten ihnen und als Sunny anfing, sich zu dem Lied zu bewegen, blieb mir beinahe die Spucke weg. Sie bewegte sich anmutig und vor allem schien sie mit dem Lied zu verschmelzen. Sie sang das Lied aus voller Kehle mit und hatte dabei die Augen geschlossen. „Verdammt", entfuhr es mir und sah meinen Bruder vor sich hin schmunzeln. Ich beobachtete Sunny genau und als sich so ein Typ zu ihr gesellte und sie antanzte, wurde ich tatsächlich eifersüchtig. Ich schnaufte, als ich sah, dass sie darauf einging und rang mit mir. Ich und tanzen… hatte ich schon den richtigen Pegel dafür? „Scheiß drauf", murmelte ich, stellte mein Glas auf den Tisch und ging hinunter zur Tanzfläche.

When superman is lovin' youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt