Kapitel 25

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Dean

Ungeduldig tippte ich mit den Fingern auf dem Holztisch herum und stieß angespannt die Luft aus. Ich hasste es, zu warten. Als die Tür aufgeschlossen wurde, hob ich den Kopf und schielte zum Eingang. Es war Sam.

„Und?", fragte ich aufgeregt.

„Und, was?", entgegnete er mir und zog seine Augenbraue nach oben.

„Du weißt verdammt genau, was ich meine, Sam!"

„Es ist auch schön, dich zusehen, Dean! Danke für die nette Begrüßung", brummte er und warf mir einen beleidigten Blick zu. „Unsere geflügelten Freunde dürften jeden Moment hier aufschlagen", fügte er ruhig hinzu und setzte sich zu mir an den Tisch.

„Gut", murmelte ich und tippte wieder auf der Tischplatte herum.

„Du siehst scheiße aus", stellte mein Bruder trocken fest und musterte mich von oben bis unten.

„Du bist auch nicht grade eine Augenweide", konterte ich leicht genervt und warf ihm einen schiefen Blick zu.

„Wo ist eigentlich Bobby?", fragte er und versuchte, so das Thema zu wechseln.

„Er hat die Leiche in den Schutzraum gebracht, damit ich sie nicht... ähm... sie mich nicht... ach, vergiss es, nicht so wichtig", murmelte ich und fuhr mir durch die Haare. Ich war ehrlich gesagt gar nicht so scharf darauf, Sam zu erzählen, dass Nicky mich angegriffen hatte. Mir war es ohnehin peinlich genug, dass ich mich nicht gegen sie hatte wehren können.

„Was hast du getan?", fragte er zögernd und kniff die Augen leicht zusammen.

Etwas irritiert schaute ich ihn an. Unterstellte er mir da gerade etwas? Dachte er etwa, dass ich den Körper von Nicky... oh mein Gott! Was dachte mein Bruder denn da von mir? Entsetzt starrte ich ihn an.

„Wenn du es genau wissen willst... der Geist von Nicky hat mich letzte Nacht angegriffen", klärte ich ihn schnell auf und fasste mir beinahe automatisch an die Brust. Die Kälte, die sich in mir ausgebreitet hatte, als sie mich berührt hatte, war immer noch spürbar.

„Warte... du wurdest von ihrem Geist vermöbelt?", fragte er leicht amüsiert und hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen.

„Nein! Ich hatte alles im Griff und..."

„Du wurdest von ihr aufs Kreuz gelegt. Und wäre ich nicht gekommen und hätte sie nicht mit meiner Spezialsalzmischung erwischt, dann wärst du vermutlich ein Eisklotz", stellte Bobby klar, als er gerade durch die Tür schritt und mich kopfschüttelnd ansah.

Sam senkte den Blick und lächelte in sich hinein, während ich empört zwischen den beiden Männern hin und her sah. Großartig! Der eine dachte, dass ich ein Perverser war, der sich an toten Frauen vergriff, und der andere von ihnen war der Meinung, dass ich ein unfähiger Kämpfer war und mich von so einem lächerlichen, kleinen Geist töten lassen könnte.

„Wer solche Freunde hat...", murmelte ich augenverdrehend und stieß genervt die Luft aus. „Und nur, um das klarzustellen... ich war hackedicht und meine Reaktion war deshalb auch etwas eingeschränkt!", rechtfertigte ich mich und verschränkte die Arme eingeschnappt vor der Brust, ehe ich beiden nacheinander eindringlich ansah.

„Ach, mach dir nichts vor, Dean! Wärst du nüchtern gewesen, dann hättest du dich genauso wenig gewehrt", brummte der ältere Jäger und rückte sich die löchrige Kappe zurecht.

„Auf was willst du hinaus, Bobby?", fragte ich gereizt.

„Du hättest es nicht übers Herz gebracht, ihr wehzutun, auch wenn sie bereits tot ist."

„Du weißt gar nicht, wovon du sprichst", murmelte ich und stieß mich vom Tisch ab, um aufzustehen. Der Stuhl, auf dem ich gerade noch gesessen hatte, fiel zurück und krachte auf den Boden.

