Vor der Zeit mit Laris verstand ich nicht, was es bedeutete, jemanden zu verlieren, der einem wichtig war. Laris hatte mir vieles genommen und mindestens ebenso viel gegeben. Mein Leben änderte sich, nachdem mir dämmerte, dass diejenigen, die ich einst für Monster hielt, mich beschützten.
Mein Herz sank tiefer in meine Brust, sank an eine Stelle, an die es nicht gehörte, denn für ihn und unsere Feinde schien es der perfekte Tag zum Sterben oder Töten zu sein. Laris schaute flüchtig zu mir. Seine Haare glichen einem feuchten Durcheinander aus Algen. In der aufgehenden Sonne wirkte er wacher als zuvor. Er wirkte menschlich. Nahbar.
„Ich befürchte", begann er, während feindliche Windreiter ihre Kreise über uns zogen und Teemu sichtlich einschüchterten, „ich muss dich bitten, mir zu vertrauen."
Ich sah zu ihm auf. Meine Lippen bebten. „Ich habe bisher deiner Wut vertraut, aber ... heute vertraue ich dir."
„Du glaubst, ich kann gewinnen, oder?"
Mit einem Atemzug stand ich auf und nickte. „Und du glaubst, dass ich mit dir kämpfen werde, richtig?"
„Ich will es nicht glauben, aber ..." Seine Aufmerksamkeit wandte er wieder Elenor, dem Herrscher des Südens und seinen Soldaten zu. Über uns peitschten die Windreiter ihre Griva, die kreischten. Laris Hand zuckte. Er befand sich in keiner Verfassung, zu kämpfen. „Ich befürchte, dass der heutige Tag darin enden wird, dass du mich so sehen wirst, wie ich mich sehe. Caja, ich bin ..."
„Ein Monster!", beendete Elenor seinen Satz schreiend und zückte ihr Schwert, das etwas dicker als ein Degen, aber schmaler als die Schwerter der Soldaten war. „Und niemand kann ein mordendes, verschimmelndes Monster wie ihn retten, Caja!"
Ich reckte meinen Kopf und trat vor das angebliche Monster, stellte mich schützend vor den Einzigen, der mich – im Gegensatz zu ihr – nicht verraten hatte. „Das habe ich bereits getan!" Mein Widerspruch wälzte über die Nachkommin der Dorenis hinweg. Sie schwankte zurück, ließ ihr Schwert sinken und suchte den Blick ihres ... wie standen sie und der Mann neben ihr zueinander?
Der Herrscher des Südens, Carminus Haakon, erhob die Hand und stieß einen schrillen Pfiff aus. Sofort starrte ich in den Himmel, spürte Laris in meinem Rücken und einen feinen Windzug der kupfernen Schwinge, die sich über uns ausbreitete.
Die Windreiter brachen ihre Formation und hätten sie es nicht getan, hätte die feuerrote Griva sie dazu gezwungen. Einem Sturm gleich donnerte sie zu Boden und lauerte auf uns. Die Furcht vor den Reißzähnen und scharfen Klauen kam in Wellen über mich. Erdrückte mich für eine Sekunde und ertränkte mich in der nächsten.
Laris Hand auf meiner Schulter gab mir Halt, fühlte sich jedoch klamm und kalt an.
„Teemu", wisperte ich und nahm eine geduckte Haltung ein. Mein Griva spiegelte mich und presste die Flügel dicht an seinen Körper. Automatisch legte ich den Bogen in meine Hand und tastete nach einem Pfeil aus dem Köcher, der der bewusstlosen Wache gehört hatte. „Was sollen wir tun?"
„Wer sagte, es gibt ein Wir?"
Ich erstarrte. Plötzlich stürmte Laris auf die Feinde zu. Allein. Allein würde keiner von uns diesen Kampf überleben. Mein Herz schlug stumm in mir. Unsere Chancen standen schlecht. Schlechter als schlecht. Vielleicht war das hier mein letzter Sonnenaufgang.
Teemus Knurren weckte mich aus meiner Starre und die Griva des Feindes stieß Laris im Galopp beiseite. Ich sah seinen Fall nicht mehr, nur das Meer aus feurigen Federn, die sich auf Teemu stürzten. Die zwei Kreaturen verkeilten sich ineinander. Sie schrien, verbissen sich in den Körper und versenkten die Krallen im Fleisch des anderen.
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Griva - Die Windreiter
Fantasy~Caja sieht ihre Welt brennen, doch statt die Feuer zu löschen, schließt sie sich dem Brandstifter an~ Ein grausamer Fremder, der ihr Henker sein könnte. Ein Fremder, der ihr eine Chance gibt. Ein Fremder, in dem sie mehr vermutete als die schiere G...