Nachhilfe Kapitel 19

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Ein Raunen ging durch den gesamten Kurs. Fassungslos war ich mitten auf dem Weg stehen geblieben und starrte auf den Boden. So schnell war man den Posten des Kursbesten in Chemie los und Lachnummer der ganzen Stufe. Das war doch nicht gerecht. Das meine Leistung gerade nicht das gelbe vom Ei war, wusste ich selber, aber wenigstens fünf Punkte waren drin. So wenig Punkte gab sie mir nur deshalb, weil ich nicht nach ihrer Pfeife Nachhilfe gegeben hatte. Die Tränen unterdrückend wollte ich zurück zu meinem Platz laufen, doch ich wurde aufgehalten. „ Finden Sie das eigentlich ok, was Sie da mit Tobi anstellen? Nur weil Sie ihn nicht mögen, müssen Sie noch lange nicht bei jeder Gelegenheit Tobi schlecht da stehen lassen. Tobi ging's am Wochenende ziemlich beschissen und ihm geht es jetzt auch noch nicht gut. Also lasen Sie ihn verdammt noch mal in Ruhe. Und wenn Sie schon unbedingt ne Note auf den Vortrag geben müssen, dann bitte auch eine korrekte. Drei Punkte sind zu wenig für das, was er gemacht hat.", verteidigte mich Rafi. Ich war ihm so unendlich dankbar. Gleichzeitig war es mir aber überaus unangenehm. Schweigen und keine Aufmerksamkeit erregen war mir in solchen Situationen doch lieber. Den Schaden so gering wie möglich halten und niemanden mit rein ziehen. Meist hatte man dann ziemlich schnell wieder seine Ruhe. Das hatte ich aus jahrelanger Erfahrung gelernt. Ungern versuchte ich mich gegen andere durchzusetzen, wenn ich mich nicht wirklich ungerecht behandelt fühlte. Es war dumm, dass wusste ich. Aber mir ging es damit besser. „ Das ist mir grad egal. Wenn es Tobi nicht gut geht, dann sollte er daheim bleiben. Ist er aber nicht und Noten machen darf ich noch. Und die Leistung kann ich einfach nicht gut bewerten. Die Aufgaben waren nicht vollständig gelöst und Erklärung kam auch keine.", kam es ganz sachlich von ihr. Hier lag also das Problem. In der Theorie könnte ich die noch machen, aber ich hatte keine Kraft mehr dazu. Mit den drei Punkten hatte ich mich eh schon abgefunden und all zu schlimm war es nun auch wieder nicht. Man musste ja nicht perfekt sein. Ich sollte eh aufhören, diesen möglichst guten Schnitt zu erreichen. Damit hatte ich mich schon genug selbst zerstört. Mein Körper funktionierte nun mal nicht wie eine Maschine und hatte Grenzen. Und auch wenn ich diese nicht immer akzeptieren wollte, musste ich es jetzt wohl. „ Schon mal was von Nachsicht gehört?", fragte Rafael mehr als gereizt. Ich legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. Er sollte aufhören sie auch noch an zu stacheln. Ne Strafarbeit wollte ich nicht machen und er sollte auch keine bekommen, nur weil er mich verteidigen wollte. Den Ausrutscher konnte ich mir alle mal leisten. Wenn es nicht noch mal vorkam hätte ich die fünfzehn Punkte immer noch sicher. Und so wichtig war es mir dann auch nicht, ob da am Ende fünfzehn, vierzehn oder dreizehn Punkte standen. Studieren konnte ich damit trotzdem noch so gut wie alles, was ich wollte. Es reichte aus, wenn sie mir mein Leben zur Hölle macht. „ Wenn Sie meinen, dass die Note ungerecht ist, dann kommen Sie doch nach vorne und erklären, was passiert ist und vervollständigen die zweite Aufgabe. Die Notenpunkte kriegt dann Tobias angerechnet.", bot sie mit einem selbstgefälligen grinsen an. Sie wusste, dass er schlecht in Chemie war und ihm einiges an wissen fehlte, weshalb er nicht viel rausholen könnte, nur deshalb bot sie das an. Würde sie mit jemand gutem diskutieren, hätte sie das nie und nimmer angeboten. Eine gute Note wollte sie mir einfach nicht gönnen. Mein Abitur korrigierten zum Glück nicht nur sie, da konnte sie mir nichts versauen. „ Lass es bleiben. Meine Note ist mir eh egal.", versuchte ich ihn weiter zu beruhigen und davon ab zu halten, etwas dummes und unüberlegtes zu tun. Frau Stephan würde ihn da vorne fertig machen und alles dafür tun, dass ich kaum Punkte bekam. Das sollte er sich selbst nicht antun. Bei ihm fehlte eh wissen der letzten Jahre und dass wusste sie natürlich auch. Und das wissen gegen mich zu verwenden traute ich ihr zu. Klar es war nicht gerecht und ich könnte mich beschweren, aber was bringt es mir. All zu viel mehr konnte ich nicht mehr rausholen, dass würden auch andere Lehrer so sehen. „ Mir aber nicht. Ich kann es vielleicht nicht perfekt erklären, aber ein bisschen was von den letzten Stunden ist hängen geblieben. Damit kann ich dich vielleicht auf acht Punkte hoch ziehen.", gab er ruhig von sich. Oh mein Gott war das süß von ihm. Wenn ich gekonnt hätte, würde ich ihn jetzt abknutschen, aber wir standen hier vor dem gesamten Chemiekurs und das war mir dann doch unangenehm. Eine Blamage hatte ich heute schon, eine zweite wollte ich definitiv nicht. Auch wenn ich zu Rafi stand und das am liebsten auch zeigen wollte. Ich mochte es einfach nicht im Mittelpunkt zu stehen. Gesprächsthema Nummer eins der ganzen Schule wollte ich auch nicht sein. Damit konnte ich nicht umgehen. „ Nein. Ich will nicht, dass sie dich auch noch auf dem Kicker hat. Lass sein. Ist besser für uns beide.", versuchte ich ihn davon ab zu halten und er schien ein zu lenken. Erleichterung machte sich in mir breit. Er meinte es nur gut und das wusste ich auch, aber er sollte es lassen. „ Gut aber nur weil du es willst.", gab er ein wenig zwiegespalten von sich und setzte sich wieder hin. Entmutigt ließ ich mich in der letzten Reihe neben ihm fallen. Demotiviert sackte ich zusammen, sodass mein Kopf fast auf der Tischplatte lag und schaltete innerlich ab. Was jetzt noch passierte war mir scheiß egal. Schlimmer konnte es eh nicht mehr werden. Wieso nochmal hatte ich nicht auf Stegi gehörten war daheim geblieben? Dann müsste ich mir das nicht antun. Die Stunde zog an teilnahmslos an mir vorbei. Sie musste mich zwei oder drei mal was gefragt haben, aber ich hatte kein Mal reagiert. Ich hätte es nicht mal gemerkt, wenn Rafi mich leicht angestupst hätte. Alles um mich herum war wie ein leises verschwommenes Hörspiel, dem ich kein bisschen folgen konnte. Der Tag würde die Hölle werden.

Nachhilfe Venation FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt