Kapitell 24

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Dean

Die Stunden vergingen und Bobby und ich schütteten uns mit Whisky zu. Na ja, vielmehr hatte ich mich mit Whisky zu geschüttet und Bobby hatte mir dabei zugesehen. Als ich wankend aufstand und gerade dabei war, mir eine neue Flasche zu holen, hielt er mich zurück.

„Du hattest genug, Junge", entschied er ernst und legte seinen Arm stützend um mich. Ich wollte protestieren, doch ich hatte nicht die Kraft dazu. „Ich bring dich ins Bett", kündigte er an und dirigierte mich zur Treppe.

„Nein... ich schlaf auf der Couch", brummte ich schläfrig und riss mich von ihm los. Er sah mich kopfschüttelnd an, aber ließ mich gewähren.

„Du weißt schon, dass auf der Couch deine kleine Freundin liegt?", gab er gleichgültig von sich und sah mich immer noch kopfschüttelnd an, ehe er sich umdrehte und die Treppe nach oben ging.

Schulterzuckend taumelte ich ins Wohnzimmer und ignorierte die Worte meines Freundes. Ich zog ein Kissen und auch eine Decke von der Couch und schmiss sie achtlos, neben ein paar herumliegende Bücher, auf den Boden. Der Anblick der Leiche schmerzte mich nicht mehr so sehr wie vorhin. Vermutlich lag es am Alkohol, denn es war ja bekannt, dass dieser betäubend wirkte. Ja, das war eine gute Beschreibung für das Gefühl in mir. Ich fühlte mich einfach nur betäubt.

Ich legte mich auf den harten Boden und zog die Decke bis zu meinem Kinn hoch, ließ aber meine Hände frei. Die eine Hand legte ich unter meinen Kopf und machte es mir so noch etwas bequemer, während ich die andere Hand nach oben zur Couch streckte und nach der Hand von Nicky tastete. Als ich sie gefunden hatte, drückte ich die eiskalte Hand zusammen und strich ihr über die Haut.

„Es wird alles wieder gut, Kleines", versprach ich ihr und strich noch einige Male über ihre Hand, ehe ich meine schweren Lider schloss und schlussendlich einschlief.


Ich wurde aus dem unruhigen Schlaf gerissen, als ich einen schweren Druck auf meiner Brust spürte, welcher mir das Atmen erschwerte, und kurz darauf etwas auf mein Gesicht tropfte. Schwerfällig öffnete ich meine Augen und spähte durch einen kleinen Schlitz hinaus. Das Mondlicht, welches durch das Fenster über dem Sofa in den Raum strömte, tauchte den Raum in ein schummriges Licht. Ich konnte nicht glauben was ich sah.

„Nicky", hauchte ich ungläubig und öffnete die Augen nun komplett. Was zum Teufel war hier los?

„Hey, Dean", sagte sie mit ruhiger Stimme. Ihr Blick war von mir abgewandt und sie versuchte, mir nicht in die Augen zu sehen. Sie saß auf meiner Brust, was auch erklärte, warum ich so einen Druck verspürte. Das Blut, welches aus ihrer Schnittwunde am Hals lief, tropfte auf mein Gesicht.

„Was machst du hier?", fragte ich verschlafen und wischte mir das Blut von der Wange. Bildete ich mir das ein, oder war es gerade um gefühlte zehn Grad kälter geworden? Ein ungutes Gefühl kam in mir auf.

„Tut mir leid, dass ich dich vollsaue", murmelte sie und hielt sich eine Hand auf die Wunde. Ich legte den Kopf leicht zur Seite und sah sie an.

„Wenn sich jemand von uns beiden entschuldigen muss, dann ja wohl ich." Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Mein Alkoholspiegel musste scheinbar schon gesunken sein, denn ihr Anblick fing wieder an, wehzutun. Als ich die Augen wieder öffnete, war sie verschwunden. Wo war sie hin? Hatte ich mir das alles nur eingebildet? Wackelig stand ich auf und betätigte den Lichtschalter an der Wand, ehe ich auf die Couch schielte. Der Körper von Nicky lag immer noch genauso da, wie ich ihn vor ein paar Stunden positioniert hatte.

„Suchst du mich?" Die Stimme von ihr erklang hinter mir und ich drehe mich um. Sie lehnte lässig an der Wand und schaute mich mit verschränkten Armen an.

„Was soll das, Nicky?", fragte ich unsicher und hob eine Augenbraue. Ihr Körper fing an zu flackern, doch sie blieb an der Wand stehen.

„Ich bin tot", stellte sie trocken fest und schnaubte.

„Ich weiß", flüsterte ich und fuhr mir durch die Haare.

„Weißt du, was wirklich komisch ist, Dean? Ich wuchs als Jägerin auf und meinen ersten Geist habe ich mit ungefähr neun Jahren erledigt und jetzt? Jetzt bin ich selber ein verdammter Geist und verstehe, warum der Geist damals so verflucht wütend war und mich umbringen wollte... ich bin auch so scheiß wütend und würde am liebsten jemandem das Gesicht abziehen... vielleicht sogar dir", zischte sie und ballte ihre Hand zu einer Faust. Das Licht im Raum fing an zu flackern und das Holz im erloschenen Kamin fing plötzlich an zu lodern.

„Du hattest schon zu Lebzeiten Feuer unterm Arsch, Kleines... aber das ist übertrieben", sagte ich und beobachtete für einen kurzen Moment die Flammen.

„Du musst mich verbrennen, Dean!", forderte sie mich auf und stand im nächsten Augenblick direkt vor mir. Die Flammen im Kamin loderten erneut auf und eine Stichflamme züngelte in meine Richtung.

„Was? Nein! Ich brauch deinen Körper noch!", schrie ich aufgebracht und merkte im selben Moment, wie krank dieser Satz klang. „Ich werde dich wieder zurückholen und dafür brauchst du nun mal einen Körper... deinen Körper", fügte ich hinzu und wich einige Schritte zurück. Die Nähe zu ihr und auch zum Kamin gefiel mir nicht.

„Du musst mich verbrennen!", wiederholte sie ihre Forderung und sah mich flehend an. „In mir ist dieser Drang", fügte sie murmelnd hinzu, während sie sich durch die blutigen Haare fuhr.

„Welcher Drang?", bohrte ich nach.

„Ich will dir das Gesicht abziehen", meinte sie ruhig und streckte ihre Hand nach mir aus.

Ach du heilige Scheiße! Ich stolperte zurück und landete unsanft auf meinem Hintern. Nicky stand nun direkt über mir und funkelte mich böse an. Im Normalfall würde ich mir ein Eisenteil schnappen und ihr durch den Geisterkörper schlagen, doch ich konnte nicht. Ich konnte ihr einfach nicht wehtun.

Nicky schien leider nicht das gleiche Problem zu haben, denn sie beugte sich über mich und legte ihre Hand auf meine Brust. Ein heftiger Kälteschauer durchfuhr mich und ich hatte das Gefühl, dass mein Blut gefror. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, doch ich kam nicht dazu.

Im nächsten Moment ertönte ein Schuss und Nicky löste sich in Luft auf. Erschrocken drehte ich meinen Kopf zur Tür und sah Bobby, der sein Gewehr in meine Richtung hielt. Der Lauf rauchte noch, als er sie senkte und auf mich zu kam.

„Alles gut bei dir, Junge?", fragte er und half mir auf die Beine.

„Ich hatte alles unter Kontrolle", versicherte ich ihm und zupfte mein Hemd zurecht.

„Natürlich", brummte er und schüttelte seinen Kopf, während er anfing, sein Gewehr nachzuladen. Er schien wohl nicht zu denken, dass der Geist lange wegbleiben würde. „Was willst du tun?", fragte er mich und deutete mit dem Gewehr auf die Leiche, welche immer noch auf der Couch lag.

„Ich werde Sam anrufen und..."

„Und dann was? Du musst endlich aufhören, immer alles und jeden retten zu wollen, Dean! Du kannst nicht alle retten", unterbrach er mich und warf mir einen besorgten Blick zu. Ich schwieg und starrte stattdessen auf den toten Körper meiner Jägerfreundin.

„Familie hört nicht beim Blut auf, Junge!", murmelte ich und sah ihn wieder an.

„Was?", gab er irritiert von sich.

„Den Satz hast du zu mir gesagt, als ich damals versucht hatte, dich von unserem gemeinsamen Kampf gegen Lilith abzuhalten, bei dem ich das erste Mal gestorben bin."

„Ich erinnere mich... aber was hat das denn damit zu tun?"

„Sie gehört zur Familie und ich kann nicht noch mehr Familie verlieren, Bobby. Ich kann einfach nicht", seufzte ich und fuhr mir übers Gesicht.

„Mom, Dad, Ellen, Jo sind bereits tot! Und drei von den vier Leichen gehen auf meine Kappe! Wenn dir, Cas oder Sam auch noch was passieren würde, dann... ich wäre allein und sie...", ich stoppte und deutete auf Nicky. „...sie ist bereits so lange allein und hat niemanden mehr. Wir sind uns gar nicht mal so unähnlich... ich erzähl dir mal was... ihre Mutter starb bei einem Autounfall, als sie klein war und meine Mutter starb auch, als ich klein war. Ihr Dad hat sein Leben gegen ihres getauscht, weil sie sonst gestorben wäre und dann ist er in die Hölle gegangen... kommt dir das bekannt vor? Ja? Dann liegt es daran, dass mein Dad das gleiche auch für mich getan hat! Bobby, verstehst du das? Das bin ich! Ich liege da!", schrie ich aufgebracht und deutete auf die Leiche. Er stand mir gegenüber und schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er hatte offensichtlich keinen blassen Schimmer, was ich da von mir gab.

„Ich kann dir nicht folgen, Dean", gestand er leise und schüttelte seinen Kopf.

„Das könnte genauso gut ich sein", fasste ich meine Aussage zusammen und richtete meinen Blick wieder auf die Tote.

„Aber du bist es nicht", stellte er fest und nickte mir aufmunternd zu. Was sollte das denn? Wollte er mich mit diesen Worten etwa beruhigen?

„Ich weiß, dass du es nur gut meinst, Bobby, aber lass es einfach sein", sagte ich und lächelte ihn gequält an. Er wollte gerade etwas erwidern, doch das Klingeln meine Handys unterbrach ihn. Da das Telefon zwischen den herumliegenden Büchern lag, dauerte es einen kurzen Moment, bis ich rangehen konnte. Es war Sam.

„Bitte sag mir, dass du gute Neuigkeiten hast", bat ich ihn und presste die Lippen aufeinander.

„Ich habe gute Neuigkeiten", sagte mein Bruder und ich hätte schwören können, dass im Hintergrund die Melodie von Casa Erotica lief.

„Dann spuck's schon aus, Sam", forderte ich ihn auf und sah Bobby mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen an.

„Wir haben Gabriel gefunden und er ist bereit, uns zu helfen", verkündigte er erfreut und ich spürte, wie ein riesiger Stein von meinem Herzen fiel.

„Und das macht er einfach so? Ohne eine Gegenleistung?", bohrte ich nach.

„Wie Cas schon gesagt hat... Gabriel schuldet uns was und wenn er uns den Gefallen tut, dann sind wir quitt", meinte er.

„Und was macht er jetzt wegen Nicky?", fragte ich unruhig und kratze mich am Haaransatz.

„Er sucht sich grad ein paar Sachen zusammen und wird dann einen Zauber oder was weiß ich aussprechen und dann..."

„...dann ist Nicky wieder die alte", vollendete ich den Satz meines Bruders und nickte zufrieden.

„Wann war es je so einfach, Junge?", mischte sich Bobby ein und sah mich misstrauisch an.

„Musst du immer so negativ sein?", machte ich ihn an und verzog das Gesicht.

„Ähm...Leute, ich unterbreche ja nur ungern, aber ich muss wieder los und für den Zauber noch ein oder zwei Sachen besorgen", sagte Sam und verabschiedete sich noch kurz, ehe er auflegte. Ich dankte ihm noch für die guten Nachrichten und steckte das Handy in meine Hosentasche.

„Ich hoffe, dass es funktioniert", seufzte ich und blickte zu Bobby.

„Und ich hoffe, dass es schnell geht. Wenn du noch mehr Zeit verstreichen lässt, dann fängt sie noch an zu verwesen und ich denke nicht, dass sie wieder in den Körper zurück will, wenn... naja...", meinte er und schaute mich mit griesgrämigem Blick an.

Obwohl ich ihm gerne allein schon aus Prinzip widersprechen wollte, konnte ich nicht, denn er hatte recht. Gabriel musste schnellstmöglich seinen Plan in die Tat umsetzten, denn sonst würde ich noch anfangen, Amok zulaufen und das wollte wirklich niemand.

Nicky Jones und die Jagd nach Rache ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt