Meine Beine drohten, unter mir wegzubrechen. Jeder Schritt weichte die Knochen und Muskeln darin auf. Jeder Schritt fühlte sich wie die Ewigkeit an, obwohl ich keine Vorstellung davon hatte, wie sich Ewigkeit anfühlte.
Ich konnte meinen Blick nicht abwenden, nicht einmal blinzeln. Ein Druck baute sich in meiner Brust auf und ich keuchte, versuchte, ihn aus mir herauszupressen. Ich hielt an, krallte mich in den Stoff, der meine Brust bedeckte.
„Wohl nicht so stark, wie gedacht, Kleiner? Ist der Anblick unseres Lieblingsgefangenen zu viel für dich?"
Der betrunkene Soldat, der mich hierher gebracht hatte, lachte schallend und schlug mir auf den Rücken. Ja, der Anblick versetzte mich in eine Schockstarre und überforderte mich eindeutig. Angst, Panik und Hoffnung kämpften in meinem Herzen. Sie kämpften und kämpften, zerstörten einander und mich.
„Schau ihn dir ruhig näher an", ermunterte der Trunkenbold mich. „Er beißt schon nicht."
Nein, er würde mich nicht beißen. Er war froh, kein Blut zu gurgeln und lebendig in den Ketten zu baumeln, die ihm ironischer Weise den nötigen Halt gaben. Der Enterhaken, den sie ihm durch den Körper geschossen hatten, fehlte. Dafür nässte die enorme Wunde durch die Verbände, die sie ihm angelegt hatten. Sie hielten ihn am Leben. Sie hielten Laris zu ihrer Belustigung am Leben, schoben ihn auf diesen öffentlichen Platz und schauten ihn sich vor dem Abendbrot an.
Ich würgte und trat an den Käfig heran. Der Geruch von Kupfer lag schwer in der Luft. Er hob den Kopf, ließ ihn wieder sinken und stöhnte auf.
„Laris", flüsterte ich und ging um den Käfig herum, sodass ich aus dem Blickfeld des Trunkenboldes und seines Partners gelangte. „Kannst du mich hören?"
Er reagierte nicht. Die losen Ketten klirrten aneinander, spannten sich an, als er sich schlussendlich in ihnen hängen ließ.
„Ich hole dich hier raus, verstanden?" Abermals bekam ich keine Reaktion. „Laris, ich ..."
„Hier!", grölte der Betrunkene und drückte dem Gefangenen den Griff seines Schwertes in den Bauch. „So bekommst du etwas Leben in ihn."
Laris schnappte nach Luft und spuckte aus. Die langen schwarzen Haare verdeckten sein Gesicht, verschleierten seine Sicht auf die Dinge vor ihm und verbargen seine Schmerzen vor mir. Die Ketten spannten sich an. Seine Hände griffen nach den Eisenringen und er versuchte anscheinend, die Qualen stumm zu ertragen, aber für welchen Preis?
„Er ist ganz schön hartnäckig. War nicht leicht, ihn so zuzurichten und wieder zusammenzuflicken. Unsere Jungs hatten ... ihre Freude mit ihm." Das Schwert rutschte zurück in die Schlaufe seines Gürtels, während sich der Betrunkene hinter mich stellte. „Kleiner, weißt du, wer im Käfig verwest? Erkennst du ihn in diesem jämmerlichen Zustand nicht wieder?"
Ich drehte mich halb zu ihm um und schüttelte den Kopf. Log.
„Das der Kerl, der eine Familie abgeschlachtet hat, der die Dorenis allesamt ausgelöscht hat. Er ist der verräterische ..."
„Nicht", stoppte ihn sein Partner und guckte mich dabei an. „Hör nicht auf ihn. Er hatte zu viel Schnaps und redet Unsinn, Unsinn ohne Punkt und Komma."
„Ich bin so klar wie lange nicht mehr!", protestierte der Trunkenbold und schubste den anderen von sich. „Hör mir zu ... Klein ... Kleiner." Er legte seinen feucht warmen Arm um mich, nahm mich beiseite und hauchte mir einen Schwall faulende Luft entgegen. „Der Mann dort ist der verräterische Bruder unseres Herrschers. Carminus Haakons kleiner Bruder, der ihn einst töten wollte und nun den Norden und Westen an sich reißen will, aber nicht solange Carminus an der Macht ist!"
DU LIEST GERADE
Griva - Die Windreiter
Fantasía~Caja sieht ihre Welt brennen, doch statt die Feuer zu löschen, schließt sie sich dem Brandstifter an~ Ein grausamer Fremder, der ihr Henker sein könnte. Ein Fremder, der ihr eine Chance gibt. Ein Fremder, in dem sie mehr vermutete als die schiere G...