Shackled

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Es ist heiß, unfassbar heiß und als Tae die Augen öffnen will, ist es als wären sie verklebt. Genauso verklebt, wie wenn Bambam mal wieder heimlich Mittagschlaf gemacht hat und wegen einem seiner Alpträume im Schlaf geweint hat. Tae hat ihm dann immer den Sand aus den Augen gewischt und gesagt, dass alles besser wird. Doch jetzt, dass weiß Taehyung ist da niemand, der ihm über die Augen wischt und sagt, dass alles wieder gut wird.

Als er es endlich geschafft hat sie zu öffnen, sieht sich das müde wasserblaue Augenpaar um. Erschrocken weitet er die Augen, als er feststellt, dass nichts so aussieht wie zuhause. Wie bei einem stummen Schrei der Verzweiflung, reißt er den Mund auf, nur um durch ein brennendes platzen seiner ausgetrockneten Lippen, an seinen unfassbaren Durst, erinnert zu werden. Nach und nach fühlt er seine Sinne wieder, während seine Augen hektisch den Horizont absuchen. Er ist mitten in der Wüste.

Es ist so heiß, dass Horizont und Boden durch ein wasserähnliches Flimmern ineinander verschwimmen. Als würden die Wolken Schlieren ziehen, die sich in einem spiegelähnlichen Hitzeflirren, mit den gelbroten Sand, der Dünen, mischen. Wenn man es so sieht könnte es auch Wasser sein, doch das ist, angesichts der Umgebung, sehr unwahrscheinlich.

Als nächstes kommt sein Gehör zu ihm zurück. Erst hört er alles wie durch Watte, mit Verzögerung, gedämpft. Da ist dumpfes Hämmern, Geschrei, Rauschen. Viele einzelne Geräusche, die sich zu einem undurchdringlichen Klangteppich verweben. Das einzige klare Geräusch, ist ein beständiges hohes Piepen, in seinem Kopf. Tae versteht nichts. Sein Schädel dröhnt und die Hitze drück wie eine Steinplatte auf ihn. Erst jetzt bemerkt er, dass ihm alles wehtut.

Wo ist er? Wie ist er hier her gekommen? Es dauert kurz, dann schießen die Bilder, wie bei einem zu schnell vorgespulten Film in seinen Kopf. Da sind riesige Wölfe, Jimin der auf dem Boden liegt, Jins Schreie, jemand weint. Da ist eine kleine Hand, die er ganz fest hält, nicht loslassen darf. Aber dann, jemand packt ihn am Arm, er wird weggerissen und alles ist schwarz. Vor Grauen hält Tae schützend die Hände vor sein Gesicht, er will sich nicht erinnern, das tut alles so weh. Die Tränen die über seine Wangen rollen fühlt er gar nicht. Alles ist plötzlich zu viel.

Trocken, Durst. Tae schluckt gierig bei dem Gedanken an Wasser, doch da ist nichts als dürre heiß-staubige Wüstenluft, die seine raue Kehle noch trocknender macht. Er versucht aufzustehen, sich hinzustellen, wegzulaufen, doch etwas zieht ihn zurück. Mit purem Horror in den Augen und leicht zitternd, wandert sein Blick an ihm herunter. Um seinen Fuß schlingt sich ein starker Eisenring, eine kurze Kette bindet ihn, wie einen Hund, an einen, in den Boden gerammten, Pflock. Taes trockene Augen weiten sich entsetzt, bis die Panik wie eine verzögerte Droge kickt und er beginnt, von seinem Angstzustand, völlig in Besitz genommen, wegzurobben. Seine aufgeschürften Hände graben sich in den Boden und mit aller verbleibenden Kraft, lehnt sich Tae gegen die Kette, wieder und wieder. Seine Knöchel knacken. Der Sand, der unter dem Metall reibt, schürft seine Haut auf, aber Tae will weg. Will rennen, will fliehen. Immer und immer wieder, wie ein verletzter dummer Hund wirft er sich nach vorne, nur um umso heftiger zurückgezogen zu werden. Erneut steigen Tränen in die wasserblauen Augen und bei dem Versuch, sie wegzuwischen, riebt er sich nur Sand in die Augen.

„Nana, was tust du denn da?" Erschrocken reißt Tae den Kopf rum. In einer Art Verteidigung- aber gleichzieht auch Angriffsposition, hat er die Beine an seine Körper gezogen und knurrt, so gut er kann, in die Richtung der Stimme. Sein feindseliger Blick trifft auf zwei große braune Augen, die ihn neugierig mustern.

„Du kannst hier nicht weg" die rehbraunen Augen gehören zu einem dünnen zierlichen Mädchen. Sie trägt ein schmutziges großes Tuch, was sich eng um die mageren Hüften schlingt und lediglich von einer breiten Schnalle, an der rechten Schulter zusammengehalten wird. Die Haut des Mädchens ist sonnengebräunt und ihre schwarzen Haare sind zu einem praktischen Dutt, mit mehreren dünnen Stäbchen gesteckt. Hände und Füße zieht ein komisches Muster. „Jungkook hat dich anketten lassen und selbst wenn die Kette nicht wäre, du bist mitten in seinem Soldatenlager. Du würdest keine Meile weit kommen." Erst jetzt bemerkt Tae, dass hinter ihm eine große Zeltplane gespannt ist und er im Schatten des Zeltes angepflockt ist. Neugierig, aber gleichzeitig ängstlich, reckt der junge Omega den Kopf. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin Mina." Das Mädchen hockt sich vor ihm in den weichen Sand und stellt behutsam eine Schale mit ein wenig Reis, Suppe und einen Wasserbecher ab. „Iss das. Wer weiß wann es das nächste Mal etwas bekommst." Mitleidig mustern ihre großen braunen Augen Tae, als dieser misstrauisch, aber gleichzeitig zu hungrig und durstig um zu zögern, an sie heran robbt. Blitzschnell reifen seine langen dünnen Finger nach dem Becher und mit gierigen Schlucken leert er ihn. Seufzend lehnt sich das Mädchen gegen die Zeltwand, die Hände in den Sand grabend. Tae schätzt sie ungefähr gleichalt, doch die Sorge und das was sie erlebt haben muss, lassen sie älter wirken.

„Du bist also Jungkooks Omega", wendet sie sich erneut an ihn, nachdem sie eine Weile das Flirren des Himmels beobachtet hat. Taes blaue Augen sehen neugierig auf, doch mit den Fingern isst er hastig weiter. „Wie heißt du?" Sei mustert ihn fasziniert, als wäre er eine Attraktion.

„Taehyung", antwortet Taehyung wahrheitsgemäß und es ist gleichzeitig das erste Mal, dass Tae überhaupt etwas sagt. Überrascht von der Tiefe seiner Stimme, weiten sich ihre Augen kurz. Es passt nicht zu dem so unschuldigen Aussehen des Jungen. Taes hat mehr etwas von einem Jungtier, mit den sich wild kräuselnden schwarzen Locken, die im Licht manchmal dunkelbraun glitzern, den großen wasserblauen Augen und der weichen Porzelanhaut. „Was meinst du mit ‚Jungkooks Omega'? Wer ist das?" Vorsichtig greift er nach der Schüssel Reis.

„Wer Jungkook ist?" sie lacht, ehrlich belustig. „Das ist der, dem diese Armee, dieses Land und all diese Wölfe gehören. Auch du." Sie seufzt schon wieder. „Deswegen darf er dich auch so festbinden." Enttäuscht schüttelt sie den Kopf.

„Wie kann einem Wolf einem anderen gehören? Ich bin doch frei." Sie lächelt. Aber dieses Mal ist es ehr eine traurige Grimasse und in ihren Augen glitzert Schmerz. „Nein, er ist dein König und alles was auf seinem Land geboren wird ist seins."

„Aber meine Eltern haben mich weggeben. Sie wollten mich nie, mein ganzes Leben lang nicht und er auch nicht. Warum will er mich jetzt?" Das Mädchen hat wieder dieses mitleidige Funkeln in den Augen. Zuckt dann aber mit den Achseln und eine gewisse Emotionslosigkeit ergreift sie, als sie zynisch murmelt: „Normalerweise erklärt er sich niemandem. Du kannst ihn ja gerne mal fra-„

„Mina Komm sofort rein" erschrocken sieht das Mädchen auf. „Das ist mein Vater. Ich muss gehen. Viel Glück noch" sie springt augenblicklich auf und traurig sieht ihr Tae hinterher, als sie im heißen Sand davon rennt. Er hätte ihr gerne etwas von seinem Reis abgegeben.

Gegen Mittag, ist ein Großteil seines Bewegungsraums, in der prallen Sonne. Taes Schattenplätzchen wird immer kleiner und als sich der Omega gegen die Zeltplane pressen muss, um Schatten zu finden, beschließt er kurzerhand darunter hindurch zu schlüpfen.

Mit vor Staunen geweiteten Augen sieht sich der Omega um. Das Innere des Zeltes ist nicht groß, aber wesentlich kühler und komfortabler als draußen. Dünne Leinentücher trennen den gesamten Raum in mehrere kleinere. Auf dem Boden liegen Bretter und Teppiche, die etwas Heimliches vermitteln. In der Mitte des Raumes, gleich unter dem mächtigsten Pahl, thront ein gigantisches mit Fellen und Decken übersätes Bett. Nichts von der draußen drückenden trockenen Hitze hat es hier hinein geschafft. Nach einem kurzen Moment, in dem sich seine Augen an das Licht im Zelt gewöhnt haben, entdeckt Tae plötzlich eine Gestalt, mitten auf dem Bett liegend.

Tae weiß, dass er gehen sollte. Wieder unter der Plane hindurchschlüpfen und an seinen Platz in die brennende Sonne. Was wenn das hier Jungkook ist? Das der Alpha, in menschlicher Gestalt, bestimmt gefährlich ist, bestätigt die starke und wilde Aura, die Tae selbst jetzt spürt, obwohl der Wolf schläft. Doch auch wenn sich Taes Magen vor Hunger und Angst zusammenkrampft, geht eine gewisse Faszination von dem Schlafenden aus. Er ist nicht viel älter als er. Vielleicht ein oder zwei Jahre, dennoch ist er viel breiter gebaut als Tae. Sein nackter Rücken strotzt nur so vor Muskeln und Narben ziehen sich, wie ein Muster, über seine Haut. Pechschwarze Haare verdecken Stirn und Augen. Seiner Neugierde und Trieben nachgebend, robbt Tae nähr an den schlafenden Wolf, heran. Seine Kette schleift leise klackernd hinter ihm her und erinnert ihn wieder daran, dass falls das dort Jungkook sein sollte, er sein Entführer ist.

Wäre er gelaufen, hätte er es in wenigen Schritten bis zum Bett geschafft, aber durch die Kette und Kraftlosigkeit zwingen ihn zum Robben. Endlich angekommen, hockt sich der junge Omega vor das Bett und mustert, auf Augenhöhe mit dem Schlafenden, diesen vorsichtig. Große blaue Augen fahren, die Kontur des, offensichtlich kampferprobten, Körpers ab und Tae weiß nicht ganz, was er fühlen soll. Etwas überwältig von den gegensätzlichen Gefühlen in seinem Inneren, bemerkt er erst gar nicht, wie der Alpha im Schlaf unruhig atmet und sich seine Faust, immer wieder, in die Decken unter ihm krampft. Hat er etwa einen Alptraum? Jungkooks Arm zuckt im Schlaf und der Wolf presst seine Kiefer, wie im Kampf zusammen, was seine Zähne knirschen lässt. Auf einmal knurrt der Wolf so tief und angsteinflößend im Schlaf, dass der Omega mit einem kleinlauten Quicker hochschreckt und panisch zurückrobbt, bis er die, unter der Sonne heiß gewordene Plane, im Rücken spürt. Angsterfüllt suchen die blauen Augen wieder nach dem Bett. Hat er ihn gesehen? Panisch nesteln seine Hände hinter ihm an der Plane, doch ehe er unter der Plane ins Freie kriechen kann, finden seine Augen das Bett und treffen auf den bereits brennenden Blick zweier blutroten Augen.

Forced FateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt