Die U-Bahn hält an der Haltestelle Dornbusch. Ich steige aus und laufe zügig die Treppen hoch. Von hier aus sind es nur noch fünf Minuten zu Fuß bis zu Feros kleiner Wohnung in dem tristgrauen Betonklotz.
Ich reibe nervös meine schlanken Finger ineinander. Irgendwie bin ich mir meiner Sache plötzlich gar nicht mehr so sicher wie noch in den letzten Tagen, aber das ist wohl nur Torschlusspanik.
Ich betrachte mich im Vorbeigehen in einem der Schaufenster. Mein schwarzes glattes Haar ist taillenlang und meine Mandelförmigen Augen glänzen im dämmernden Licht der langsam untergehenden Sonne. Ich trage eine hellblaue Jeans mit zerissenen Knien, ein weißes Croptop und ein paar weiße Nike Airforce 1. Über dem Arm habe ich eine rosane Bomberjacke. Heute Abend wird es bestimmt kalt sein und ich will nicht, dass Fero mich nach dem Gespräch noch nach Hause fährt.
Als ich ihn damals kennengelernt habe, fand ich ihn so unglaublich heiß. Er trug eine dunkle Jeans, Nikes, ein weißes enganliegendes T-Shirt, welches seinen muskulösen Oberkörper betonte und seine tätowierten Arme zur Schau stellte. Auf seinem Kopf saß eine rote Cap und seine tiefbraunen Augen fixierten mich den ganzen Abend lang.
Ich genoss seine Blicke, spürte, wie er mich fast mit ihnen auszog, während ich mich auf der Tanzfläche zu den dröhnenden Hip Hop Beats bewegte. Ich sah, wie ihn die Eifersucht überkam, jedes Mal, wenn sich ein anderer Typ mir näherte, doch an dem Punkt hatte ich längst nur noch Augen für ihn.
Als er mich dann antanzte, war es ihm ein leichtes, mich für ihn zu begeistern. Er drückte seinen muskulösen Körper gegen den meinen, schlang seinen Arm um meine Hüften und ich rieb mich leicht an ihm. Er roch nach One Million und Gras, und er fühlte sich so gut an.
Ich könnte sagen, "eigentlich bin ich nicht so eine", aber genau wie bei den meisten anderen Mädchen, die diesen Satz über die Lippen bringen, wäre es auch bei mir gelogen.
Ich weiß, dass ich gut aussehe, aber trotzdem habe ich schon früh begonnen meine Bestätigung aus männlicher Aufmerksamkeit zu ziehen. Ich suhle mich in den Komplimenten, den Pfiffen, den gierigen Blicken. Ich mag es, wenn mich Typen in der Disco ansprechen oder auf Social Media anschreiben, selbst wenn sie mir kein Stück gefallen.
Fero hat das immer gehasst, und ich kann das verstehen, aber mittlerweile fehlt es mir so sehr, dass sich mein ganzer Körper danach sehnt. Es sollte mir reichen, dass ich für ihn die schönste Frau der Welt bin, aber gerade habe ich das Gefühl, dass es das nicht mehr tut.
Ich war so jung, als ich ihn kennengelernt habe, gerade 17, noch nicht mal volljährig und irgendwie habe ich das bedrückende Gefühl etwas zu verpassen. Manchmal fürchte ich, ich würde meine besten Jahre an ihn verschwenden.
Ferat ist ein guter Junge, auch wenn er manchmal schlechte Dinge tut. Er rastet zu schnell aus, jeder Typ der mir zu nah kommt ist ein rotes Tuch für ihn und ich kann gar nicht sagen, wie viele Kerle er in den anderthalb Jahren schon wegen mir geschlagen hat. Es schmeichelt mir mehr als es sollte, aber ich habe mich bei ihm immer sicher und geborgen gefühlt.
Ich weiß, dass er ohne mit der Wimper zu zucken für mich töten würde, und auch wenn er ein harter Kerl ist, der sich nicht vor Auseinandersetzungen und deren Konsequenzen scheut, wird er ganz weich, wenn er bei mir ist. Niemals könnte er mir einen Wunsch abschlagen, er würde mir die Sterne vom Himmel holen und Berge für mich versetzen.
Ob ich jemals nochmal jemanden finden werde, der mich so liebt, wie er?
Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. Vielleicht sollte ich das ganze lieber lassen und wieder unverrichteter Dinge nach Hause fahren.
Wenn ich jetzt einmal den Schritt gehe, ihn zu verlassen, wird sein Stolz verhindern, dass es nochmal ein zurück gibt. Wenn ich das durchziehe, ist es für immer.
Ich bleibe vor der Haustür des Hochhauses stehen und zögere. Ich schließe die Augen und atme tief ein und aus.
In den letzten Tagen war ich mir so sicher, doch jetzt gerät meine Entscheidung erheblich ins Wanken. Wie soll das erst werden, wenn ich gleich vor ihm stehe?
Kurzentschlossen drücke ich auf jene Klingel, auf der sein Nachname steht.
Sayın
Früher bin ich davon ausgegangen, dass auch ich mal diesen Namen tragen werde.
Fero und ich hatten es nie leicht, kommen wir doch beide aus schwierigen Verhältnissen und kämpfen uns irgendwie durchs Leben, aber wir haben immer zusammen gehalten.
Der Türöffner summt und ich drücke die schwere Tür mit den metallverstärkten Glasscheiben auf.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Der kleine, alte und nicht besonders vertrauenserweckende Fahrstuhl bringt mich in die dritte Etage.
Fero steht schon im Türrahmen und mustert mich skeptisch.
Er trägt eine graue Jogginghose und ein einfaches weißes Shirt, wie er es meistens tut. Auf seinem Kopf sitzt wie so oft eine Cappy, dabei hat er so schönes Haar, dicht und rabenschwarz. Er geht jeden Freitag zum Frisör, lässt seine Haare und seinen Bart schneiden, und doch trägt er zu meinem Bedauern meistens eine Mütze.
Unschlüssig bleibe ich für einen Augenblick vor ihm stehen, weiß nicht wie ich ihn begrüßen soll, und drücke ihm dann einen schnellen Kuss auf die Wange.
"Komm rein", weist er mich nüchtern an.
Sogar jetzt toben in mir noch Kämpfe, sie wüten in mir wie verheerende Wirbelstürme. Kopf gegen Herz. "Ich war mir doch so sicher" gegen "Irgendwie will ich das ganze doch nicht".
Ich folge ihm in das kleine nahezu quadratische Wohnzimmer und lasse mich neben ihn auf die dunkelgraumelierte Couch fallen.
"Also, du wolltest mit mir reden?", hakt er ohne Umschweife nach.

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Vier Worte
ChickLit"Wir müssen dringend reden." Diese vier Worte bedeuten nie was Gutes. "Ich brauche mehr Freiheit." Vier Worte, tausend Gedanken. Das Ende der Beziehung von Luana und Fero - aber erst der Beginn dieser Geschichte. _________________________________ ...