4vier

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Als ich wieder in dem kleinen, mit verschiedenen Sprüchen und Bildchen beschmierten, Fahrstuhl stehe und sich die Türen automatisch hinter mir schließen, kann ich nicht mehr an mich halten. Ich beginne zu weinen und schlage mir verzweifelt die Hände vors Gesicht.

Ich habe wirklich mit ihm Schluss gemacht und ich werde das Gefühl nicht los, dass das nicht meine klügste Entscheidung war.

Den ganzen Weg nachhause versuche ich mich abzulenken, versuche an etwas anderes zu denken, aber in jedem Lied, was in meiner Playlist kommt, entdecke ich uns und wenn ich die Augen schließe, sehe ich sein enttäuschtes Gesicht noch immer vor mir.

Als ich schon fast an der Wohnung angekommen bin klingelt mein Handy. Es ist meine beste Freundin Talea, die mich anruft.

"Bist du schon zuhause?", fragt sie ohne irgendeine Begrüßung.

Ich schlucke meine Tränen herunter und räuspere mich. Ich will nicht, dass sie hört, wie schlecht es mir gerade geht. Sie würde es eh nicht verstehen.

Talea ist ein wahnsinnig hübsches Mädchen, optisch ein ganz anderer Typ als ich mit ihren langen hellblonden Haaren, den hellblauen Augen und der schlanken Figur, aber charakterlich sind wir uns ziemlich ähnlich, nur dass sie noch frecher, provokanter und freizügiger ist als ich.

Fero konnte sie nie besonders gut leiden, was auch daran lag, dass ihr Ruf ihr vorauseilte und sie selbst in seinem Freundeskreis schon gut rumgekommen ist. Er hat sie immer nur wohlwollend geduldet, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn auch sie war kein Fan von ihm.

"Ehm, ja. Fast. Ich laufe gerade die Straße runter, wieso fragst du?", antworte ich.

"Wie ist es mit Ferat gelaufen?"

Seinen Namen zu hören versetzt meinem Herzen einen Stich. "War okay", lüge ich sie an. "Wie Trennungen halt so sind, ne."

Sie scheint sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben und fragt dann: "Wann bist du bei mir?"

Es ist Freitag und freitags gehen wir feiern. Immer.

Talea wohnt mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Maureen in einer kleinen Wohnung unweit von der unseren entfernt. Wir drei bilden mit Maureens bester Freundin Gianna und zwei anderen Mädchen gemeinsam eine kleine Clique, die sich vorm Feiern immer bei Talea und Maureen trifft. Wir schminken uns, machen uns gegenseitig die Haare, rauchen Shisha und trinken schon mal das ein oder andere Gläschen vorweg. Die Abende mit den Mädels sind immer lustig, aber heute habe ich irgendwie keine Lust.

Es ist doch absurd. Ich wollte die Beziehung mit Fero beenden, um mehr Freiheit zu haben und jetzt wo es so weit ist, heule ich ihm hinterher und will am liebsten zuhause bleiben.

"Habe ich mir noch keine Gedanken drüber gemacht", gebe ich zu. "Ich rufe gleich mal Berry an und gebe dir dann Bescheid."

Mittlerweile bin ich an unserer Wohnung angelangt, verabschiede mich von Talea und schließe die Tür auf. Zu meiner Überraschung stelle ich fest, dass meine Mum ausgeflogen zu sein scheint.

Wir beide wohnen zu zweit in der kleinen, ein wenig in die Jahre gekommenen Wohnung. Meine Mutter ist mit 17 Jahren von ihrer Affäre, einem verheirateten libanesischen Geschäftsmann, schwanger geworden. Ich habe meinen Erzeuger noch nie gesehen, ich spreche kein Wort Arabisch, wurde nicht islamisch erzogen und fühle mich auch sonst einfach nur als Deutsche, kann aufgrund meines Äußeren meine Wurzeln jedoch nicht verleugnen. Während meine Mutter mit ihrem dunkelblonden Haar und den blauen Augen "typisch deutsch" aussieht, habe ich schwarzes Haar und dunkle Augen.

Meine Mum hat all die Jahre ihr Bestes gegeben, hat immer bis zur Erschöpfung gearbeitet, damit es mir an nichts fehlt und jetzt, wo ich "erwachsen" und aus dem Gröbsten raus bin, konzentriert sie sich mehr auf sich. Sie geht aus, hat Dates und übernachtet mittlerweile sogar manchmal auswärts.

Mich stört das nicht, denn zum einen will ich, dass sie glücklich ist und zum anderen habe ich dadurch noch mehr Freiheiten als eh schon.

Ich mache mir einen Milchkaffee und setze mich auf die bequeme schwarze Sofalandschaft, bevor ich die Nummer meiner Freundin Berivan wähle.

Sie ist genau wie Fero kurdischer Abstammung und seit kurzem mit Aziz, einem seiner besten Freunde, zusammen.

"Hallo Luana Süße, wie geht's?", begrüßt sie mich herzlich.

"Ist okay", gebe ich zurück und löffele ein wenig von dem Milchschaum in meinen Mund.

"Nur okay?", hakt sie aufmerksam nach.

"Ich habe heute mit Fero Schluss gemacht", gebe ich zu und bemerke selbst, wie wahnsinnig schwer mir diese Worte über die Lippen kommen.

"Hä? Wieso das denn?"

"Ich weiß nicht, ich habe mich irgendwie so eingeengt gefühlt. Er war immer so eifersüchtig und dominant und irgendwie hatte ich das Gefühl, was zu verpassen", versuche ich ihr meine Gründe zu erklären.

"Ja, normal ist der eifersüchtig, Schatz, was hast du erwartet? Der ist Kurde! Und du siehst Bombe aus. Ist doch normal, dass er eifersüchtig ist. Aber er hat dir doch nie was verboten. Du darfst doch immer feiern gehen und dich freizügig anziehen und so. Meine Brüder würden ihren Freundinnen das nicht erlauben, sie hassen das ja schon bei mir."

Leise seufze ich. "Keine Ahnung, echt", murmel ich verzweifelt. Mittlerweile frage ich mich schon selbst, was ich mir dabei gedacht habe.

"Naja, ich muss das ja nicht verstehen. Hauptsache du bist glücklich", lenkt meine Freundin beschwichtigend ein.

Nicht wirklich. In diesem Moment bin ich eigentlich eher unglücklicher als vorher.

"Wie auch immer. Berry, wann wollen wir uns heute Abend treffen?", lenke ich von dem unangenehmen Thema ab.

"Ich hole dich um 20 Uhr ab, ja?", bietet sie an. "Okay, danke", erwidere ich. "Zula sammele ich dann direkt auf dem Weg ein." "Perfekt. Dann bis später."

Irgendwann ist es 19 Uhr und ich habe mir noch immer kein Outfit rausgesucht, ich war noch nicht mal duschen. Stattdessen habe ich den ganzen Nachmittag auf der Couch vor mich hin vegetiert und jede erdenkliche Instagram Story gesehen,  die ich finden konnte.

Gelangweilt aktualisiere ich die Startseite zum tausendsten Mal an diesem Tag, als plötzlich ein leuchtender Kreis eine neue Story signalisiert.

Unter dem winzig kleinen runden Profilbild des schönen Mannes mit dem gepflegten schwarzen Bart, den tätowierten Armen und der Snapback steht in schwarzen Druckbuchstaben "fero62". Es dauert gute zehn Minuten bis ich mich dazu überwinden kann auf den bunten Kreis zu klicken, nachdem ich ihn nur hypnotisiert habe.

Fero hat einen Boomerang aus einer Shishabar gepostet, vermutlich die Hookah Lounge in der Innenstadt, wo er oft seine Zeit verbringt, und seine vier engsten Freunde darauf markiert. Aziz, Khaled, Memo und Bilal.

Ich schaue das kurze Video wieder und wieder an und untersuche es fieberhaft auf jeden kleinsten Hinweis.

Ist er glücklich?

Bin ich ihm so schnell egal geworden?

Chillt er jetzt schon mit irgendwelchen anderen Weibern?

Außer Aziz, der ja mit meiner Freundin zusammen ist, sind die anderen drei Jungs alle Single und keiner von ihnen lässt was anbrennen.

So war auch Fero und so wird er wieder sein.

Der Gedanke daran, wie er ein anderes Mädchen küsst oder sie auch nur so ansieht wie mich, macht mich krank.

Ich schüttele mich und stehe ruckartig auf.

Das muss aufhören. Es war meine Entscheidung und ich hatte meine Gründe.

Vier WorteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt