Nachhilfe Kapitel 1

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P.O.V.   Tobi
„ Leute stellt bitte eure Gespräche ein, dass ist unhöflich. Das ist euer neuer Kursteilnehmer. Stell dich am besten einfach selbst kurz vor.", meinte unsere Deutschlehrerin zu dem Jungen neben sich. Gelangweilt wand ich meinen Blick wieder auf den Zeichenblock auf meinem Tisch und zeichnete nun den Jungen, der den Schirm halten sollte. Dem neuen hörte ich nur mit halbem Ohr zu. Ich hatte kein Interesse daran, ihn näher kennen zu lernen. „ Ja also ich bin Rafael, siebzehn Jahre alt und erst vor kurzem nach Deutschland gezogen. Eigentlich komm ich aus Österreich. Ich werde versuchen möglichst hochdeutsch zu reden, aber der leichte Dialekt wird bleiben. Außerdem bin ich extrem schlecht in Chemie. Wäre also nett, wenn mir da jemand unter die Arme greifen könnte." Das mit dem Dialekt hörte man wirklich stark heraus, klang aber dennoch verständlich. Alle im Raum begannen zu lachen, selbst unsere Lehrerin. Was war bitte so lustig daran, dass er kein Chemie konnte? Ich fand's nichts lustig, aber ich hätte auch so keinen Laut von mir gegeben. „ Keine Sorge, unser Kursbester in Chemie wird dir sicher helfen. Du und Tobias können das sicher nach der Stunde gleich klären." Bei meinem Namen zuckte ich zusammen und sah erschrocken nach vorne. Das konnte sie mir nicht antun. Zumal sie nicht mal gefragt hatte, ob ich das will. Denn das wollte ich nicht. Und zwar so gar nicht. Nachhilfe bei einem Fremden? Allein schon bei dem Gedanken daran graute es mir davor. Deswegen rief ich auch einfach rein, was ich normal nie tat. „ Ich werde keine Nachhilfe geben. Ich hab erstens keine Zeit und zweitens haben sie mich nicht mal gefragt, ob ich das will." Eigentlich versuchte ich möglichst laut zu reden, doch die Worte kam nur leise und mit viel zu piepsiger Stimme von mir. Wunderte mich, dass man mich vorne überhaupt verstand. Während alle Blicke meiner Mitschüler mich erstaunt anschauten, wahrscheinlich weil sie mich noch nie mehr als ein paar Wörter am Stück hatten reden hören, die nichts mit dem Unterricht zu tun hatten, sah meine Lehrerin mich nur mahnend an. „ Nach der Stunde bleiben Sie noch hier. Und Rafael, Sie können dem Gespräch gerne beiwohnen. Jetzt setzen Sie sich bitte, damit ich den Unterricht weiterführen kann." Ich sah mich im Klassenzimmer um. Es gab zwei freie Plätze. Einer neben mir und der andere neben Finn. Leider steuerte er nicht den neben Finn an, sondern den neben mir. Ich warf ihm einen versucht finsteren Blick zu und deutete ihm, sich dort drüben hin zu setzen. Doch mein Wunsch wurde mir nicht erfüllt und er ließ sich neben mir auf den Stuhl fallen. Ich seufzte kaum hörbar auf und rutschte weiter weg von ihm. Er sollte ja nicht auf sie Idee kommen, mich an zu sprechen. Meine Lehrerin fing an, einen Aufschrieb an die Tafel zu kritzeln, der im entferntesten etwas mit dem Buch zu tun hatte, welches wir gerade lesen. Das drecks Buch, von dem ich nicht mal die hälfte verstanden hatte, hatte ich gleich am ersten Tag durchgelesen, damit ich es weg hatte. Mehr brauchte man aber eh nicht verstehen, um eine gute Note zu schreiben. Missmutig fing ich an, das Gekritzel zu entziffern und ab zu schreiben. Zumindest wollte ich das. Denn ich wurde davon abgehalten. „ Fändest du es wirklich so schlimm, mir Nachhilfe zu geben?", kam es von dem Jungen rechts von mir. Seinen Namen hatte ich schon wieder vergessen. Das war eine Sache, die ich mir leider extrem schlecht merken konnte. Ich beschloss ihn einfach zu ignorieren und mich auf den Aufschrieb zu konzentrieren. Wenn er merkte, dass ich kein Interesse an einem Gespräch hatte, würde er mich sicher in Ruhe lassen. So musste ich nicht mit ihm reden. Hatte ich mir zumindest so gedacht. „ Kannst du mir wenigstens ne Antwort geben?" Einfach ignorieren, dann hört er auf. Wiederholte ich in Gedanken immer und immer wieder. Man merk doch bitte, dass ich schüchtern bin und nicht reden will. So viel Menschenkenntnis solltest du doch haben. „ Ok ich hab verstanden, dass du keinen Bock hast, mir Nachhilfe zu geben. Aber das kannst du mir auch freundlich sagen. Du musst mich nicht so behandeln, als würdest du mich gleich verprügeln." Langsam platzt mir echt der Kragen. Normal würde ich keinen meiner Mitschüler so anfahren, dazu war ich zu schüchtern. Doch bei ihm konnte ich gerade nicht anders. „ Gut erkannt Sherlock, ich hab keinen Bock auf Nachhilfe. Und jetzt lass mich bitte in Ruhe.", zischte ich ihm genervt zu und hasste mich selbst für das deutliche Zittern in meiner Stimme. „ Tobias möchten sie der Klasse nicht mitteilen, was Sie gerade mit ihrem Sitznachbarn besprochen haben? Es war doch sicher etwas, was uns eine neue Erkenntnis verschaffen kann." Na Bravo, dass hast du ganz toll hinbekommen. Idiot. Ich sah kurz zur Tafel. Danke dafür, dass sie die Frage aufgeschrieben hatte. Es kam selten vor, dass Sie dies nicht tat. „ Ich gehe davon aus, dass sie auf die psychische Disposition des Protagonisten hinaus wollen. Seine Stimmung schwankt immer zwischen manischen Phasen und den depressiven. Seine depressiven Phasen und die Sehnsucht und der Liebeskummer zur Protagonistin treiben ihn schließlich in den Selbstmord.", gab ich nach kurzem überlegen von mir. Meine Stimme war immer noch ziemlich leise und zitterte leicht. Meine Lehrerin gab sich damit zum Glück zufrieden und ließ mich die restliche Stunde in Ruhe. Dafür hatte ich noch ein anderes Problem direkt neben mir. „ Wenn du mir schon keine Nachhilfe geben willst, kannst du mich dann wenigstens in dein Buch mit reinschauen lassen?", fragte er, als es darum ging eine Textstelle noch einmal zu lesen und irgendwas daraus zu interpretieren. Wortlos zog ich mein Buch aus meiner Tasche und legte es ihm hin. Anfangs hielt er es noch in der Mitte, damit ich auch was hätte sehen können, er merkte dann aber ziemlich schnell, dass ich nicht mit rein sah und zog es zu sich.

Ich war noch nie so dankbar, dass die Doppelstunde Deutsch endlich vorbei war. Ich schmiss meinen Block und mein Mäppchen in meine Tasche und wollte dann so schnell wie möglich aus dem Raum zu den Physiksälen flüchten. Doch meine Lehrerin bemerkte das anscheinend. „ Tobias haben Sie nicht noch was vergessen?", mahnte Frau Stephan streng, als ich schon fast aus der Tür draußen war. Gekonnt ignorierte ich es und verschwand vollends aus dem Raum. Normal widersetzte ich mich den Lehrern nicht, aber das hier konnte keine Konsequenzen nach sich ziehen, also erlaubte ich es mir mal. Ich warf meine Tasche vor den Physiksaal und ging dann nach draußen auf den Pausenhof, wo ich bereits Stegi ausmachen konnte. Er sah mich schon von weitem und zog mich als ich bei ihm war, in eine kurze Umarmung. „ Na wie war deutsch so?", fragte er interessiert. Wahrscheinlich sah man mir an, dass etwas passiert war, worüber ich reden wollte. „ Glaub's oder glaub's nicht, aber meine Lehrerin wollte mich zu Nachhilfe bei dem neuen verdonnern. Ich hab abgeblockt und Sie war dezent genervt von mir. Kapiert die den nie, dass ich schüchtern bin.", murmelte ich in die Umarmung. „ An deiner Stelle würde ich mal ganz schnell lernen unsichtbar zu werden. Frau Stephan kommt mit ziemlich wütendem Gesicht auf dich zu.", flüsterte er mir zu und deutete unauffällig nach hinten. Aus dem Augenwinkel sah sich Sie wirklich auf mich zukommen. Und Sie schien mich auch schon entdeckt zu haben, so zielstrebig wie sie in meine Richtung lief. Ich löste mich schnell von Stegi und versteckte mich leicht hinter ihm. „ Mitkommen und zwar sofort, sonst haben Sie ein Gespräch beim Schulleiter gewonnen." Da ich das dann doch nicht wollte, nickte ich mit gesenktem Blick und folgte ihr. Mein Blick wanderte Hilfesuchende zu Stegi, der mir nur aufmunternd zulächelte, gleichzeitig aber hilflos mit den Schultern zuckte. Ich war also auf mich allein gestellt. Vor dem Physiksaal wartete bereits der neue. Ganz klasse, der fehlt mir gerade noch. „ Frau Stephan lassen Sie ihn. Er hat mir deutlich gemacht, dass er mir keine Nachhilfe geben wird. Es gibt doch sicher noch ein paar andere gute Schüler, von denen mir jemand Nachhilfe geben kann." Zum ersten Mal an diesem Tag, war ich ihm dankbar, dass er versuchte mich aus der Sache raus zu halten. Auch wenn er das sicher nicht aus Mitleid tat. Wahrscheinlich hatte er keinen Bock auf meine, wie es auf ihn wirken musste zickige Art. „ Nein, ihr werdet das zusammen ausprobieren. Tobias findet so schon keinen Anschluss und wenn er alles und jeden abblockt, wird er den auch niemals finden. Haben sie beide morgen nach der sechsten Stunde Zeit?" Geschlagen nickte ich. Je schneller er es kapieren würde, desto schneller wäre ich ihn auch wieder los und hätte meine Ruhe. Würde ich halt ein paar Monate durch meine persönliche Hölle gehen. Ihn sah ich dann auch etwas zögernder nicken. „ Na schön. In Raum sechshundertsechs. Wehe Sie kommen nicht, dann werde ich bei ihren Eltern anrufen und sie einbestellen." Damit entließ sie uns endlich. Ich verschwand so schnell es ging wieder nach draußen. Da ein Gespräch mit Stegi gerade das letzte war, was ich wollte, verzog es mich auf die Wiese, wo ich mich gegen einen Baum gelehnt runter gleiten ließ und die restliche Pause verbrachte. In Physik wollte Stegi mit mir reden, doch ich konnte ihm schnell deutlich machen, dass ich keine Lust hatte. Auf dem Nachhauseweg erzählte ich ihm dann, was meine Lehrerin beschlossen hatte. Stegi schaffte es mich wieder auf zu muntern und auf andere Gedanken zu bringen. Zumindest für den Moment.

Nachhilfe Venation FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt