Laris war wie eine Waffe, die ihre Bestimmung suchte. Ein Schwert – eines wie das, das er auf dem Rücken trug – wusste, dass es Menschen erstechen und töten konnte. Ein Pfeil kannte seine Flugbahn, ahnte bereits, ob er traf und tötete oder verfehlte. Den Menschen unterschied sein Verstand von einer Waffe, die einzig Mittel zum Zweck war. Welchen Zweck wollte Laris also erfüllen?
Ich schüttelte mein Glas mit den Ringelblumen, die den durchsichtigen Alkohol gelblich gefärbt hatten. Drei Wochen würden die Blüten noch in der Flüssigkeit ruhen müssen, ehe ich die Tinktur weiterverarbeiten könnte.
„Caja ..." Mikael dehnte meinen Namen und streckte sich. Seine Augenlider waren halb geschlossen und es sah nicht so aus, als würde er sie in den kommenden Stunden heben könnte. „Laris will, dass du mit einer Waffe ausgestattet wirst."
Ich gab ein angeekeltes Geräusch von mir und schlang die Arme um mich.
„Pfeil und Bogen?", fragte er und griff in seinen Köcher, der leer war. Er stöhnte.
„Meinetwegen." Ich folgte ihm rasch und dafür, dass er müde war, lief er ziemlich schnell. „Ihr wollt mir eine Waffe geben? Vertraut ihr mir etwa?"
„Laris vertraut dir anscheinend und das bedeutet, dass wir dir alle trauen können." Er kratzte sich am Hinterkopf und drehte sich auf dem Absatz zu mir. „Du bist keine Gefangene mehr. Also bist du wohl unsere Verbündete."
„Das war nicht meine Frage", stellte ich klar und stemmte die Hände in die Seite, was Mikael amüsierte. „Du gibst mir eine Waffe, auch wenn es nur Pfeil und Bogen sind. Bedeutet das, dass du mir vertraust?"
„Ich gehe zumindest nicht davon aus, dass du mich hinterrücks erschießt."
Damit musste ich mich zufrieden geben. „Aber ich will keine Waffe haben."
„Das ist nicht deine Entscheidung. Du willst bei uns bleiben, oder? Dann musst du auch mit uns kämpfen. Ohne eine Waffe, dürfte das schwierig werden und ich habe keine Lust, deinen Körper zu verscharren, solltest du draufgehen."
In meinem Kopf geisterte die Idee herum, dass die Nordmänner nicht länger die Bösen in meiner Weltanschauung waren. Nur weil Brila gegen den Norden kämpfte, machte es den Westen nicht zu den Guten. Diese Theorie funktionierte auch umgekehrt und machte damit jeden Menschen gleich. Dennoch behandelte der Krieg die Menschen nicht gleich. Ein Krieg teilte Familien, Städte und Länder. Laris wollte einen Krieg, in dem er kämpfen konnte und suchte nicht nach einer Möglichkeit, die Adelshäuser zu vereinen. Ich kannte den Grund dafür. Jeder Mensch auf dieser Welt kannte den Grund: Krieg herrschte seit Jahrhunderten, vielleicht sogar noch länger. Die Menschen hatten sich daran gewöhnt, für ihr Leben zu kämpfen, ganz gleich wie ihr persönlicher Kampf aussah.
Um zu überleben, durfte ich mich nicht an die Gärtnerin in Birla ketten.
Ich nahm den Bogen und spannte einen Pfeil ein, ließ ihn auf den Baum zufliegen und verfehlte. Ein weiteres Mal sauste das Geschoss auf sein Ziel zu und verfehlte. Ich wiederholte den Vorgang. Trainierte. Wiederholte. Verfehlte.
„Erstaunlich", hörte ich Mikeal und sein Lachen klang mit. „Erstaunlich, dass du den Bogen noch nicht auf den Boden geworfen und zertrampelt hast."
„Ich bin nicht wütend auf den Bogen", knurrte ich. „Wut macht dich dumm. Ich will nicht dumm sein. Ich bin frustriert, weil ich es nicht verstehe." In wenigen Schritten stand ich vor ihm und reichte ihm den Bogen. „Zeig es mir noch einmal."
Mikaels Augen weiteten sich und die Müdigkeit schien verpufft. Er festigte seinen Stand und richtete sich seitlich zum Ziel aus. Mein Blick wanderte seinen Körper hinab zu den Füßen, die schulterbreit auseinander und parallel zueinander standen. Dann neigte er sich leicht nach vorne, Hüfte und Rücken blieben jedoch gerade. Er setzte den Pfeil an der Sehne an. Sein Zeigefinger lag oberhalb des Pfeils, sein Mittelfinger und Ringfinger darunter. Langsam zog er den Pfeil nach hinten und korrigierte seine Position minimal. Sein Rücken spannte sich an. Er schoss und traf.
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Griva - Die Windreiter
Fantasy~Caja sieht ihre Welt brennen, doch statt die Feuer zu löschen, schließt sie sich dem Brandstifter an~ Ein grausamer Fremder, der ihr Henker sein könnte. Ein Fremder, der ihr eine Chance gibt. Ein Fremder, in dem sie mehr vermutete als die schiere G...