12zwölf

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Ich atme erleichtert auf, als ich Luana nicht im Salon entdecke. Ich war mir nicht sicher, ob sie heute arbeiten muss oder ob das ihr freies Wochenende ist, aber ich konnte meinen Baba nicht davon überzeugen, meinem Onkel selbst den Cay zu bringen, den er ihm aus der Türkei mitgebracht hat.

Ich bin wirklich nicht scharf darauf, ihr heute wieder zu begegnen, nachdem es gestern so geknallt hat zwischen uns.

"Selamun aleyküm", rufe ich laut. Mein Onkel Adem kommt erfreut auf mich zu und umarmt mich herzlich. Er ist mein Lieblingsonkel, da er noch ziemlich jung ist und ich mich auch deshalb wahnsinnig gut mit ihm verstehe.

Als ich ihn damals darum gebeten habe Luana zu helfen hat er zwar erst gezögert, aber ist dann doch mir zu liebe über seinen Schatten gesprungen. Ich habe dafür sogar in Kauf genommen, dass meine ganze Familie von der Beziehung zu Luana erfährt, aber das war mir egal. Sie war so verzweifelt und niedergeschlagen und ich habe es nicht länger ertragen, sie so leiden zu sehen.

Ich begrüße auch meine Tante Yeliz, die mich überschwänglich auf die Wangen küsst und will gerade fragen, wo ich den Tee hinbringen soll, als jemand in mich reinrennt.

Ich will gerade losschimpfen als ich bemerke, dass niemand geringeres als Luana unmittelbar vor mir steht und mich aus ihren großen braunen Augen erschrocken ansieht.

"Augen auf, Bambi", fahre ich sie genervt an. Auf ihren Mund schleicht sich ein leichtes Lächeln.

"Hier wird nicht gerannt", weise ich sie zurecht. "Wo willst du überhaupt hin?"

Yeliz beobachtet uns amüsiert und auch Adems Aufmerksamkeit liegt auf uns.

"Nachhause, ich darf schon eher gehen", erklärt sie mir strahlend.

Ich fahre zu meinem Onkel herum. "Amca, wieso lässt du sie eher gehen? Sie soll mal schön noch ein bisschen weiter arbeiten. O nedir, ya? 15 Uhr Feierabend", schimpfe ich grinsend.

Luana kneift mir in den Bauch.

"Ah", stöhne ich schmerzerfüllt auf und lasse fast den Tee fallen. "Hör auf, bevor er sich das anders überlegt", zischt sie mir zu.

"Sie hat viel gearbeitet diese Woche, sie hat sich das verdient", verteidigt Adem sie und nickt ihr kurz anerkennend zu.

Ich balanciere die Schwarzteepackungen vor meinem Bauch, halte sie jetzt nur noch mit einer Hand fest und ziehe mit der anderen meinen Schlüsselbund aus der Hosentasche meiner schwarzen Jeans.

Lässig werfe ich Luana den Schlüssel zu, die so irritiert ist, dass sie ihn erst in der letzten Sekunde mit lautem Klimpern fängt. "Setz dich schon mal ins Auto, ich bringe den restlichen Tee rein und fahre dich dann eben nachhause", weise ich sie an.

Sie zögert kurz und wirft mir mit zusammengezogen Augenbrauen einen prüfenden Blick zu. Als sie erkennt, dass ich es ernst meine, ruft sie noch kurz eine Verabschiedung und läuft raus zu meinem Wagen.

"Alles okay zwischen euch?", fragt Yeliz aufmerksam und schiebt sich eine ihrer blonden langen Haarsträhnen hinters Ohr. "Ja, Teyze, alles gut", lüge ich und bringe den Tee in die kleine Küche.

Ich muss noch ein zweites Mal laufen, da ich noch mehr Päckchen im Kofferraum habe, bevor ich mich dann endgültig verabschiede und mit "Kolay gelsin" die Tür hinter mir schließe.

Ich umrunde meinen schwarzen BMW und setze mich hinters Lenkrad. Schon krass, wie sehr man sich selbst belügt. Vorhin war ich noch froh, als ich dachte, ich würde ihr nicht begegnen und kaum dass ich in ihre großen braunen Augen sehe, ist all der Ärger vergessen und ich biete ihr an sie nachhause zu fahren.

Was soll ich auch machen?

Sie ist mir nicht egal und was wäre ich für ein Mann sie nachhause laufen oder mit der Bahn fahren zu lassen, wenn ich eh in die gleiche Richtung muss.

"Wie war die Arbeit?", beginne ich vorsichtig mit Smalltalk, während ich den Motor starte.

"Kurz", erwidert sie lächelnd und schließt die Augen. Ich nutze den unbeobachteten Moment, um sie wohlwollend zu betrachten, lasse meinen Blick über ihr schönes Gesicht gleiten und muss mich beherrschen, ihr nicht die schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hat.

"Müde?", hake ich nach und lenke den Wagen von dem Parkstreifen.

"Ja, total", gibt sie zu und richtet sich auf dem Beifahrersitz auf.

"Danke, dass du mich heim fährst", schiebt sie nach und schenkt mir ein aufrichtiges Lächeln.

"Kein Ding", tue ich ab. "Ich muss aber kurz noch was einkaufen, ja? Wenn du nicht mitkommen willst, kannst du auch im Auto warten."

"Ne, passt schon", erwidert sie.

Wenig später parke ich meinen Wagen auf dem Parkplatz eines großen Supermarkts. Wie selbstverständlich schnallt Luana sich ab und folgt mir in den Laden.

Ich schmeiße Cornflakes, Bananen, Toast und Aufschnitt in den Einkaufswagen und greife gerade nach einem Fertiggericht. "Du musst dich echt mal gesünder ernähren", kommentiert sie mit Blick auf meine Auswahl.

"Das ist nur, weil du nie für mich kochst", gebe ich frech zurück und zwinkere ihr zu.

Sie fängt laut an zu Lachen. "Ist klar! Du isst immer so 'nen Müll. Deshalb wirst du auch immer dicker", feixt sie und klopft spöttisch auf meinen Bauch.

Mein Magen zieht sich zusammen und die Stelle, an der ihre Hand meinen Bauch berührt beginnt auf angenehme Art zu brennen.

Am liebsten würde ich nach ihrer Hand greifen und sie wieder zurück auf mein schwarzes Shirt legen.

Stattdessen starre ich sie sprachlos an, erwidere einen Moment zu lang ihren intensiven Blick.

"Du bist ganz schön frech", erwidere ich ausdruckslos. Sie steht vor mir wie ein Reh im Scheinwerferlicht und obwohl wir direkt vor der Kühltheke stehen breitet sich plötzlich eine schier unerträgliche Hitze in meinem Körper aus.

Wie gerne würde ich die letzte Distanz zwischen uns überwinden und sie einfach küssen.

Selbst jetzt, wo sie genau vor mir steht, fehlt sie mir so sehr, dass es weh tut.

Ich hasse es, dass wir nicht mehr zusammen sind.

Ich hasse es, was sie gerade abzieht.

Aber am meisten hasse ich es, dass ich sie nicht hassen kann.

Vier WorteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt