Kapitel 6

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Nicky

Die Jungs hatten sich gerade aus dem Staub gemacht und ich stand nun allein in meinem Motelzimmer. Nachdenklich sah ich auf die Uhr. Es war kurz nach halb zehn Uhr morgens. Sollte ich heute schon abreisen? Der Job war schließlich erledigt. Es klopfte an der Tür.

„Zimmerservice", die Stimme des Zimmermädchens drang durch die Tür.

Kurz verdrehte ich die Augen. Sie würde es wohl nie lernen. Am liebsten hätte ich die Tür aufgerissen und ihr erneut die Meinung gesagt, doch etwas hielt mich zurück. Es war der Vorsatz, den ich im Motel der Brüder Winchester geschlossen hatte, als ich dachte, sie würden mich töten. Seufzend öffnete ich die Tür und setzte ein Lächeln auf. Das Zimmermädchen schaute mich irritiert an. Scheinbar war sie es nicht gewohnt, mich mit guter Laune zu sehen.

„Ich möchte mich bei Ihnen für mein Verhalten der letzten Tage entschuldigen. Sie wollten einfach nur Ihren Job machen und ich war nicht gerade freundlich zu Ihnen", ich kratzte mich am Hinterkopf und sah zur Seite. Es fiel mir schwer, einen Fehler zuzugeben.

„Hier!", ich kramte in meiner Hosentasche und streckte ihr einige Dollar entgegen. Sie winkte ab und lächelte mild.

„Das ist wirklich nicht nötig."

„Bitte, ich bestehe darauf", nachdrücklich sah ich sie an. Widerwillig nahm sie es an und nickte mir dankend zu. Wir unterhielten uns noch kurz und ich teilte ihr mit, dass ich bereits heute auschecken würde. Ich verabschiedete mich von ihr und ging zurück in mein Zimmer.

Nachdem ich meine Sachen, einigermaßen ordentlich, in meine Tasche gestopft hatte, trug ich diese zu meinem Auto. Ich lud alles ein und ging zurück ins Motel, um zu bezahlen. Suchend sah ich mich um. Keiner da.

„Hallo?", rief ich und warf einen Blick hinter den Tresen. Seltsam.

Seufzend drehte ich mich um und mir stach eine kleine Menschenansammlung ins Auge, welche sich um einen gut gekleideten Mann gebildet hatte. Es schienen Reporter zu sein. Aber wer war der Mann in der Mitte? Neugierig näherte ich mich der Gruppe und fing an, zu lauschen.

„Herr Bürgermeister, was sagen Sie zu den grausigen Morden, die hier in Ihrer Stadt vorgefallen sind?", fragte eine junge, hübsche Reporterin und hielt ihm ein Mikrofon unter die Nase.

„Ich kann Ihnen nur das sagen, was ich auch den anderen Reportern bereits erzählt habe. Wir werden den Schuldigen finden und inhaftieren, das verspreche ich Ihnen!", selbstsicher hob er die Hand. Ich schmunzelte. Wenn er wüsste, dass Dean den Täter bereits erschossen hatte, würde er bestimmt nicht so große Töne spucken.

„Haben Sie schon einen Verdächtigen?" Der Bürgermeister wandte seinen Blick ab und schüttelte betrübt den Kopf.

„Nein, leider haben wir noch keinen Verdächtigen. Aber wir werden unser Bestes geben und den Täter schnappen, bevor er noch jemanden tötet. Fünf junge Frauen sind ihm bereits zum Opfer gefallen, aber dies wird enden!"

Moment mal. Fünf Frauen? Mein Blick schweifte durch die Menge und ich entdeckte Officer Jake Bender. Jake war der Officer, den ich zu einem der Opfer befragen wollte, bevor Sam und Dean dazwischengefunkt haben.

„Entschuldigen Sie, Jake?" Ich drückte mich zwischen den Reportern vorbei und sah ihn unsicher an.

„Daria, was machen Sie denn hier?", irritiert sah er mich an.

„Es wurde noch jemand getötet?", flüstere ich. Er nickte kurz und zog mich zur Seite.

„Ja, heute Morgen wurde eine weitere Leiche gefunden." Ich kniff die Augen zusammen. Ich dachte, es wäre vorbei!

„Wurde das Herz... also... wurde es...", ich stockte kurz und machte einen Blick nach hinten. Ich war nicht gerade scharf darauf, dass die Reporter unser Gespräch mitbekamen und mich vielleicht für eine Irre hielten. Jake deutete mir an, ihm zu folgen und wir entfernten uns einige Meter von der Gruppe.

„Daria, ich dürfte Ihnen das eigentlich gar nicht erzählen", Jake sah mich ernst an und seufzte kurz. „Das Herz wurde... es wurde einfach...", er setzte seine Hand auf die Brust und machte eine reißende Bewegung.

Ich nickte zögernd und biss auf meine Unterlippe. Verdammte Scheiße! Ich dachte wirklich, dass es vorbei sei.

Nachdem ich mit Jake noch einige Details über die Morde durchgegangen war, machte ich mich auf den Weg zurück zum Motel. Da nun die Rezeption wieder besetzt war, teilte ich der Mitarbeiterin mit, dass ich auf unbestimmte Zeit verlängern würde. Als Bezahlung legte ich einige Hundert Dollar Scheine auf den Tresen und verschwand in meinem Zimmer, welches erstaunlicherweise bereits vom Zimmermädchen gereinigt worden war. Hochzufrieden sah ich mich um und nickte freudig. So ein aufgeräumtes Zimmer hatte schon etwas Positives an sich. Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Dean.

„Geh schon ran, Dean", murmelte ich.

Keine Antwort. Ich seufzte und wählte die Nummer von Sam. Wieder bekam ich keine Antwort. Na toll.

„Solltest du mal Hilfe bei einem Fall brauchen, oder sonst etwas... melde dich... blabla... ich bin immer hochprofessionell", äffte ich Dean nach und verzog das Gesicht.

Die Stunden vergingen und ich hatte immer noch keine Antwort erhalten. Langsam wurde es dunkel. Es wurde Zeit. Zeit für die Jagd. Ich steckte meine Waffe in den Hosenbund und zog mir meine neue Jacke darüber. Naja, eigentlich war es nicht meine Jacke. Ich hatte Dean die Jacke nach dem Vorfall mit dem Werwolf einfach noch nicht zurückgegeben. Was sollte ich sagen? Sie war einfach viel zu bequem und stand mir um einiges besser als ihm. Das redete ich mir zumindest ein. Nachdem ich die Jacke in meinem Waschbecken einigermaßen sauber bekommen hatte, war sie wie neu. Meine schöne, neue Jacke.

Ich verließ das Motel und ging zu der Stelle zurück, an der mich der Werwolf angegriffen hatte. Oder zumindest hatte er es versucht. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich ließ meinen Blick schweifen und stoppte, als ich an derselben Stelle wie gestern stand. Das Gefühl, als mir die Luft aus der Lunge gepresst wurde und ich dachte, dass ich ersticken würde, war kein gutes. Einige Minuten stand ich einfach nur da und ließ den gestrigen Vorfall Revue passieren.

Ein schriller Schrei riss mich aus den Gedanken. Wie von der Tarantel gestochen, zog ich meine Waffe und drehte mich um. Was war das? Es hörte sich nicht wie ein Werwolf an, sondern mehr wie eine Frau. Vielleicht ein weiters Opfer?

Ohne weiter darüber nachzudenken, rannte ich in den Wald, in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Suchend sah ich mich um, doch ich konnte keine Frau entdecken. Das Knacksen eines Astes hinter mir ließ mich zusammenzucken.

Hektisch drehte ich mich um. Nichts. Gar nichts. Ich schluckte leicht. Langsam bekam ich berechtigte Zweifel, ob es wirklich die richtige Entscheidung gewesen war, allein auf die Jagd zu gehen. Wieder war ein Schrei zu hören. Ehe ich reagieren konnte, wurde ich von hinten gepackt und die Waffe wurde mir aus der Hand geschlagen. Ich versuchte, mich zu wehren und trat wahllos um mich.

„Hör auf, dich zu wehren, Daria. Es wird schneller vorbei sein als du denkst", zischte eine vertraute Stimme. Ach du heilige Scheiße. Jake Bender. Er war der Werwolf.

Nicky Jones und die Jagd nach Rache ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt