Die nächste Stunde in Verteidigung gegen die Dunklen Künste wurde schon sehnlichst erwartet, man lauerte darauf, Zauber zu lernen, mit denen man sich vor Sirius Black schützen konnte.
Zur allgemeinen Enttäuschung kam statt Lupin jedoch mein Pate ins Klassenzimmer. Ich konnte nicht sagen, dass ich sonderlich traurig über den anderen Lehrer war. Ich hatte immer noch das Gefühl, dass Lupin mich mit meinem Onkel über einen Kamm scherte uns womöglich sogar für seine Komplizin hielt. Die Situation würde nun sicherlich nicht besser sein, da nahezu die gesamte Schule mich im Verdacht hatte. Er würde jetzt wohl erst recht an meine Schuld glauben.
Severus begann die Stunde damit, dass er Harry Punkte abzog, als der etwas verspätet dazustieß.
„Wenn Sie sich nicht augenblicklich hinsetzen, verzehnfache ich die abgezogenen Punkte nochmal", drohte er und brachte Harry dazu, sich auf seinen Platz zu begeben. Seine Abneigung machte er aber durch betont langsames Schlendern deutlich.
„Wie ich gerade sagte, als wir so rüde von Mr Potter unterbrochen wurden, hat Professor Lupin keinerlei Verweise auf bisherigen Unterricht hinterlassen, obwohl die Verhinderung keineswegs kurzfristig kam."
„Ich dachte, er sei krank?", fragte Ron nach.
„Sie haben sich nicht gemeldet, Weasley!", stellte Severus mit blitzenden Augen fest. „Aber weil ich heute gut gelaunt bin, belassen wir es bei einem Abzug von – sagen wir fünf Punkten."
Entsetzt öffnete Ron seinen Mund zum Protest, besann sich dann aber eines Besseren. Sonst hätten wir bereits zwanzig Punkte innerhalb einer Unterrichtsstunde verloren.
„Da ich folglich nicht im Bilde über Ihren bisherigen Wissensstand bin, beginnen wir einfach von hinten." Der Blick meines Paten glitt über die trotzige Klasse und blieb etwas länger an mir hängen. Ich machte ein betont wütendes Gesicht. Er sollte bloß nicht denken, dass er meine Mitschüler so behandeln durfte. Leider konnte ich mich ihm nicht offen widersetzen, im Unterricht wurde mir dabei keine Sonderbehandlung zuteil.
„Werwölfe", kündigte er das heutige Thema an. „Schlagen Sie nun alle Seite dreihundertvierundneunzig auf."
Nichts passierte. Die meisten hatten noch nicht einmal ihre Bücher auf dem Tisch, da Lupin so oft praktisch arbeitete.
„Augenblicklich!", blaffte er. „Wodurch unterscheiden sich Werwolf und richtiger Wolf?"
Außer Hermine meldete sich niemand. Wir hatten weder das Kapitel als Vorbereitung auf die heutige Stunde gelesen, weil es unwahrscheinlich war, mit dem letzten Teil zu beginnen, noch hatte er uns Zeit gelassen, um die Seiten jetzt in der Stunde zu lesen.
„Niemand von Ihnen?", spottete er und ignorierte Hermines Meldung eiskalt. Eva und ich wechselten einen genervten Blick.
„Wieso fragen Sie überhaupt, wenn Sie es doch gar nicht wissen wollen?", fragte Ron laut.
„Wieder keine Meldung! Das verlangt nach einer Strafarbeit! Und Mr Weasley, wenn Sie weiterhin die Lernfähigkeit einer Amöbe aufweisen, dann muss ich mich doch sehr fragen, wie Sie es überhaupt so weit geschafft haben."
Ron kochte vor Wut, hielt aber den Mund. Ein schmallippiges Lächeln zierte das Gesicht unseres Vertretungslehrers.
„Ich hatte erwartet, dass eine dritte Klasse diesen Unterschied kennt! Sie müssen wirklich meilenweit hinter dem Lehrplan her sein, davon muss ich Professor Dumbledore berichten. Solche Wissensmängel sind nicht tolerierbar."
„Sir, aber wir waren noch nicht so weit!", platzte es aus Dean heraus. „Professor Lupin ist der beste Lehrer, den wir je in Verteidigung hatten!"
Die Augen meines Paten verengten sich, als er meinen festen Freund ansah. In der Vergangenheit hatte er mehrfach klargemacht, wie wenig er von ihm und meiner Beziehung zu dem Muggelstämmigen hielt. Dass er ihm so offen widersprochen hatte, kam ihm da ganz gelegen.
„Ich kann mich nicht erinnern, wann Sie sich gemeldet haben und ich Ihnen das Wort erteilt habe, Mr Thomas", sagte er genüsslich und grinste fies. Ich versuchte noch, seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, bevor er Dean bestrafte. Leider vergeblich. „Nun, da ist eine Strafarbeit doch recht angebracht, denke ich. Zudem können Sie wohl kaum bewerten, was einen guten Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste ausmacht. Die bisherigen Exemplare taten sich nun nicht gerade durch Qualität hervor."
Na toll, eine Strafarbeit für Dean. Da würde sich mein Pate bestimmt etwas Fieses einfallen lassen. Vielleicht sollte ich versuchen, ihn umzustimmen, dann könnten wir unsere Strafarbeiten zumindest gemeinsam erledigen. Aber das würde Severus sicherlich nicht zulassen. Also schwieg ich, wenn auch widerwillig.
Mein Pate ließ uns das Kapitel abschreiben, während er in der Klasse herumlief und unsere alten Aufsätze ließ. Dabei ließ er kein gutes Haar an Lupins Bewertungssystem. Bei ihm wären wir wohl alle etliche Noten schlechter.
Nachdem das Läuten endlich das Ende der Stunde verkündet hatte, packten wir so schnell unsere Sachen zusammen, wie es nur ging. Niemand wollte länger bleiben, als unbedingt nötig, besonders nicht, wenn Severus es bereits so klar gemacht hatte, dass er heute extra schnell Punkte abzog.
„Weasley, Thomas, Black! Zu mir!", befahl er und winkte uns zu sich. Ron, Dean und ich wechselten einen genervten Blick.
„Nun, wir müssen uns doch noch eine Strafarbeit für Sie beide ausdenken", sagte er mit bösartig glitzernden Augen zu den Jungs. „Wie wäre es denn mit Bettpfannenschrubben im Krankenflügel? Das kann man doch nicht alles der armen Madam Pomfrey überlassen."
Rons Gesicht nahm jetzt schon eine grünliche Farbe an, aber Dean nickte tapfer. Mit den richtigen Zaubersprüchen würde das nicht lange dauern. Als hätte er meine Gedanken gehört, machte Severus aber sogleich die Hoffnungen auf ein schnelles Ende zunichte. „Selbstverständlich ohne den Einsatz Ihrer Zauberstäbe. Das wäre doch sonst sinnfrei."
Er entließ die beiden, wobei Ron sich kaum war er aus der Tür lauthals über die Strafaufgabe beschwerte. Dean sah eher besorgt aus. Scheinbar aber eher um mich, die noch im Klassenzimmer bleiben musste.
„Nora, angesichts des Beweises, dass Sirius Black sich aktuell in der Nähe des Schlosses aufhält, wäre es mir lieber, wenn du nun nicht mehr nach Hogsmeade gehen würdest", verkündete er und hatte den Anstand, so auszusehen, als ob ihm das leidtäte. „Dort sind die Sicherheitsvorkehrungen noch überwindbarer als hier. Zudem wollte er in deinen Gemeinschaftsraum und ist hinter dir her."
„Wäre die logische Konsequenz nicht einfach, ihn zu fangen, anstatt mir Auflagen zu erteilen?", hakte ich nach. Wer wusste schon, wann mein Onkel geschnappt werden würde und wie lange er mich deshalb zu einem Leben im goldenen Käfig verdammte? „Ich habe schließlich nichts getan."
Er neigte den Kopf. „Auf die Kompetenz des Ministeriums ist aber kein Verlass. Obwohl Black ein inkompetenter Vollidiot ist, den man wohl mit einem Spiegel als Köder fangen könnte. Ich möchte dich zu keiner Zeit einem Risiko aussetzen."
„Denkst du nicht, dass ein paar meiner Mitschüler nach der heutigen Stunde vielleicht Rachegelüste haben?"
Mein Pate wirkte nicht, als habe er sich schon einmal Gedanken darüber gemacht. Vermutlich war es ihm ganz neu, dass ich sein Verhalten gegenüber den Gryffindors nicht guthieß.
„Halte dich bitte einfach von Hogsmeade fern, ebenso wie von Lupin", ermahnte er mich mit dringlicher Stimme. „Bleib am besten auch stets in Gesellschaft."
„Damit Sirius Blacks Flüche nicht mich, sondern meine Freunde treffen? Geht es dir wirklich nur um meine körperliche Unversehrtheit?", fragte ich ihn spöttisch und rauschte mit einer gemurmelten Verabschiedung aus dem Klassenzimmer. Erst als ich am Abend im Bett lag, kam mir der Gedanke, dass er es vielleicht nicht so gemeint haben könnte. Vielleicht war es ihm um ein Alibi für mich gegangen.
DU LIEST GERADE
Eleonora Black und Askabans Gefangener ∥ Ⅲ ∥ Abgeschlossen
FanfictionDas dritte Schuljahr auf Hogwarts steht bevor. Eleonora Black hat nicht nur mit ihrem Status als Waise und dem Schulalltag zu kämpfen, zu allem Überfluss bricht auch noch ihr Onkel aus dem Zauberergefängnis aus. Sirius Black ist wieder auf freiem Fu...