Mein Kopf dröhnt und ich weiß nicht, ob das an dem turbulenten Tag oder am Alkohol liegt - vermutlich ist es eine Mischung aus beidem.
Fero hat wohl Recht mit seiner letzten Nachricht - ich sollte einfach schlafen gehen, aber das ist leichter gesagt als getan.
Ich wische mir mit einem Kosmetiktuch die Tränen aus dem Gesicht.
"Du hast mich heute echt verletzt"
Diese Nachricht hat mein Herz gebrochen. Ich wollte ihn nicht verletzen. Aber er hat schon ganz Recht, wenn er fragt, was ich denn erwartet habe. Ich weiß, dass er mich wahnsinnig liebt, also ist es nur die logische Konsequenz, dass eine Trennung ihn verletzt, schließlich fühle ich mich gerade nicht anders.
Ich frage mich selbst, wieso mir das nicht vorher klar war? Nun sitze ich hier vor einem Scherbenhaufen und bei jedem Versuch, die einzelnen Teile wieder zu einem Gesamtbild zusammen zu setzen, schneide ich mir nur tiefe, blutende Wunden in die Finger.
Vielleicht sollte ich es einfach gut sein lassen.
...
Am Samstag muss ich trotz allem zur Arbeit. Seit letztem Jahr mache ich eine Ausbildung als Friseurin. Ich liebe meinen Job, aber erfahrungsgemäß ist samstags im Laden immer die Hölle los und ich habe heute gar keine Lust auf andere Menschen.
Am liebsten würde ich den ganzen Tag in meinem Zimmer verbringen und mich unter meiner Bettdecke verstecken.
Unser Salon trägt den kitschigen Namen AY, was türkisch für Mond ist, sich aber auch aus den Initialen der beiden Inhaber zusammensetzt: Adem und Yeliz.
Es ist einer dieser typischen Friseurläden, in dem sich freitags junge Männer vorzugsweise mit Arabischem oder Südländischem Migrationshintergrund die Klinke in die Hand geben, um sich wie jede Woche entweder fürs Freitagsgebet oder für die Disco oder für beides die Haare und den Bart stutzen zu lassen. Wenn ich für jedes Mal, dass in unserem Salon "Seiten auf null" gewünscht werden, einen Euro bekommen würde, wäre ich wohl mit Abschluss der Ausbildung Millionärin.
Zum Glück schneide ich nur selten Männer; viel lieber kümmere ich mich um die weiblichen Kundinnen und vor allem Makeup und Brautfrisuren liegen mir.
Im Salon werden wir dazu angehalten nur schwarze Kleidung zu tragen und so bleibt mir wenigstens die lästige Outfitwahl an diesem trüben Morgen erspart. Ich trinke noch schnell eine Tasse Kaffee, während ich mich ein wenig schminke und versuche mich selbst mit Musik aufzumuntern.
"Hallo Schatz, musst du schon los?", ertönt die liebliche Stimme meiner Mutter im Türrahmen. Ich drehe mich zu ihr und schenke ihr ein Lächeln. Sie trägt ein rotes Nachthemd und ihre blonden Haare sind noch vom Schlaf zerzaust. "Ja, Mama, ich fange um zehn Uhr an", antworte ich.
Zum Glück muss ich nur jeden zweiten Samstag arbeiten und selbst das kollidiert regelmäßig mit meiner Freizeitgestaltung, sodass es schon viel zu oft vorgekommen ist, dass zwischen der letzten Party und der Wochenendschicht gerade mal zwei Stunden Schlaf lagen.
"Alles okay, Luana?", fragt meine Mutter nun skeptisch. Sie läuft durch mein Zimmer auf meinen Schminktisch zu und beäugt mich kritisch.
"Ja, ich bin nur müde", lüge ich, dabei ist es nicht der wenige Schlaf, der mir zu schaffen macht, sondern viel mehr die Trennung von Ferat, aber gerade bin ich noch nicht bereit mit meiner Mutter darüber zu sprechen.
"Du musst echt mal einen Gang zurückschalten, Liebes. Weniger Party, mehr Schlafen", erklärt sie besorgt und streicht mir mütterlich über die Wange.
"Ich weiß, Mama", stimme ich ihr zu und stehe von dem rosanen Samtsessel auf. Liebevoll drücke ich ihr einen Kuss auf die Wange. "Bald", schiebe ich dann grinsend hinterher.
Meine Mutter verdreht die schönen blauen Augen. "Mach dich fertig, dann fahre ich dich schnell, ja?"
"Danke, du bist ein Engel", erwidere ich lächelnd.
Pünktlich um kurz vor zehn hält der kleine silberne Mazda meiner Mutter vor dem Laden. "Danke Mama", bedanke ich mich erneut und drücke ihr einen Kuss auf die Wange.
"Gerne, Schatz. Ich wünsche dir eine ruhige Schicht. Ich bin wahrscheinlich später unterwegs, wie ist es mit dir?"
"Eigentlich bin ich auf einem Geburtstag eingeladen, aber ich weiß noch nicht, ob ich auch hingehe", antworte ich nachdenklich. Mir steht heute nicht der Sinn nach feiern. Ich bin müde und ich kann nach dem gestrigen Streit darauf verzichten, dort möglicherweise noch Fero über den Weg zu laufen.
"Fänd ich gut, wenn du mal zuhause bleibst", merkt meine Mutter an und schenkt mir einen eindringlichen Blick.
Ich stoße die Autotür des Kleinwagens auf und schenke ihr ein letztes Grinsen. "Ich weiß, Mama. Bis später, ja?"
Dann steige ich aus dem Wagen und laufe schnurstracks in den Salon. Neben Adem und Yeliz sind auch Volkan, Pinar, Enis und Flo schon da. "Guten Morgen", flöte ich und ziehe die schwere Glastüre hinter mir zu.
"Guten Morgen", kommt mehrstimmig zurück. Ich laufe in den hinteren Bereich und hänge meine Jacke an der Gaderobe auf. Dann verstaue ich meine Tasche, ziehe meine Schürze über und lege meine Gürteltasche an, in der ich Scheren und Kämme verstaue.
Die meisten meiner Kollegen und Kolleginnen sind schon in ihre Arbeit vertieft, waschen, schneiden oder rasieren Haare, doch Adem ist gerade an der Kasse zugange und mustert mich kurz, als ich wieder nach vorne komme.
Augenblicklich wird mir heiß und kalt. Ob Fero ihm schon von erzählt hat, dass ich Schluss gemacht habe? Mein Chef ist nämlich sein Onkel, und nachdem ich damals verzweifelt bin, weil ich keinen Ausbildungsplatz gefunden habe, hat er seinen Onkel bekniet mich in seinem Betrieb aufzunehmen, obwohl er eigentlich gar nicht ausbildet.
Noch heute bin ich ihm dankbar dafür, dass er mir zu dieser Chance verholfen hat, und ich frage mich gerade, ob Adem sein Angebot vielleicht zurückzieht, wenn er von unserer Trennung erfährt. Blut ist schließlich dicker als Wasser.
"Luana, komm mal", ruft er und winkt mich herüber.
Meine Hände werden feucht und mein Herz schlägt ein bisschen schneller.
Ich laufe langsam und unsicher zu meinem Chef, der aussieht wie eine fünfzehn Jahre ältere Version von Ferat. Schwarze Haare, voller Bart, dunkle Augen, viele Tattoos.
"Ja?", richte ich mein Wort an ihn und schaue ihn erwartungsvoll an.
"Du hast letzte Woche ein paar Überstunden angesammelt, du kannst heute gegen 15 Uhr abhauen, okay?"
Erleichtert atme ich aus. Ich habe mit vielem gerechnet, aber nicht damit.
"Danke Adem", sage ich ehrlich und schenke ihm ein strahlendes Lächeln. Es kann nicht schaden, nach der kurzen Nacht noch ein wenig Mittagsschlaf zu machen um Kraft zu tanken, erstrecht wenn ich heute Abend zu dem Geburtstag gehen sollte.
Die Zeit bis zum frühen Nachmittag vergeht wie im Flug. Ich arbeite zusammen mit Yeliz, meiner hübschen blonden Chefin allein zwei Stunden an einem Balayage und schneide und frisiere die Kundin danach.
Ich bin gerade fertig und schiele auf die Uhr, als Yeliz grinsend sagt: "Na los, kassier' die Kundin ab und dann kannst du abhauen."
Ich tue, was sie mir befiehlt und bringe danach meine Sachen nach hinten.
Ich ziehe gerade meine Jacke über, als ein neuer Kunde in den Salon kommt. "Selamün aleykum", ertönt eine dunkle Stimme, die ich unter tausenden erkennen würde.
Mir wird heiß und kalt.
Was macht er denn jetzt hier?
Ich zögere einen Moment und weiß nicht, was ich tun soll, doch entscheide mich schlussendlich dazu, einfach die Zähne zusammen zu beißen und den Salon zu verlassen, so wie ich es vor hatte.
Mit wackeligen Knien laufe ich nach vorne und renne ihm direkt in die Arme .
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Vier Worte
ChickLit"Wir müssen dringend reden." Diese vier Worte bedeuten nie was Gutes. "Ich brauche mehr Freiheit." Vier Worte, tausend Gedanken. Das Ende der Beziehung von Luana und Fero - aber erst der Beginn dieser Geschichte. _________________________________ ...