22: Totgeglaubte

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Das ewige Rattern des Karrens auf der unbefestigten Straßen, die wir nahmen, vibrierte in meinem Schädel. Die Enge erzeugte eine schwüle Hitze, die sich stinkend und beinahe schleimig auf meine Haut legte. Ich kannte die Wege und Abkürzungen nicht, die die drei Pferdekarren in den mittleren Westen führten, aber ich vertraute auf die Gier des Redners, der die neuen Kämpfer für den Krieg zusammengerauft hatte.

Der Redner aus Birla brachte uns schnell und ungesehen nach Operra, aber ein Empfang blieb aus. Die Bewohner verkrochen sich in ihren Häusern, wagten keinen neugierigen Blick aus dem Fenster oder aus der halb geöffneten Tür.

Auf einem großen Platz am Hafen blieben wir stehen und der Redner scheuchte uns wie Hühner aus unserer Mitfahrgelegenheit. Wir mussten uns in einer Reihe aufstellen, während unser und weitere fünf Karren den Platz räumten. Sie alle hinterließen junge Menschen, die Seite an Seite standen und auf jemanden oder etwas warteten.

Direkt über unseren Köpfen flogen Griva. Ich schluckte schwer. Schweiß rann meinen Rücken hinab und ich knibbelte den Saum meines Hemdes auf. Einige von ihnen landeten auf dem Platz und schritten mit ihren Reitern die Menschenreihen ab. Sie musterten uns wie Ware, hätten uns sicherlich gern in die Hand genommen und wie einen Apfel gedreht, ihn nach Dellen und Verfärbungen abgesucht, um zu prüfen, welche Qualität er besaß - welche Qualität wir besaßen.

Als ein Windreiter auf uns zukam, trat der Redner nach vorn, verbeugte sich und machte eine einladende Handbewegung, die bei uns endete. „Das sind alles Freiwillige für den Krieg gegen den Norden. Einige von ihnen sollen sogar vom Adel Birlas abstammen."

„Wer stammt vom Adel ab?", hakte der Windreiter nach und stieg von seinem Griva, wobei die Metallplatten an Armen und Beinen aneinander schabten.

„Der junge Herr zu Eurer Rechten." Der Redner trat hinter uns, blieb bei mir stehen und gab mir einen Stoß. „Der hier behauptet, der Jüngste der Pelero Familie zu sein."

„Ich dachte, die Pelero und Dorenis seien tot?" Er presste die Lippen aufeinander und rümpfte die Nase. Mit seiner rauen Hand packte er mein Kinn und drehte meinen Kopf von der einen auf die andere Seite. „Du bist dünn. Schwächlich. Sollte der Adel nicht fettgefüttert sein?"

„Nun ja ...", setzte ich an und befreite mich aus seinem Griff, senkte den Kopf. „Seit dem Angriff auf Birla bin ich auf der Flucht. Ich wollte nicht so enden wie meine Familie oder die Dorenis oder andere, die dem Norden zum Opfer gefallen sind."

„Und jetzt hast du dich dazu entschlossen, zu kämpfen?"

Ich sah auf und in die dunklen Augen des Reiters. „Richtig." Mein Atem ging stockend und ich krallte die Hände in den losen Saum meines Oberteils. „Ich will meine Familie ehren und ... Sie sind tot. Ich muss unseren Namen verteidigen und kämpfen, um einen Teil des Sieges einfordern zu dürfen. So besagt es das Gesetz, oder irre ich mich etwa?"

„Nein, Bursche, da hast du ganz recht."

Der Windreiter beäugte mich genau und ich rief mir die Bilder von Preben Pelero in Erinnerung. Er war immer schon kleiner als sein Bruder und deutlich zurückhaltender gewesen, trotzdem gab es einige Dinge in seinem Leben, die ich nicht kannte. Diese Lücken musste ich kaschieren, aber wie? Ich hätte weglaufen und mich verstecken können, so wie ich es seit dem Angriff auf Birla getan hatte. Aber dann hätte ich nichts an meinen Fehlern gelernt und würde mein Ziel vergessen müssen.

„Ich habe nicht als einziges Adelskind überlebt, richtig?"

Der Windreiter stürzte die Lippen.

„Die Tochter der Dorenis Familie lebt ebenfalls noch, so erzählt man sich es im äußersten Westen jedenfalls. Wenn sie nicht für ihr Land und ihre Leute kämpft, werde ich das tun."

Griva - Die WindreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt