10: Der Unsicherheit zum Trotz

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Unsere Rückkehr in den Norden blieb unbemerkt. Wie ein Flüstern sanken die Griva hinab an den Fuß der Gebirgskette Adelionis, wo die Windreiter vor ihren Kriegsplänen eine lange Zeit gelagert hatten. Stäbe ragten aus der Erde, als gehörten sie dorthin und die Sonnenstrahlen, die sie trafen, zogen dünne Schatten über den Staub.

In wenigen Stunden errichteten wir ein neues Lager. Zelte wurden aufgespannt, Feuerstellen ausgetreten, Holz und Steine gestapelt. Einige Frauen und Männer waren losgezogen, um zu jagen. Andere ruhten sich aus. Die Tage, die hinter uns lagen, zerrten an ihren Kräften. Und an ihrem Geist. Trotzdem hinterfragte niemand Laris Entscheidungen. Weder den geplanten Kriegszug noch den Rückzug in den Norden.

Ita hatte mir ein paar Kleidungsstücke zurechtgelegt, weil meine Lumpen ihr nicht länger zusagten und von meinen Schultern rutschten. Eigentlich kümmerte sich niemand darum, in welcher Kleidung ich herumlief, aber sie bestand darauf, dass ich mich ab sofort vernünftig kleidete. Zugegeben, die hohen Stiefel hielten die Kälte des nächtlichen Waldbodens fern, ebenso die Lederhandschuhe, die sie mir überlassen hatte.

Dankbarkeit erlaubten sich hier nur wenige. Worte besaßen keinen Wert, was zählte, waren Taten. Ehe ich in den Wald aufbrach, schlang ich den dunkelblauen Schal um Hals und Taille. Sollte ich Kräuter finden, konnte ich sie damit einfach transportieren.

„Wo willst du hin?" Beim Klang seiner tiefen Stimme zuckte ich zusammen. Geduckt drehte ich mich zu Laris, der sich die Haare zusammenband. „Hast du vergessen, was ich von dir wollte?"

Ich richtete mich auf und schüttelte eilig den Kopf.

Er schnaufte, zückte sein Langschwert und reichte es mir. „Wir trainieren."

Das Schwert zog mich Richtung Boden, sobald er es losließ. Hastig folgte ich ihm zu einer freien Fläche. Er blieb stehen und breitete die Arme aus. „Greif mich an", forderte er und abermals schüttelte ich den Kopf. „Komm schon. Zieh das Schwert und greif mich an."

Einige seiner Leute versammelten sich an den Rändern des unsichtbaren Kreises. Manche grinsten, andere rieben sich aufgeregt die Hände. Ich entfernte die Scheide vom Schwert. Meine Muskeln bebten. Wie schwer war dieses Metallstück? Wie konnte Laris er über seinen Kopf schwingen, als sei es nicht mehr als ein dünner Ast?

„Greif mich an", knurrte er und machte einen Schritt auf mich zu.

Die Schwertspitze schwebte knapp über dem Boden. Viel höher konnte ich es nicht anheben, geschweige denn schwingen oder einen Angriff starten. Die Männer neben mir murmelten etwas und tauschten besorgte Blicke aus. Ich verstand, was sie beunruhigte. Das war kein fairer Kampf. Ich hielt ein Schwert, das ich nicht führen konnte und Lairs wäre mir selbst unbewaffnet überlegen.

Stöhnend hob ich die Klinge an und ging auf ihn zu. Fünf Schritte später vergrub sich die Spitze in der Erde und ich stoppte. Das war doch kein Training! Die Leute um uns nuschelten, zogen sich zum Teil zurück und wanden den Blick ab.

„Sie kann das Schwert kaum halten!", hörte ich Mikaels Stimme aus dem Murren der Menge heraus. „Wenn du sie schon trainieren willst, dann solltest du mit etwas ... Leichterem beginnen." Er trat aus den Zuschauern heraus und entriss einer Frau den Bogen. Sie beschwerte sich nicht, sondern starrte weiterhin Laris und mich an. „Hier", sagte Mikael, nahm mir das Langschwert ab, reichte mir den Bogen und einen Pfeil aus seinem Köcher. Mit einer Drehung stand er vor seinem Partner und übergab ihm das Schwert. „Mit dem Bogen sollte sie besser arbeiten können."

Laris erwiderte nichts.

„Versuch den Baum dort zu treffen", leitete der andere Mann mich an und ich folgte seinem ausgestreckten Finger bis zu einem Ahorn am anderen Ende des Lagers. „Spann den Pfeil ein und schieß."

Griva - Die WindreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt