4: Dunkle Schwingen

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Wie klang der Wind? Wie ein gieriges Heulen? Ein erschöpftes Jaulen? Ein Pfeifen? Ich war dem Himmel so nah, dass ich den Klang des Windes hätte wahrnehmen können, doch das Rauschen meines Pulses stahl ihm die Stimme. Angst flutete meinen Körper, nahm mir die Luft zum Atmen und brachte mich dazu, bei jedem Flügelschlag der Griva zusammenzuzucken.

Kriege. Schlachten. Kämpfe. Sie alle forderten Opfer und ich wollte nicht das Opfer eines Fremden werden. Nichtsdestotrotz stand meine Welt am Abgrund. Ein Trupp aus Windreitern hatte eine große Stadt wie Birla in wenigen Stunden erobert, viele getötet und mich entführt. Nein, ich hatte mich entführen lassen. Wozu waren sie noch imstande?

Die Feuer, die Schneisen in die Stadt gefressen hatten, verglühten. Wir flogen dicht genug über die Dächer, sodass ich Menschen entdecken konnte, die ihr Hab und Gut in Sicherheit brachten. Die einen klammerten sich an ihre Wertsachen, die anderen umklammerten ihre Jüngsten. Die Griva flog beinahe lautlos, während die Bürgerinnen und Bürger schrien. Die Schlacht um Birla war verloren. Riefen sie nach ihren Liebsten oder um Hilfe? In der Luft konnte ich sie nicht verstehen. In der Luft ging so viel vor sich, dass meine Sicht zu verschwimmen drohte.

Mein Herz blieb stehen. Meine Finger fuhren tiefer in das Federkleid der Girva. Ein dunkler Schein in meinem Augenwinkel weckte meine Aufmerksamkeit, verschwand sobald ich mich umsah. Stattdessen lag die Bäckerei meiner Eltern links von uns, fernab der letzten Glutnester. Tränen brannten in meinen Augen und meine Lippen erbebten. Ich bildete mir ein, in dem Qualm, der uns ab und an streifte, den Geruch von frisch gebackenem Brot herauszuriechen.

In den Gärten der Dorenis liebte ich den Duft der blühenden Rosen, des Flieders und der Hyazinthen. Doch sie ersetzten nie den Geruch des Krustenbrotes meiner Mutter, nachdem sie den warmen Leib in Scheiben und diese mit Wildblumenhonig bestrichen hatte. Obwohl ich all das liebte, hatte ich sie verlassen. Ich strebte nach dem Erfolg und als Bäckerin in der Vorstadt würde ich diesen nie erlangen. Als ich ihnen von meinen Plänen erzählt hatte, waren sie nicht sauer. Ein wenig enttäuscht, aber gewiss nicht böse, weil ich sie verließ und ich hatte sie verlassen.

Ich lernte beim Hofgärtner der Dorenis und durfte mich bald um die zahlreichen Pflanzen in den Beeten kümmern. Selbst die Kräuter aus fernen Ländern durfte ich unter der Glaskuppel aufziehen, weil ich ein Händchen für das satte Grün und die bunten Blühten zeigte. Die Dorenis waren gute Menschen, wenn auch streng und machthungrig wie alle anderen. Bis auf Elenor. Sie war naiv. Naiv genug zu glauben, eine Hochzeit mit einem Fremden könnte sie vor den Kämpfen, den Schlachten und vor den Kriegen dieser Welt bewahren. Heute hatte der Krieg seinen Weg zu ihr gefunden. Ich biss mir fest auf die Lippe, schmeckte Eisen auf der Zunge und beugte mich vor. Ich selbst war naiv, weil ich dachte, Elenor zu retten, wäre eine gute Idee gewesen.

Eine gute Tat.

Eigentlich hätte ich ahnen müssen, wohin mich diese Tat führte. Elenor kam ständig zu mir, um sich vor den Schwertkämpfen mit den anderen Windreitern des Hauses Dorenis zu drücken. Jedes Mal erfand sie eine Ausrede, die ich den Suchenden auftischen musste. Sie bedankte sich für meine Hilfe, aber der abschätzige Blick und das Lächeln, das sie trug, hätten mich niederbrennen können. Nichts kannte sie besser als die Macht, die ihr von Geburt an mitgegeben wurde und sie wusste, wie sie diese zu ihren Gunsten nutzte. Bis zum heutigen Tage, an dem ihr alles auf einen Schlag genommen worden war. Sogar mich hatten sie ihr genommen, trotz ihrer verzweifelten Lüge über ihre und meine Identität.

Zahlte ich den Preis für meine Selbstlosigkeit ihr gegenüber? Ich lebte noch, obwohl meine Ausgangssituation denkbar schlecht gewesen war. Mein Herz donnerte gegen meinen Brustkorb, als wolle es herausspringen und auf dem Boden, der meterweit entfernt dalag, zerschellen.

Griva - Die WindreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt