Im Lager schrien und brüllten die Menschen, weil ein Mann zwischen ihnen tobte.
Ich rollte mich zur Seite, rappelte mich auf und rieb die geröteten Handgelenke solange, bis das Blut in meine Fingerspitzen strömte. Mit dem Ärmel rieb ich mir über die Augen und blinzelte die Tränen weg, die nicht geflossen waren.
Das Geschrei vor dem Zelt ebbte ab.
Ich stolperte an die frische Luft und erstarrte noch in der Bewegung. Laris hatte einen Mann an den Haaren gepackt und schleuderte ihn auf einen Haufen Menschen. Einen anderen schlug er im Vorbeigehen nieder. Der nächste bekam sein Knie zu spüren. Mikael wich seiner Faust aus und eilte zu denen, die am Boden lagen. Dann traf ihn Laris Fuß im Rücken.
„Halt!", rief ich und klappte den Mund sofort wieder zu. Die Blicke der wenigen, die Zeit zum Aufschauen hatten, trafen mich. Darunter auf Laris, der nur wenige Sekunden später auf mich zu preschte.
Große Flügel legten sich um mich, schirmten mich von dem wütenden Mann und dem Rest des Lagers ab. Ich atmete auf, berührte die Federn und spürte Luinas Atem im Nacken. Ihre Schnauze bleckte in meinem Augenwinkel auf, während ihre Brust gegen meine Schulter drückte. Dann legte sie die Schwingen an und gab mich frei.
Laris stand wie angewurzelt vor mir. Die Tatsache, dass er weder seine Dolche noch sein Langerschwert mitgenommen hatte, sicherte die Leben seiner eigenen Männer. Mein Leben vermutlich ebenfalls.
„Was tust du?", wollte ich wissen und vergrub meine Hand in den warmen Federn hinter mir. Wäre die Griva nicht in meiner Nähe, bekäme ich die Lippen sicher nicht auseinander.
„Ich suche den Verräter." Seine harte Stimme warf mich zurück, als hätte er mir einen Tritt versetzt. „Du hast gesagt, es gebe einen, also werde ich alle Männer, auf die deine Beschreibung zutrifft, töten."
Halbherzig schüttelte ich den Kopf und hielt seinem Blick stand, wandte mich nicht von diesem hasserfüllten Gesicht ab, das mir Anschuldigungen entgegenschmetterte. Der Mann vor mir ähnelte dem Mörder der Dorenis und ich hasste mich für diesen Gedanken, hasste ihn dafür, dass er sich so verhielt, wie er sich eben verhielt.
Auf einmal wandte er sich von mir ab und den grauhaarigen Männern zu. Er stellte sie in einer Reihe auf, als wären sie Holzmännchen, mit denen die Jungen vor der Bäckerei meiner Eltern immer gespielt hatten. Doch keiner von ihnen ähnelte dem Mann, den ich im Wald belauscht hatte.
„Warte", hörte ich mich selbst sage und schluckte schwer. Laris leerer Blick traf meinen und Kälte drang durch die feuchten Stellen an meinen Knien hinauf in meinen Nacken. „Er ist nicht dabei. Der Verräter, er ist nicht unter ihnen."
Die Männer duckten sich und zogen die Schultern bis an die Ohren, während Laris sie abging. Seine Begutachtung blieb oberflächlich, denn er kannte das Gesicht des Verräters nicht. Dann riss er einem jeden die Kleider vom Leibe, bis sie einzig in Unterhose vor ihm standen. An keinem der Hälse hing die goldene Rosenkette der Dorenis. Dennoch packte er einen der Verdächtigen am Hals und drohte, ihn zu erwürgen.
„Nicht!" Zu mehr als einem einzelnen Wort schien ich nicht in der Lage zu sein. Doch es genügte, um die Aufmerksamkeit des rachsüchtigen Mannes auf mich zu lenken. „Laris, es ist sinnlos, deine eigenen Leute wegen eines Verdachts zu töten. Zumal ..."
Er ließ den um Luft ringenden Mann auf den Boden prallen und stampfte zu mir. Ich wich zurück, hob abwehrend die Hände und ließ sie beschwichtigend sinken. Diese Geste ignorierend schloss er seine Hand nun um meine Kehle und ich meine um sein Handgelenk. Er starrte mich an und ich erkannte die Furcht hinter seiner schier unendlichen Wut. Denn Wut brachte einen Menschen zum Beben, zum Kochen und Angst erfüllte eine Seele mit Kälte. Mit Einsamkeit. Letztere erkannte ich in ihm, weil ich Einsamkeit selbst erlebt hatte.
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Griva - Die Windreiter
Fantasy~Caja sieht ihre Welt brennen, doch statt die Feuer zu löschen, schließt sie sich dem Brandstifter an~ Ein grausamer Fremder, der ihr Henker sein könnte. Ein Fremder, der ihr eine Chance gibt. Ein Fremder, in dem sie mehr vermutete als die schiere G...