7sieben

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Mit zitternden Fingern und Tränen in den Augen sperre ich mein Display.

Wann ist das einst harmlose Gespräch so aus dem Ruder gelaufen? Ich habe deutlich gemerkt, dass meine Antworten und Anspielungen ihn abgefuckt haben. Er hat ja Recht, dass das irgendwie unfair von mir war, dabei wollte ich doch einfach nur wieder mit ihm ins Gespräch kommen und habe mich dabei so unbeholfen und trampelig angestellt wie ein Elefant im Porzellanladen.

Wie kann es sein, dass ich ihm gegenüber plötzlich so unsicher bin, obwohl er doch immer der einzige Mensch war, bei dem ich mich sicher gefühlt habe?

Ich hätte nie mit ihm Schluss machen sollen.

Ich lege meinen Kopf in den Nacken und starre auf die kleine runde Wanduhr. 0.17 Uhr.

Ich kann nicht schlafen, Ferat geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Wieso bin ich eigentlich wieder so nüchtern, nachdem ich mich so volllaufen lassen habe?

Ich werfe einen prüfenden Blick in den Spiegel. Bisher habe ich mich weder ausgezogen noch abgeschminkt.

Kurz entschlossen rufe ich Berry an. "Ja?", schreit sie in den Hörer, wohl versucht, die dröhnend lauten Bässe der Disco zu übertönen.

Sie sind also noch da. Alles andere hätte mich auch gewundert.

"Ich komme wieder zurück", eröffne ich ihr und greife nach meiner Handtasche.

"Echt? Hammer! Bis gleich Schatz", brüllt sie und legt auf. Ich richte noch einmal meine Frisur, tupfe mir ein wenig farblosen Gloss auf die Lippen und verlasse unsere Wohnung schon zum zweiten Mal an diesem Abend.

Ich wohne ziemlich zentral, sodass ich eine gute Viertelstunde später schon wieder am Velvet ankomme und mich in der lärmenden Menschenmenge nach wenigstens einer meiner fünf Freundinnen umsehe.

Statt eine der Mädels zu finden erregt jedoch ein junger Mann an der Bar meine Aufmerksamkeit. Er kommt mir bekannt vor, ich weiß bloß nicht, woher. Er hat schwarze Haare, zum Undercut geschnitten und akkurat frisiert und einen gepflegten Dreitagebart. Sein durchtrainierter Körper steckt in einem weißen Hemd, dessen Ärmel er lässig bis zu den Ellbogen aufgekrempelt hat.

Die dunkle Jeans kombiniert er zu auffälligen schwarz weißen Nikes und an seinem Handgelenk prangt eine schwarze Uhr, welche so groß ist, dass ich sie selbst auf die Entfernung erkennen kann.

Seine eisblauen Augen blicken durch den menschenvollen Raum direkt auf mich.

Ich erwidere seinen Blick, nüchtern, ausdruckslos. Der Kellner hinter der Bar stellt einen Longdrink vor ihn, doch er reicht ihm nur wortlos seine Verzehrkarte ohne den Blick von mir abzuwenden.

Die Intensität seiner Augen lässt mich erschaudern und ich schaffe es nicht von ihm wegzuschauen, bis ich plötzlich von hinten am Arm gepackt werde.

"Voll geil, dass du wiedergekommen bist", schreit Talea mir ins Ohr und umarmt mich aufgeregt. Sie riecht nach Alkohol und ihre blauen Augen sind glasig.

"Ja, mein Magen hat sich beruhigt und zuhause habe ich mich gelangweilt", lüge ich sie an und greife nach ihrer Hand. "Komm, lass uns tanzen gehen", fordere ich sie auf.

Ich drehe mich noch einmal zurück zur Bar, doch der Mann mit den eisblauen Augen ist aus meinem Sichtfeld verschwunden.

Ein wenig enttäuscht lasse ich mich von meiner euphorischen Freundin mitreißen, die leicht schwankend Richtung Tanzfläche und damit straight auf ihre ältere Schwester Maureen und deren beste Freundin Gianna zuläuft.

"Sieh mal einer an wer wieder da ist", kommt es spitz von Maureen, die mir einen genervten Blick zuwirft. Ich würde sie nie meine Freundin nennen, wir ertragen uns notgedrungen, mal besser und mal schlechter, aber sie lässt mich häufig spüren, dass sie nicht besonders viel von mir hält.

Ich verdrehe die Augen, ignoriere ihre Provokation gekonnt und konzentriere mich lieber auf den Oldschool Hiphop Song, der lautstark aus den Boxen schallt.

Ich schließe die Augen und kreise mit meinen Hüften zu den dröhnenden Bässen und der sanften Stimme von Aaliyah. Ich blende alles um mich herum aus, das Stimmengewirr zwischen den Beats und die grell blinkenden Lichter und bewege mich sinnlich zur Musik, als sich irgendwann zwei Arme um meinen tanzenden Körper schieben.

Langsam öffne ich die Augen und schaue an mir herunter. Vor meinem schlanken, nackten Bauch sind zwei Hände verschränkt, und an dem linken Handgelenk sitzt eine schwarze Armbanduhr.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als ich verstehe.

Der Mann von der Bar mit den hellblauen Augen.

Ich werfe Talea einen hilfesuchenden Blick zu, doch die ist gerade ein ganzes Stück von mir weg am Tanzen und sieht mich nicht.

Unsicher drehe ich mich um und blicke direkt in sein markantes Gesicht. Sein süß-würziges Parfum steigt mir in die Nase und seine Hände liegen noch immer auf meiner nackten Haut.

"Du bist einfach verschwunden", raunt er mir zu. "Ich bin meiner Freundin gefolgt", erwidere ich selbstsicher.

Jetzt, wo er so nah vor mir steht, bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, dass ich ihn schon mal irgendwo gesehen habe, aber ich komme einfach nicht drauf, wo ich ihn einordnen soll.

"Kennen wir uns?", frage ich daher und mustere ihn skeptisch aus leicht zusammen gekniffenen Augen.

"Ich denke nicht. So eine schöne Frau wie dich hätte ich nicht gehen lassen, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen", antwortet er von sich selbst überzeugt und grinst mich an.

Dann löst er seine rechte Hand von mir und hält sie mir hin. "Nader", stellt er sich vor und seine blauen Augen bohren sich in meine.

"Luana", gebe ich zurück und schüttel seine Hand kurz.

"Hal 'anti min 3arabiyyah?", fragt er. "Hm?", erwidere ich verständnislos. "Bist du Araberin, Luana?", wiederholt er nun auf Deutsch. "Nein", ich schüttele den Kopf. Ich identifiziere mich trotz meiner libanesischen Wurzeln als Deutsche und habe keine Lust, ihm gleich in den ersten Minuten meine Lebensgeschichte zu offenbaren.

"Siehst so aus", gibt er zurück. "Du?", frage ich. "Ja, aus Katar", antwortet er und greift erneut nach meiner Hand. "Lass uns rausgehen, viel zu laut hier."

Ich folge ihm durch das Gedränge nach draußen in die Raucherlounge. Obwohl es ein Spätsommerabend ist, hat es sich schon ziemlich abgekühlt und ich lege fröstelnd meine Arme um meinen Oberkörper.

Nader zündet sich eine Zigarette an und bietet mir auch eine an, die ich dankend ablehne.

"Ist dir kalt?", fragt er aufmerksam. Ich nicke. "Soll ich dich wärmen?" Er grinst schief. "Ne, geht schon", weise ich ihn ab. Wir sind nicht wirklich auf einer Wellenlänge und noch immer beschäftigt mich, woher er mir so bekannt vorkommt. Plötzlich fühlt es sich verdammt falsch an, mit ihm hier draußen zu sitzen.

"Luana?", spricht er mich an. Ich drehe mich zu ihm und schaue ihn fragend an, als er plötzlich und ohne Vorankündigung seine Lippen auf meine drückt.

In der ersten Sekunde bin ich so perplex, dass ich nicht reagiere, und es dauert einen Moment bis ich realisiere, was hier gerade passiert. Erschrocken drücke ich ihn von mir weg und starre ihn fassungslos an. Ich will gerade etwas sagen, als zwei dunkle Gestalten neben mir auftauchen.

"Dein Ernst, Luana?", ertönt eine schneidende Stimme und lässt mich herumfahren. Vor mir stehen Khaled und Bilal, Feros beste Freunde und funkeln mich wütend an.

Mir wird heiß und kalt zugleich und ich stehe ruckartig auf. "Ich konnte da nichts für, er hat mich einfach geküsst", beteuere ich aufgebracht, doch ich sehe in ihren braunen Augen, dass sie mir nicht glauben.

"Weißt du nicht wer das ist, Luana?", fährt Khaled mich an. Nun erhebt sich hinter mir auch Nader und baut sich grinsend vor den beiden Männern auf.

Fragend sehe ich von einem zum anderen.

"Das ist der Wixxer, der Fero damals verraten hat."

Vier WorteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt