Kapitel 19

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Nicky

Fassungslos starrte ich auf den Mann vor mir. Ich konnte meinen Augen kaum glauben. „Das ist nicht möglich", murmelte ich völlig neben mir und schüttelte immer wieder den Kopf. Ich befand mich beinahe in Trance und ich spürte, wie mein Herz immer schneller in meiner Brust schlug.

Als mein Vater gestorben war, hatten seine Jägerfreunde ihn verbrannt und ihm somit eine ehrenvolle Jägerbestattung ermöglicht. Anschließend hatten wir seine Asche, wie er es sich gewünscht hatte, im Familiengrab neben meiner Mutter beigesetzt. Es war also wirklich vollkommen unmöglich, dass er nun vor mir stand. Auch wenn er jetzt ein Dämon war, konnte seine Hülle unmöglich die meines Vaters sein, denn diese Hülle exerzierte nicht mehr.

„Wie... was... ich versteh das nicht. Wie kann das sein? Du... wir... wir haben dich verbrannt und vergraben... das ist nicht möglich", stammelte ich und fuhr mir überfordert durch die schweißnassen Haare. Meine Hand zitterte.

„Und dennoch bin ich hier", stellte der Mann, mein Vater, grinsend fest und musterte mich argwöhnisch. „Kann ich alleine mit ihr sprechen?", fragte Dad und wandte sich an Crowley, welcher neben ihm an der Tür lehnte.

Er nickte kurz desinteressiert und schnipste mit den Fingern. Plötzlich waren nur noch wir beide im Raum. Sam, Dean und auch Crowley waren verschwunden. Ich schluckte nervös. Diese Situation gefiel mir ganz und gar nicht.

„Du hast dich verändert", stellte er schulterzuckend fest und streifte seinen schwarzen Mantel ab. Er legte ihn beiseite und setzte sich zu mir an den Tisch.

„Das kann ich nur zurückgeben", meinte ich und versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen, obwohl ich mich insgeheim ganz anders fühlte. „Wie ist das möglich, dass du... naja... du bist?", fragte ich etwas ängstlich. Ich hatte wirklich Angst vor der Antwort, aber ich war zu neugierig, um nicht danach zu fragen.

„Crowley hat so manche Fähigkeiten", antwortete er lächelnd. Ja, das wusste ich bereits.

„Natürlich. Crowley... ich hätte es wissen müssen", seufzte ich und lehnte mich im Stuhl zurück. „Und warum hat er dir deinen Körper wiederhergestellt? Ihr hättet euch doch auch irgendein armes Schwein von der Straße holen können, wie ihr Scheißkerle es sonst auch macht", zischte ich und funkelte ihn böse an.

„Pass auf, wie du mit deinem Vater redest, junge Dame!", ermahnte er mich und hielt seine Hand bedrohlich hoch. Seine Augen waren noch immer pechschwarz. Ich schnaubte kurz und schüttelte lächelnd den Kopf.

„Du bist nicht mein Vater! Mein Vater hätte nie zugelassen, dass er ein Dämon wird. Und er wäre erst recht nicht der Arschkriecher von Crowley geworden!", stellte ich trocken fest.

„Vergiss nicht den Grund, warum ich das alles gemacht habe! Ich habe mein Leben für deins geopfert und..."

„Ich habe dich nicht darum gebeten, kapiert? Ich habe nie von dir verlangt, dass du dein Leben meinetwegen beendest!", schrie ich und fühlte, wie sich die Tränen ihren Weg über meine glühenden Wangen bahnten. Wütend sprang er auf und schleuderte den Tisch gegen die Wand. Erschrocken zuckte ich zusammen.

„Du hast mich zwar nicht darum gebeten, aber ich konnte es nicht mit ansehen, wie du stirbst! Ich konnte nicht noch jemanden verlieren!", rechtfertigte er sich. Er kam auf mich zu, zog mich vom Stuhl hoch und drängte mich an die Wand. Da ich mich ohnehin nicht gegen ihn zur Wehr setzten konnte, versuchte ich es erst gar nicht. „Ich habe es deiner Mutter versprochen", hauchte er und im nächsten Moment verschwanden die schwarzen Augen.

„Was hast du ihr versprochen?", bohrte ich nach und versuchte, seinen Griff um meinen Arm etwas zu lockern. Leider schaffte ich es nicht. Was hatte er ihr denn versprochen? Meine Mutter war bereits gestorben, als ich zehn Jahre alt gewesen war und die Krankheit war erst Jahre später ausgebrochen, also konnte er ihr unmöglich versprochen haben, mich zu heilen. Oder etwa doch?

„Ich hab ihr mein Wort gegeben, dass ich dich beschützen werde und nicht zulasse, dass dir etwas schlimmes passiert", erklärte er mir und ließ mich los.

„Du konntest doch nichts für meine Krankheit", sagte ich und versuchte, ihn somit zu beruhigen. Seine Miene wurde ernster und er drehte sich von mir weg. „Ich habe doch recht, oder?", hakte ich unsicher nach. Er verschwieg etwas.

„Zwei Jahre nach dem Tot deiner Mutter traf ich auf eine Frau und..."

„Ich will wirklich nichts von deinem Liebesleben hören. Das geht mich absolut nichts an und ich find das auch echt eklig", wehrte ich ihn ab und lief planlos im Raum umher.

„Bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir rede!", befahl er mir und packte mich am Arm. Er zerrte mich zurück zum Stuhl und drückte mich nach unten.

Widerwillig ließ ich es geschehen und sah ihn auffordernd an. Ich hasste es, wenn er das tat. Naja, ich hatte es gehasst, wenn er es früher getan hatte. Diese Situation erinnerte mich auch irgendwie an das Gespräch mit Dean, welches wir damals in Montana geführt hatten, kurz bevor mich der Werwolf angegriffen hatte. Er hatte damals den gleichen Satz zu mir gesagt und ich hatte ihn deshalb ziemlich angeblafft. Im Nachhinein betrachtet, hatte ich mich damals wohl wirklich wie ein Miststück aufgeführt und ich sollte mich deshalb nochmal bei ihm entschuldigen.

„Zwei Jahre nach dem tödlichen Autounfall deiner Mutter traf ich auf eine Frau und wir verliebten uns ineinander. Alles schien wirklich perfekt zu laufen und ich war zum ersten Mal nach langer Zeit wieder einigermaßen glücklich", erzählte er und für einen kurzen Moment dachte ich sogar, dass ein kleines Lächeln auf seinen Lippen zu sehen war. „Einige Monate später war ich an einen Fall in den Wäldern von Albuquerque dran und dann musste ich leider feststellen, dass ich nicht irgendetwas jagte, sondern sie. Sie war eine Hexe und hatte zusammen mit zwei weiteren Hexen einige Leute aus der Umgebung ausgeweidet und für ihre Rituale missbraucht. Es war mir nicht leichtgefallen, aber ich hatte keine andere Wahl, als sie zu töten."

„Und was hat das mit meiner Krankheit zu tun?", fragte ich misstrauisch nach. Bis jetzt klang jedenfalls nichts von seinen Erzählungen so, als wäre er schuld an meinem Krebs gewesen.

„Nachdem ich sie getötet hatte, haben mich ihre zwei Gehilfinnen überwältigt und dann... naja... dann kamst du und hast eine der beiden erschossen."

„Warte, was? Ich hab eine Hexe erschossen? Wann war das? Ich würde mich doch wohl daran erinnern, wenn ich eine Hexe getötet und dir somit den Arsch gerettet hätte!", warf ich forsch ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich konnte mich einfach nicht an diesen Tag erinnern. Diese Geschichte hatte er bestimmt gerade erst erfunden!

„Wenn du mich mal ausreden lassen würdest, dann könnte ich dir das erklären!", schrie er wütend und ballte seine Hand zu einer Faust. Ich hob abwehrend die Hände und lehnte mich wieder brav im Stuhl zurück. Oh Mann, der war vielleicht gereizt!

„Als du dann die eine Hexe getötet hast, hat die andere Hexe einen miesen Fluch gegen mich ausgesprochen, aber... naja... sie war damals scheinbar keine erfahrene Hexe, denn sie hat nicht mich verflucht, sondern dich", gab er ruhig zu und schloss seinen Mund zu einem dünnen Strich.

„Was soll das heißen?", flüsterte ich und fühlte, wie mein Blut anfing zu kochen.

„Diese Hexe hat dich verflucht und daraufhin wurdest du krank", fügte er hinzu und schwenkte seinen Blick zur Tür.

„Soll das bedeuteten, dass diese Hexe mich mit Leukämie verzaubert hat?" Die Gedanken in meinem Kopf fingen, an sich zu überschlagen. Ich fing an, jedes Ereignis aus der Vergangenheit vor meinen Augen Revue passieren zu lassen. Mein ganzes Leben bestand aus Lügen! Entsetzt schaute ich ihn an. „Und warum hast du diese Hexe dann nicht dazu gezwungen, mich wieder zu entfluchen, anstatt einen Deal mit Crowley einzugehen?", schrie ich aufgebracht.

Es wäre ihm doch bestimmt möglich gewesen, diese Hexe davon zu überzeugen den Fluch umzukehren. Wenn sie es schon nicht freiwillig tun wollte, dann hätte er sie auch irgendwie zwingen können!

„Das war leider nicht möglich! Ich hatte die Hexe bereits getötet, bevor ich wusste, dass du verflucht warst!", verteidigte er sich und sah mich mit aufgerissenen Augen an. „Ich wollte nie, dass du die Wahrheit erfährst! Aber du musstest ja so ein Dickkopf sein und deine Nase in Angelegenheiten stecken, die dich einfach nichts angehen!"

„Und von wem hab ich das wohl?", konterte ich und sprang auf. Ich tigerte wieder im Raum umher und fuhr mir immer wieder durch die Haare. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Das durfte einfach nicht wahr sein! Eine Hexe hatte mich verflucht und todkrank gemacht, obwohl es eigentlich Dad hätte sein sollen, der draufgeht? Daraufhin schloss Dad einen Deal mit Crowley, um mich zu retten und biss am Ende doch noch ins Gras. Die Hexe hatte auf alle Fälle ihr Ziel erreicht, auch wenn es auf Umwegen geschah. Ich musste das ganze erstmal sacken lassen.

„Ich muss hier raus", murmelte ich und drängte mich an ihm vorbei zur Tür. Ich drückte die Klinke nach unten und hatte gerade den ersten Schritt nach draußen gemacht, als ich unsanft angerempelt und wieder ins Zimmer gedrückt wurde.

„Was soll das? Ey, lass mich los!", schrie ich wütend und rammte der Gestalt vor mir meinen Ellenbogen in die Seite. Der Mann zuckte zwar kurz zusammen, schien aber von meiner Gegenwehr doch recht wenig beeindruckt zu sein. „Moment mal! Sie sind doch dieser Taxi-Driver für Arme... ich meine der Typ vom Empfang", stellte ich nach einigen Schrecksekunden fest und hielt mir wieder den Ärmel meiner Jacke vors Gesicht. Der Typ sollte wirklich dringend mal ein Pfefferminz lutschen und eine Dusche würde garantiert auch nicht schaden.

„Was soll die Scheiße, James?", fragte der Empfangsmitarbeiter und sah dabei meinen Vater eindringlich an.

„Kennst du diese wandelnde Mülltonne etwa?", fragte ich mit gedämpfter Stimme. Mein Vater sah zwischen uns beiden hin und her, ehe er laut schnaubte.

„Wieso bist du hier, Drew? Ich sagte doch, dass ich das alleine hinbekomme!", fauchte er den Brillenträger an. Was ging hier vor?

„Das sieht nicht so aus, als würdest du alles hinbekommen. Das sieht eher nach einem Kaffeekränzchen mit deiner Kleinen aus!", stellte er sarkastisch fest und schüttelte den Kopf.

„Was geht hier vor? Dad, was ist hier los?", fragte ich etwas verunsichert und machte sicherheitshalber einige Schritte zurück.

„Halt einfach die Klappe, Süße!", befahl mir Drew grinsend und machte eine kurze Handbewegung. Im nächsten Moment wurde ich an die Wand gedrückt und ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich stand nun wortwörtlich mit dem Rücken gegen die Wand.

„Großartig! Noch ein Dämon", zischte ich und versuchte, mich zu befreien. Leider blieb mein Versuch erfolglos. Ich könnte mich dafür ohrfeigen, dass mir nicht aufgefallen war, dass dieser Drew ein Dämon sein musste. Er stank ja schließlich auch wie einer! Ich war so dämlich. Die ganze Sache mit meinem Vater und den Winchesters hatte mich wohl so sehr abgelenkt, dass ich es einfach übersehen hatte. Apropos Winchesters. Ich könnte im Moment echt ihre Hilfe gebrauchen!

„Du solltest sie doch einfach nur erledigen und nicht hier mit der Kleinen auf heile Familie machen!", blaffte Drew meinem Vater entgegen.

„Mich erledigen? Heißt das etwa, dass du mich umbringen wolltest?", schrie ich entsetzt. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Mein eigener Vater wollte mich töten!

„Was? Nein, doch nicht dich, du dummes Ding! Die Winchesters sollten eigentlich dran glauben, aber dein braver Daddy hier wollte lieber mit dir die guten, alten Zeiten bedauern!", knurrte er verärgert und verstärkte meinen Druck gegen die Wand noch mehr. Er schnitt mir die Luft ab und ich konnte kaum noch richtig atmen.

„Du bringst sie ja noch um!", zischte mein Vater und schlug die Hand seines dämonischen Artgenossen weg. Augenblicklich war der Druck verschwunden und ich fiel kraftlos auf die Knie. Ich hatte immer noch mit dem Atmen zu kämpfen und bekam somit nicht wirklich mit, wie die Tür aufging und Crowley hereinstolziert kam.

„Was ist denn hier los? Eine Schlägerei und keiner lädt mich ein? Das find ich ja gar nicht nett", jammerte Crowley mit sarkastischem Unterton.

Sein Blick glitt durch den Raum und als er mich am Boden kniend sah, pfiff er kurz. Im nächsten Moment erschienen Sam und Dean neben mir. Auch wenn ich Crowley am liebsten eine reinhauen würde, war ich ihm für diese Aktion dankbar.

„Nicky!", schrie Dean und zog mich vorsichtig auf die Beine.

„Geht's dir gut?", fragte Sam und mustere mich besorgt. Ich nickte nur.

„Ihr müsst hier raus, sofort!", flüsterte ich zu Dean und schubste ihn in die Richtung der Tür. Er sah mich fragend an, doch ich gab ihm mit einem Blick unmissverständlich zu verstehen, dass er mir nun vertrauen musste. Wir mussten hier schleunigst raus, bevor es zu spät war.

„Ihr geht nirgendwo hin!", rief Drew und schleuderte uns gegen die Wand.

Ich hasste diesen Typen! Dean fluchte wild vor sich hin und versuchte, sich mit aller Kraft gegen den Dämon zu wehren, doch er schaffte es nicht. Auch Sam gelang es nicht, sich zu befreien und gab schließlich auf. Da ich dieselbe Aktion bereits einige Minuten zuvor genießen durfte, versuchte ich erst gar nicht, mich zu wehren, sondern sparte mir meine Kraft auf. Vielleicht würde ich sie noch brauchen.

„Was soll das denn werden, wenn's fertig ist?", fragte Crowley schroff und deutete auf uns.

„Das ist unsere Chance, Sir! Wir haben die Winchesters und nun können wir sie endlich töten!", verkündigte Drew stolz. Crowley schien von dem Ganzen weniger begeistert zu sein. Es schien so, als hätte er von Drews Plan keine Ahnung gehabt.

„Ich hasse Dämonen", murmelte er und verdrehte genervt die Augen.

Er hob seine Hand und wollte wohl gerade irgendetwas Dämonisches anstellen, doch Drew kam ihm zuvor. Mit einem lauten Schrei riss er den Mund auf und schwarzer Rauch breitete sich im Raum aus. Unfähig, etwas zu tun, musste ich mit ansehen, wie dieser Rauch auf mich zukam. Dann wurde alles um mich herum schwarz und ich driftete in die Dunkelheit ab.

Nicky Jones und die Jagd nach Rache ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt