15: Teemu

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Der weglose Wald verlor bei Tageslicht seine Geheimnisse an die Sonne, die einzelne Lichtfetzen auf den Moosen tanzen ließ. Unter mir schnaubte der rotbraune Wallach. Sein Schweiß mischte sich mit dem Geruch von frischem Harz. Neben uns standen die Fichten in Reih und Glied, zeichneten eine Linie zu den Bergen, die sich aus dem Wald gen Himmel erhoben.

Ich schlug meine Fersen leicht in die weiche Seite des Pferdes und es erklomm die felsigen Wege, die Wind und Wetter in den Berg gegraben hatten. Meine Hände zogen an der Mähne des Tieres und es folgte meinem Wunsch, sich links zu halten. Langsam, schleichend prasselten die Erinnerungen auf mich ein. Von oben sahen die Berge anders aus, aber ich erkannte den Hang, der den oberen Teil eines Berges umschloss, wieder. Irgendwo dort oben warteten Griva darauf, dass ein Mensch sie in ihrem Frieden störte und dieser Mensch würde ich sein.

Weit in der Ferne, kaum zu erspähen, flogen dunkle Schatten durch den Himmel. Ich trieb das Pferd weiter an. Es schnaubte und rutschte ab. Steine bröckelten, rieselten unseren zurückgelegten Pfad hinab und rissen weitere Brocken mit sich. Ich wischte mir die Hände an den Hosenbeinen ab und schaute in die Wolken. Dort oben drehten sie ihre Kreise, fegten die weißen Gebilde mit ihren Flügeln weg.

Ich schlug die Beine auf eine Seite des Wallachs und rutschte von seinem Rücken. „Bleib hier", nuschelte ich und ging weiter. Er trottete hinter mir her. Eine ganze Weile hallten seine Schritte hinter meinen. Das monotone, dumpfe Klackern seiner Hufe ließ mich die Einsamkeit vergessen.

Die Gefahr ließ sich jedoch nicht abschütteln. Sie war allgegenwärtig.

Das Pferd gab einen quietschenden Ton von sich und preschte an mir vorbei. Ich wirbelte herum, verlor die Balance und rammte einen Felsen, klammerte mich an diesem fest, um nicht von dem Sturm erfasst zu werden, der mich vom Boden abheben ließ.

Stille.

Ich blinzelte den Staub aus meinen Augen, rieb mir über das Gesicht und keuchte auf. Der braune Wallach lag auf der Seite, die Hinterläufe zappelten, traten und erstarrten. Auf seinem Körper thronte ein Griva mit kupferfarbenen Flügeln. Der schwarze Federkamm stellte sich auf, als er mich erblickte und den Hals des Pferdes auf die Erde klatschen ließ. Blut rann aus der Bisswunde, hatte das weiße Federkleid seines Körpers befleckt.

Der Griva öffnete das Maul, entblößte die spitzen Zähne und gab ein Fauchen von sich, das mir den Schweiß auf die Haut trieb. Ich konnte seine Augen zwischen den schwarzen Federn kaum ausmachen. Er öffnete die Schwingen, setzte zum Sprung an und landete vor mir. Sachte hob ich die Hände. Seine Augen funkelten in einem unheimlichen Rot, als die Sonnenstrahlen über den Bergkamm krochen und uns erfassten.

„Ganz ruhig", wisperte ich und ging in die Hocke.

Seine Federn raschelten bei jeder Bewegung und seine Brust erbebte bei jedem Knurren, mit dem er mir drohte. Selbst für ein Männchen wirkte er ziemlich dünn. Abgemagert. Oder vielleicht war er sogar krank.

Fauchend wand er sich von mir ab und dem toten Pferd zu. Er versenkte seinen Schnabel in dem Bauch des Tieres, schmatzte und zerrte an den Eingeweiden, die er sich einverleibte. Ich bedeckte Nase und Mund mit meiner Hand, versuchte die aufsteigende Galle herunterzuwürgen. Dieser Griva hatte meine einzige Möglichkeit, in weniger als einem Tag zurück ins Lager zu gelangen, mit einem Angriff ausgeschaltet.

Ich rammte meine Faust auf den Boden, schürfte mir die Fingerknöchel auf und fluchte. „Das Pferd ..." Meine Stimme gewann an Kraft, je verzweifelter und wütender ich wurde. „Das Pferd gehörte mir!"

Abermals strafte er mich mit einem Knurren und stieg, schlug mit den Flügeln um sich. Der rabenschwarze Kamm ließ ihn nur minimal größer wirken, als er tatsächlich war.

Griva - Die WindreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt