Als der Schädel meines Herren Dorenis über den Boden rollte und gegen meine Fußspitze prallte, hätte ich fliehen sollen. Stattdessen folgte mein Blick der roten Linie, die den Weg zu seinem Körper nachzeichnete. Mein kopfloser Herr fiel. Ein dumpfer Knall, mehr blieb nicht von ihm übrig.
Renn. Renn!
Ich trat auf der Stelle, wusste, dass etwas nicht stimmte. Doch ich wollte falsch liegen. Ich fügte die Teile zusammen, hoffte weiter, dass ich mich irrte. Alles passte so gut zusammen, dass ich mich nicht länger dem Hoffen hingeben konnte. Sie starben. Die Lebenslichter der Menschen, mit denen ich im Dreck gearbeitet, in der Sonne geschwitzt und beim Abendbrot gelacht hatte, wurden ausgelöscht. Eines nach dem anderen.
Das fühlte sich neu an. Die Luft füllte sich mit Schreien und Asche. Meine Finger fummelten an meinem Gürtel herum, tasteten nach etwas, das ich nicht besaß. Galle stieg meine Kehle hinauf. Der bittere Geschmack ließ mich würgen. Vorn übergebeugt sah ich abermals den abgetrennten Kopf vor mir. Die Angst drückte meine Schultern herunter und ich musste die Knie durchdrücken, damit ich nicht einknickte.
Ein heiseres Kreischen erklang und erst als mein Hals schmerzte, bemerkte ich, dass ich diejenige war, die mit aller Kraft schrie. Nach Halt suchend stolperte ich zurück, schaute zu dem Fremden, der zwischen den Toten auf mich zukam. Zu seiner Linken und Rechten türmten sich seine toten Gegner. Finsternis ummantelte ihn. In seinen Augen schimmerte das Blut der Gefallenden und derer, die sein Schwert allzu bald spüren würden.
Die Menschen riefen um Hilfe. Rauch wölkte sich in den Himmel, vertrieb die weißen Wolken. Es brannte. Das Anwesen der Dorenis brannte. Birla stand womöglich in Flammen und die Angst vor diesem Mann lähmte mich.
„Hierher!", brüllten die Wachen des Adels und stürmten auf ihn zu.
Der Fremde fixierte die heraneilenden Soldaten. Die schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht, aber sein Blick lag so fest auf denen, die er töten wollte, dass er es nicht bemerkte. Mit einem Schlag enthauptete er die erste Wache. Eine nach der anderen verlor ihren Kopf, als seien sie Trauben, die jemand von der Rebe trennte.
Ich hielt den Atem an, ging rückwärts. Jeden meiner Schritte zählte ich und mit jedem Schritt fühlte sich der Boden weicher an. Sein eisiger Blick traf meinen und er schnalzte mit der Zunge. Das Sonnenlicht erreichte ihn nicht mehr. Mein Herz schlug in dem Rhythmus seines Schwertes, das er durch die Luft schnellen ließ. Die Panik überkam mich in Wellen aus Qualm und Asche, doch ich weigerte mich, die Augen zu schließen.
Schreie mischten sich unter das Rauschen in meinem Kopf. Schreie, die näher kamen. Die Lauter wurden. Auf einmal lag ich am Boden. Finger krallten sich in mein dreckiges Oberteil und warme Tränen tropften auf meine Arme.
„Sie ..." Elenor schnappte nach Luft, keuchte und presste ihren Handrücken auf die blassen Lippen. „Sie sind alle tot. Sie durften nicht einmal einen letzten Wusch äußern."
„Wo ist Nattfari?" Meine Stimme klang fremd, falsch, aber ich war froh, sie zu hören.
„Ich ... weiß es nicht."
Das schrille Kratzen von Metall auf nacktem Stein schreckte uns auf. Elenor schlang die Arme um mich. Der Mann spazierte auf uns zu, hob sein Schwert und richtete die Spitze auf mich.
„Habt Ihr Euer Schwert?", wollte ich wissen und schob Elenor hinter mich. Ihre Antwort benötigte ich nicht, denn sie schnellte an mir vorbei und mit gezücktem Schwert auf unseren Henker zu.
Im selben Moment zerrissen gigantische Flügel die Luft. Eine weibliche Griva so groß wie ein Bär haschte nach Elenor, die ihr Schwert wegwarf und sich abrollte. Der Schnabel der Kreatur verfehlte sie knapp und als sich das Wesen auf seine Hinterbeine stellte, die Schwingen ausbreitete und zum finalen Schlag ausholte, stürzte ich dazwischen. Ich landete auf meiner Herrin und schirmte sie vor dem Schnabel, den Klauen und den Reißzähnen ab.
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Griva - Die Windreiter
Fantasia~Caja sieht ihre Welt brennen, doch statt die Feuer zu löschen, schließt sie sich dem Brandstifter an~ Ein grausamer Fremder, der ihr Henker sein könnte. Ein Fremder, der ihr eine Chance gibt. Ein Fremder, in dem sie mehr vermutete als die schiere G...