Sam sah mich mit zusammengekniffenen Lippen an und seinem Blick zu urteilen, stimmte er Bobby wohl zu. Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch ich bekam keinen Ton heraus. Was sollte ich denn sagen? Die beiden hatten, auch wenn ich es ungern zugab, recht. Ich hätte Nicky nie wehtun können und die Tatsache, dass sie tot war, änderte nichts daran.

Seufzend fuhr ich mir durchs Gesicht und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein Flügelrauschen ließ uns drei in die gleiche Richtung schauen. Ein kleines, hoffnungsvolles Lächeln bildete sich auf meinen Lippen.

„Cas", flüsterte ich und umarmte meinen geflügelten Freund zur Begrüßung.

„Es ist schön, dich zu sehen, Dean", sagte er lächelnd und klopfte mir auf den Rücken.

„Und was ist mit uns? Sind wir Kartoffeln, oder was?", beschwerte sich Bobby und auch Sam schüttelte gespielt empört den Kopf.

„Wieso solltet ihr Kartoffeln sein?", fragte der Engel etwas verwirrt und blickte zwischen den beiden hin und her.

„Oh Mann, bringt ihr ihm denn gar keinen Sinn für Humor bei?", brummte Bobby und schaute uns vorwurfsvoll an.

„Glaub mir, wir haben es versucht, aber es ist hoffnungslos", seufzte Sam und verzog seine Lippen zu einem kleinen Lächeln.

„Hör nicht auf die beiden, Cas! Du bist genau richtig", beruhigte ich den Engel und warf meinen Freunden einen ernsten Blick zu. Sie wussten genau, dass der Engel sich etwas schwertat, was die emotionale Ebene betraf und trotzdem zogen sie ihn damit auf. Das fand ich wirklich gar nicht nett von ihnen, denn nur ich durfte unseren, oder besser gesagt, meinen Engel damit aufziehen. Apropos nicht nett. Wo steckte eigentlich Gabriel?

„Wo ist eigentlich unser Witzbold?", fragte ich Cas und versuchte, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Er schüttelte leicht verwirrt den Kopf und sah mich dann an. Bevor er antworten konnte, war erneut ein Flügelrauschen zu hören und Gabriel stand, wie bestellt, neben uns.

„Jemand hat nach mir gerufen", grinste er und sah mich augenzwinkernd an.

„Wieso bist du so dreckig?", fragte Sam und deutete auf die schmutzigen und mit Schlamm durchtränkten Hosenbeine des Erzengels.

„Versuch du mal, einen Asteroiden zu beschaffen, der mitten in einem Schlammloch liegt und umgeben ist von ekligen Viechern wie Mücken und Spinnen und..."

„Komm mal wieder runter! Wofür brauchst du denn einen Asteroiden?", unterbrach ich den Redeschwall des Engels und hob beruhigend die Hand.

„Na, für was wohl? Ich brauch ihn für deine kleine Freundin, damit ich sie zurückholen kann. Das ist eine schwierige Prozedur und nicht so ein Zuckerschlecken, wie du dir das vorstellst!", blaffte er mich an.

„Wir sind doch auch schon öfters zurückgeholt worden und da war das nie so aufwendig", meinte Sam und zuckte mit den Schultern. Gabriel drehte sich zu Cas und sah ihn mit geweiteten Augen an.

„Wie hältst du das aus?", fragte er und verdrehte die Augen.

„Man gewöhnt sich daran", sagte Castiel und nickte beiläufig.

Man gewöhnt sich daran? Was sollte das denn heißen? Irritiert und beinahe leicht gekränkt zog ich eine Schnute und warf meinem Bruder einen nachdenklichen Blick zu. Auch Sam verzog etwas ratlos das Gesicht und schien zu überlegen, was unser Engel damit ausdrücken wollte.

„Ähm, Jungs... könnten wir uns bitte wieder auf unseren Fall konzentrieren?", mischte sich Bobby ein und holte uns alle wieder ins Hier und Jetzt zurück. Der Fall? Ach, er meinte Nicky. Ja, das war eine gute Idee!

„Kann ich mich vorher noch schnell umziehen?", presste Gabriel leicht gereizt zwischen den Zähnen hervor, als er an sich hinunterblickte.

„Nein!", riefen Sam und ich fast gleichzeitig.

„Na schön!", meinte der Engel und zog einen Steinbrocken aus seiner Hosentasche. Wie konnte dieses Ding denn in seiner Hose Platz haben? Er platzierte den Stein auf den Tisch und fing an, noch mehr Sachen auf die Tischplatte zu legen. Einige Momente später lagen dutzende und teilweise echt seltsame Dinge vor uns.

„So... nun fehlt nur noch der Körper", sagte er und sah mich auffordernd an.

Nach kurzer Überlegung, was er denn nun genau von mir wollte, deutete ich Bobby, mir zu folgen und wir gingen gemeinsam in den Keller, um den Körper von Nicky zu holen. Auch wenn ich sie locker allein hätte tragen können, wollte ich nicht ohne Begleitung in den Keller. Ich hatte ehrlich gesagt keine Lust, wieder von ihr angegriffen und fast getötet zu werden. Ein ungutes Gefühl kam in mir hoch, als wir vor der Tür zum Schutzraum standen und ich meine Hand zögernd auf den Öffner legte. Mit einem kräftigen Ruck öffnete ich die Tür. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Der Raum war leer.

„Was soll das?", fragte ich Bobby zögernd und sah mich um.

„Ich habe die Leiche genau dort hingelegt!", sagte er unruhig und deutete auf die Pritsche, die sich in der Mitte des Raumes befand.

„Ich versteh das nicht! Was geht hier vor zum Teufel?", zischte ich und fuhr mir aufgebracht übers Gesicht. Was war hier los? Die Leiche konnte sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben! Oder etwa doch? Nein, das war nicht möglich!

„Dean!", schrie Sam vom Obergeschoss und seiner Stimme zu urteilen, schien irgendetwas nicht in Ordnung zu sein. Bobby und ich warfen uns einen gehetzten Blick zu und rannten die Treppe nach oben.

„Sam! Was ist...", fing ich an, doch ich stoppte. Das konnte doch wohl nicht wahr sein!

„Crowley", brummte Bobby und stellte sich neben mich.

„Was willst du hier und wo hast du Nicky hingebracht?", fragte ich ihn gereizt und stapfte auf ihn zu. Ich packte ihn am Kragen seines schicken Trenchcoats und drückte ihn gegen die alte, abgewetzte Küchenzeile.

„Ganz ruhig, Tiger", brummte er und stieß mich von sich weg. Er rückte seinen Mantel zurecht und schüttelte sich leicht. Der „Deal ist ungültig und somit ist die ganze Sache erledigt", meinte er ruhig.

„Was soll das heißen?", fragte Sam und zog eine Augenbraue nach oben.

„Während ihr euch hier unterhaltet, werde ich mich mal verziehen und mich neu einkleiden. Meine Dienste werden wohl nicht mehr gebraucht", murmelte Gabriel beiläufig und im nächsten Moment war er verschwunden.

„Euch ist doch sicher aufgefallen, dass ich für eine kurze Zeit untergetaucht bin, oder?", fragte er ruhig und sah zwischen uns hin und her.

„Ja, das ist uns durchaus aufgefallen", meinte Sam leicht gereizt. Ich konnte ihn nur zu gut verstehen, denn ich war auch mehr als angepisst wegen diesem Dämon.

„Ich habe einige Dinge wieder geradegebogen und das hat nun mal seine Zeit gebraucht", erklärte er noch immer mit ruhiger Stimme und schnipste sich nebenbei ein Staubkorn von der Schulter.

„Was soll das heißen?", bohrte ich nach.

„Ich hab einen kleinen Trip in die Vergangenheit unternommen und James davon überzeugt, keinen Deal mit mir einzugehen."

„Was? Nein, das kauf ich dir nicht ab! Warum solltest du das tun?", fragte ich ungläubig und schüttelte den Kopf. Das war nicht möglich! Crowley würde so etwas nie tun. Seelen zu sammeln war ihm viel wichtiger als alles andere.

„Reiner Eigennutzen! Wenn James keinen Deal macht, dann wird seine Tochter nicht auf ihrer Jagd nach Rache draufgehen und ihr zwei in Jeansstoff verpackten Albträume werdet mich nicht für den Rest meines oder eures Lebens damit nerven!", schrie er aufgebracht. Sein rechtes Auge zuckte vor Wut.

„Und jetzt was? James hat den Deal nie gemacht?", fragte Sam nach und legte seine Hand überlegend an sein Kinn. Crowley schüttelte den Kopf. Moment mal. Wenn James den Deal nie gemacht hat, dann wurde Nicky doch auch nie geheilt und das bedeutete...

„Ist sie tot?", fragte ich traurig und schluckte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, hinunter.

„Es wäre mir zwar ein leichtes gewesen, dieses Miststück sterben zu lassen, aber dann wärt ihr zwei auch ziemlich sauer auf mich gewesen und ehrlich gesagt, habe ich darauf keine Lust", seufzte er und legte seinen Kopf zur Seite. „Sie lebt ein relativ normales und unauffälliges Leben in Minatare", fügte er hinzu und lächelte leicht triumphierend.

„Ein normales Leben? Heißt das etwa, dass sie keine Jägerin mehr ist?", fragte ich irritiert.

„Sie ist nie Jägerin gewesen und kann sich an euch auch nicht erinnern, denn ihr seid euch nie begegnet"

„Warte... was? Sie kann sich an die letzten ein oder fast zwei Jahre nicht erinnern?", fragte ich verwirrt.

„Du verstehst das nicht ganz, mein dümmlicher Freund. Sie kann sich schon an die letzten Jahre erinnern, doch ihr beiden kommt darin nicht vor, denn ihr existiert nicht in ihrem Leben."

„Du hast die Vergangenheit und damit auch die Zukunft verändert", stellte Cas fest und sah den Dämon kopfschüttelnd an. „Du weißt genau, dass das katastrophale Folgen haben kann."

„Ach, tu nicht so scheinheilig! Du bist doch der Oberpfuscher, was die Veränderung der Zeit und Schicksale der Menschen angeht!", zischte er den Engel an und verdrehte die Augen.

„Können wir bitte wieder zum Thema zurückkommen? Was ist denn jetzt mit Nicky?", warf Sam ein und legte seine Stirn in Falten.

„Sie lebt und das wolltet ihr doch auch, oder?", meinte der König der Hölle und zuckte mit den Schultern.

„Ja, schon, aber wir wollten auch, dass sie mit uns in einer Realität lebt und nicht in einem Kaff ohne Wissen an ihr eigenes Leben!", fuhr ich ihn an. Er hob die Hände beschwichtigend nach oben.

„Wenn euch das nicht gefällt, dann kann ich es auch rückgängig machen und es wird alles wieder so, wie es vorher war... nur, dann ist sie halt tot und wird auch nicht mehr wiederauferstehen", sagte er achselzuckend und schnaubte verächtlich aus. „Ihr habt vierundzwanzig Stunden, um euch zu überlegen, was ihr wollt." Kaum hatte er zu Ende gesprochen, war er schon verschwunden.

„So ein Mistkerl!", schrie ich wütend und ballte meine Hand zu einer Faust, ehe ich sie gegen die Wand schlug. Ein kurzer, stechender Schmerz durchzog meinen Arm, doch ich ignorierte es.

„Was willst du tun?", fragte Bobby zögernd und sah mich nachdenklich an. Auch Sam legte seinen Kopf zur Seite und grübelte vor sich hin.

Gute Frage. Was wollte ich tun? Gab es denn etwas, das wir oder besser gesagt ich tun konnte? Die Hauptsache war doch, dass sie lebte und das tat sie auch. Vielleicht war es auch besser so. Sie lebte nun ein ruhiges und vor allem normales Leben ohne Gefahren und Monster. Das war doch gut. Oder?

Mit einem Mal spürte ich einen kurzen, aber heftigen Schmerz in meiner Brust. Es war mein Herz. Wüsste ich es nicht besser, dann würde ich glauben, dass es gerade gebrochen wurde. Aber wusste ich es denn besser? Auch wenn ich die Kleine noch nicht lange kannte, war sie mir doch ans Herz gewachsen. Die Tatsache, dass ich sie für immer verloren hatte, verschlug mir den Atem.

Nein! Ich konnte mich nicht damit abfinden! Ohne noch länger nachzudenken, griff ich meine Jacke, die an einem rostigen Nagel neben der Eingangstür hing, und warf sie mir über die Schultern.

„Schwing deinen Arsch in den Wagen, Sammy, wir holen uns unsere Kleine zurück!"

Nicky Jones und die Jagd nach Rache ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt