10zehn

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Schweren Herzens laufe ich die Treppen runter und zurück zu meinem Auto. Es ist mir unglaublich schwer gefallen ihr zu widerstehen, wie sie da stand, mit tränennassem Gesicht, den großen feuchten Rehaugen und dem Schmollmund und mich gebeten hat, noch bei ihr zu bleiben, aber auch ich habe meine Prinzipien. Ich bin kein Hund, nicht mal für sie und diese Aktion heute hat mich wirklich verletzt und wenn ich Pech habe sogar in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht, aber das habe ich ihr nicht gesagt.

Ich steige auf der Fahrerseite ein und zünde mir erst mal eine Zigarette an. "Alles okay?", bricht Khaled von der Rückbank aus das Schweigen.

"Sie sagt sie hat nicht mit ihm rumgemacht, er hat sie einfach plötzlich gegen ihren Willen geküsst und sie hat ihn von sich gestoßen", gebe ich Luanas Version des Geschehens wieder.

Stille.

"Stimmt das?", frage ich und sehe Khaled prüfend ins Gesicht. Ihre Worte klangen ehrlich und auch wenn ich mir das nicht eingestehen will - sie hat Recht mit dem, was sie gesagt hat: selbst wenn sie es getan hätte, und auch wenn es Hochverrat gewesen wäre - wir sind nicht mehr zusammen.

"Als wir rauskamen lagen seine Lippen auf ihren. Keine Ahnung ob sie das wollte oder nicht", antwortet mein Freund ehrlich und spielt an dem Reißverschluss seiner Lederjacke.

"Hat sie ihn weggeschubst?", hake ich nach und nehme einen tiefen Zug von der glühenden Zigarette.

"Keine Ahnung, Bruder, kann sein. Das ging alles viel zu schnell", gibt Bilal zu.

Ich nehme die Cap von meinem Kopf und raufe mir verzweifelt durch die schwarzen Haare.

"Das Mädchen macht mich noch krank", seufze ich.

"Scheiß doch auf sie", schimpft nun Bilal. "Sie hätte nicht mal mit ihm dort sitzen sollen. Die Weiber sind alle Schlampen."

Ich packe ihn grob am Arm. "Pass auf was du sagst, hörst du? Du hast kein Recht so über sie zu sprechen", verteidige ich sie trotz aller Wut.

"Du hast sie vorhin selbst eine Hure genannt", erinnert er mich mit einem selbstgefälligen Blick.

"Ob ich das sage oder ob du das sagst sind zwei verschiedene Paar Schuhe, verstanden?", knurre ich ihn an.

Dann schnippse ich meinen runtergebrannten Kippenstümmel aus dem Fenster und starte den Motor. "Ich bringe euch jetzt nachhause."

Als ich wenig später wieder in meinem Bett liege kommen mir plötzlich die Tränen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geweint habe, ich bin eigentlich niemand der heult, aber plötzlich brechen all die vielen Ereignisse des heutigen Tages über mich herein und überrollen mich wie ein Tsunami.

Als ich heute morgen aufgestanden bin hatte ich noch keine Ahnung davon, wie sehr mein Leben schon an diesem Abend in Scherben liegen wird.

Luana hat wirklich mein Herz gebrochen und bis jetzt verstehe ich weder die Trennung noch weiß ich, was ich glauben soll. Hat sie mit Nader rumgemacht, vielleicht weil sie sich selbst beweisen wollte, dass sie es noch kann oder stimmt es, dass er sie einfach überrumpelt und sie sich gewehrt hat?

Wütend wische ich mir die Tränen von den Wangen. Luana ist meine erste richtige Freundin, ansonsten hatte ich nur bedeutungslose Affären vor ihr und von daher ist das auch meine erste Trennung. Ich hätte niemals gedacht, dass Liebeskummer so weh tun kann.

Ich greife nach meinem Handy, um mir zum einschlafen noch ein wenig Netflix anzuschauen, wohlwissend, dass ich eh nicht abschalten kann und die Gedanken sonst zu kreisen beginnen, da entdecke ich eine neue Nachricht.

"Bitte glaub mir, Fero, ich habe wirklich nicht mit ihm rumgemacht. Es war genau so, wie ich es dir gesagt habe. Ich habe keinen Grund zu lügen 😔"

Ich atme tief durch und schaue mir ihr Profilbild an. Es zeigt sie in einem engen schwarzen Kleid, ihre kurvige Sanduhr-Figur perfekt in Szene gesetzt. Das schwarze Haar liegt in Locken über ihren Schultern und sie grinst mit einem Glas Sekt in der Hand in die Kamera. Es ist ein Schnappschuss, ein wenig verwackelt, aber eins meiner Lieblingsbilder von ihr.

"Ich weiß nicht was ich glauben soll, Luana", tippe ich zurück. Sofort ändert sich ihr Status auf online und die zwei Haken färben sich blau, als hätte sie nur auf meine Antwort gewartet.

"Du hast mir doch immer geglaubt", kommt es prompt von ihr zurück.

"Da hast du mich auch nicht aus heiterem Himmel verlassen."

Nun lässt ihre Antwort deutlich länger auf sich warten.

"Stimmt schon, aber ich war trotz allem immer ehrlich. Wann immer mir ein Typ geschrieben oder mich angemacht hat, habe ich es dir gesagt. Du solltest wissen, dass ich keine falsche Schlange bin."

Ich drehe mich unruhig auf die Seite. "Luana, ich weiß gar nichts mehr, wallah", gebe ich ehrlich zurück. "Du hast mich heute echt verletzt", schicke ich hinterher.

Es sind Worte, die ich nicht oft benutze, aber es ist die Wahrheit und das soll sie ruhig wissen.

"Das war nie mein Ziel", erwidert sie.

Ich schlage mir mit der flachen Hand vor die Stirn. "Was hast du denn erwartet, was passiert, wenn du Schluss machst? Hast du echt gedacht, mir ist das egal oder was?"

Ihre komische Sichtweise macht mich langsam wütend. Ist genau das Gleiche, wie als sie heute mittag meinte, sie wollte nicht, dass das im Streit endet. Was hat sie denn erwartet?

Sie antwortet nicht.

"Geh einfach schlafen, Luana", schreibe ich ihr und stelle dann mein Handy auf "Nicht stören".

Vier WorteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt