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Alec


„Pass auf dich auf und komm nicht zu spät zurück.", ruft mir meine Mutter vom Wohnzimmer aus zu, während ich in meine Schuhe hineinschlüpfe. „Ja, immer doch.", lächle ich leicht und trete dann nach Draußen in die frische Luft. Friedlich spaziere ich in den Park, in dem ich fast täglich bin ... oder vermutlich eher nächtlich. Es wurde einfach zu einem Ritual. Da ich am Tag nicht raus darf, aber trotzdem manchmal an die Luft muss, habe ich mir diesen kleinen Spaziergang mit Lesepause angewohnt. Manche würden es nachts vielleicht gruselig finden, doch ich genieße die Ruhe. Den menschenleeren Park mit den paar Bäumen und Bänken.
Ich lasse mich auf meiner gewohnten Bank nieder und hole mein Lieblingsbuch hervor. Ich habe es bestimmt schon dutzende Male gelesen, aber es wird nicht langweilig und so muss ich mir auch kein neues suchen. Ruhig streiche ich über die Vorderseite des Hartbuchs und will es gerade auf die Seite aufschlagen, in der mein Lesezeichen steckt, als ich etwas höre. Schritte.

Verwirrt sehe ich auf und sehe eine männliche Gestalt eilig auf mich zugehen. Ich beschließe, sie einfach zu ignorieren und wende mich wieder meinem Buch zu. Der Mann geht an mir vorbei und dreht sich plötzlich doch wieder zu mir um. „Sie haben nicht zufälligerweise ein Handy, das sie mir kurz borgen könnten?", fragt er, was mich wieder zu ihm aufsehen lässt. „Ok, das klingt möglicherweise komisch. Ein gruseliger Mann, der dich mitten in der Nacht anspricht, um dir dein Handy zu stehlen. Aber so ist es nicht, versprochen. Es ist nur so, dass mein Akku leer ist.", holt der Fremde sein Handy aus der Hosentasche und hält es mir vor die Nase. Auf dem schwarzen Bildschirm ist nur das Batterie-Zeichen mit einem roten Balken.
„Ehrlichgesagt finde ich, dass es gruseligeres gibt.", gebe ich zu und hole ebenfalls mein Mobiltelefon hervor, um es ihm zu reichen. „Danke! Du bist meine Rettung!", lächelt er, tippt schnell eine Nummer ein und dreht sich leicht von mir weg.

Er hat Glück, denn normalerweise lasse ich mein Handy in meinem Zimmer. Aber da Isabelle, meine um ein Jahr jüngere Schwester, übers Wochenende bei einer Freundin übernachtet, habe ich es mitgenommen falls etwas sein sollte. Schließlich ist sie erst siebzehn ... oder ich übertreibe. „Danke nochmals.", gibt der Schwarzhaarige mir mein Mobiltelefon zurück und lässt sich neben mich fallen. Verwirrt werfe ich ihm einen Blick zu, während ich das Gerät in meiner Jackentasche verschwinden lasse. „Hier war doch noch frei, oder?", fragt er leicht schüchtern. Ich nicke und widme mich wieder meinem Buch.
„Was liest du?", rutscht der Unbekannte ein Stück näher, was ein wohliges Gefühl in meinem Körper auslöst. „Stolz und Vorurteil.", gebe ich so leise von mir, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob der Mann es gehört hat.
„Kenne ich nicht.", zuckt er mit den Schultern, was mich geschockt zu ihm sehen lässt. „Deiner Reaktion nach zu urteilen, sollte ich es aber?", lächelt er entschuldigend.

Abwesend betrachte ich ihn. Er hat ein erstaunlich schönes unbeschwertes Lächeln. Ein Lächeln, bei dem seine goldschimmernden Augen mitlächeln. Seine pechschwarzen Haare sind leicht nach oben gegelt und manche Strähnen fallen ihm in die Stirn. Mich juckt es in den Fingerspitzen, sie ihm hinters Ohr zu streichen, doch natürlich halte ich mich zurück. Mein Blick wandert nach unten zu seinen weich aussehenden Lippen und ich frage mich unwillkürlich, ob sie sich wohl auch so anfühlen. Gerne würde ich mit meinen Fingern darüber streichen.
Ich ziehe meine Unterlippe zwischen meine Zähne und lasse meine Augen noch einmal über ihn streifen. Irgendwie sieht er aus, als wäre er gerade auf dem Weg zu einer Party. Gestylt. Mit Lidstrich, Lidschatten (So weit ich das durch das Wissen, das ich von Izzy bekommen habe, beurteilen kann.) und viel Glitzer geschminkt. Einzelne Glitzerpartikel in seinen Haaren.
Ich muss mir wohl eingestehen, dass ich ihn gutaussehend finde und ich denke nicht, dass es an der Schminke liegt oder daran, was er anhat – wobei ich der Meinung bin, dass ihm das weinrote offene Hemd sehr steht.

„Magnus?", holt mich eine weibliche Stimme aus meinen verbotenen Gedanken und ich merke, dass auch mein Gegenüber sich jedes Detail meines Aussehens eingeprägt hat. „Oh, was für einen hübschen Jungen hast du dir denn da angelächelt?", kommt eine Frau mit dunklen Haaren auf uns zu, wobei der Mann, dessen Namen ich durch die Entfernung nicht hören konnte, aufsteht. „Das ist ...", dreht er sich zu mir um und sieht mich abwartend an. „Alec.", gebe ich hastig von mir, als ich verstehe worauf er hinaus will. Normalerweise gebe ich nicht jedem einfach so meinen Namen, aber er scheint wirklich freundlich und ehrlich. „Alec. Er hat mir glücklicherweise sein Handy geborgt." Der hübsche Unbekannte schenkt mir ein Lächeln und dreht sich dann wieder zu der Frau um. „Ich hätte dich auch nach Hause bringen können.", kommt es plötzlich über meine Lippen und schockiert schlage ich mir die Hand vor den Mund.
Ich weiß doch überhaupt nicht, ob er nicht vielleicht woanders hinwill. Zu seiner Freundin? „Das hättest du früher anbringen sollen. Nächstes Mal.", zwinkert er mir zu, während er mir winkt und seiner Freundin (?) folgt.

Ich beschließe wieder zurück zu gehen. Die Situation war für mich sehr ungewöhnlich und ich habe das Gefühl, dass ich mich jetzt nicht mehr konzentrieren kann. Ich spreche sehr selten mit anderen Menschen außer meiner Familie und Jace. Jace und ich sind beste Freunde und haben uns im Kindergarten kennengelernt, bevor ich raugenommen wurde. Danach hat er mich fast täglich besucht, zumindest bis er seine Freundin Clary kennengelernt hat und für ein Studium weggezogen ist. Nicht sonderlich weit, aber weitgenug, um nicht schnell einmal zu uns fahren zu können. Zudem er auch noch lernen und Zeit mit seiner Freundin verbringen will, mit der er mittlerweile schon drei Jahre zusammen ist. Drei Jahre schon bin ich die meiste Zeit alleine und genieße die Ruhe.

„So schnell wieder zurück?", fragt mich meine Mutter verwirrt und lehnt sich auf der Couch zurück, um mich zu sehen. Ich lasse meinen Blick hinunter zu meiner schwarzen Armbanduhr wandern und kräusele die Stirn. „Es ist doch schon halb zwölf."
„Normalerweise kommst du später zurück. Ist etwas passiert?", klopft sie neben sich auf das Sofa und ich folge ihrer stillen Aufforderung. „Jemand wollte mein Handy ausborgen. Aber sonst alles wie immer.", lächle ich und lege meinen Kopf auf ihre Schulter. „Wer hat sich dein Handy ausborgen wollen? Hast du es demjenigen gegeben?", erkundigt sich meine Mom skeptisch, während sie über die vielen Sommersprossen auf meinem Gesicht streicht. Ich habe auch welche über meine Schultern leicht hinunter zu meinem Rücken und Armen verteilt. Krankheitsbedingt. „Ja, er hat es mir wieder zurückgegeben. Ich werde jetzt schlafen gehen. Hat Izzy noch einmal angerufen?", stehe ich langsam auf. „Nein, aber sie ist alt genug, Alec Schatz. Gute Nacht.",

Ich gehe die Treppe hinauf in mein großes Zimmer. Gerade aus ist ein großes rundes Fenster mit Polstern, in dem ich perfekt sitzen und lesen kann. Davor steht mein Bett. Links ein Kleiderschrank, ein großer Schreibtisch mit Laptop und eine Tür, die in ein angrenzendes Bad führt, das ich mir mit meiner Schwester teile. In der Ecke zwischen dem Schrank und dem Tisch ist ein Fernseher angebracht.
Rechts steht mein riesiges Bücherregal, das mit seinem dunklen Holz die ganze Wand ausfüllt. Links stehen die meisten Bücher, das sind alle, die ich bereits gelesen habe. Rechts stehen nur sehr wenige. Das sind die Bücher, die ich nicht gut fand oder mit Sicherheit kein weiteres Mal lesen will. Und ganz oben stehen die Bücher, die ich noch nicht gelesen habe und zu meinem Bedauern ist die Stelle meistens leer.

Ich verlasse mein Zimmer, um kurz in das Bad zu verschwinden und mir anschließend etwas zum Schlafen anzuziehen. Eine frische Boxershorts und ein lockeres T-Shirt. Ich lasse mich unter meine Bettdecke gleiten und sehe bei dem Fenster hinaus in den endlosen Sternenhimmel.
Mein Schlafrhythmus leidet ebenfalls unter meiner Krankheit. Ich gehe spät schlafen und stehe dementsprechend spät auf. Wobei ich immer darauf achte, dass es niemals später als zwölf Uhr mittags ist. Schließlich kann ich nicht tagsüber schlafen und nachts auf sein. Auch wenn ich das früher sehr gerne getan hätte. Meine Mutter musste einiges durchhalten mit mir.
Nachdem meine Eltern vom XP (Xeroderma pigmentosum) erfahren haben, ist mein Vater gegangen. Er wollte sein Leben nicht für mich aufgeben. Er hat meine Mutter mit meiner damals zweijährigen Schwester und mir alleine gelassen. Ich denke es war sehr schwer für sie, aber sie spricht nie darüber und ich kann sie verstehen.

Mondscheinkrankheit (german Malec ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt