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Alec


Seit ungefähr fünf Tagen kommt Magnus täglich zu uns, mittlerweile ist Samstag. Gerade liegt Magnus mit seinem Kopf auf meinem Schoß und liest in 'Stolz und Vorurteil', während ich ein neues Buch lese, das mir meine Mutter mitgebracht hat. Ich habe Magnus vor drei Tagen angeboten zum Lesen etwas Gemütlicheres anzuziehen, weswegen ich ihm eine Jogginghose herausgelegt habe. Er hat sie erst am nächsten Tag akzeptiert, aber jetzt liegt er in meiner Hose hier, was ich aus irgendeinem Grund unsagbar niedlich finde.
Zwischen Magnus und mir hat sich nicht viel verändert. Wir kuscheln und reden oder lesen. Meine Familie wird immer komischer und Izzy versichert mir dauernd, dass ich mit ihr über alles sprechen kann. Doch im Moment warte ich nur jeden Tag, bis Magnus wieder hier ist. Heute ist er schon früher gekommen, da ich keine 'Schule' hatte.
„Ich will nicht mehr.", jammert Magnus, was mich belustigt von meinem Buch aufsehen lässt. „Die paar Seiten wirst du wohl noch lesen können.", lächle ich. Mittlerweile ist glaube ich für uns beide klar, dass nachdem er das Buch beendet hat, wir nicht wieder getrennte Wege gehen werden. Es fällt mir Tag für Tag schwerer, ihn abends gehen zu lassen und auch beim Einschlafen fehlt mir sein warmer Körper.
„Die kann ich doch auch morgen lesen.", legt er das Buch auf die Seite, während ich ihn vorwurfsvoll ansehe. „Willst du denn gar nicht wissen, wie es ausgeht?", frage ich verwirrt, denn in den letzten Seiten konnte ich es nicht auf die Seite legen. Eigentlich konnte ich das noch bei keinem Buch.

„Lieber würde ich etwas anderes tun.", schiebt er mein Shirt ein Stück nach oben und liebkost meine Haut darunter mit seinen weichen Lippen. „Magnus.", seufze ich leise, während auch ich mein Buch auf die Seite lege und meine Augen schließe. Ich lege mich neben ihn und Magnus rutscht nahe an mich heran, um mir einen Eskimokuss zu geben. Ich liebe diese Geste, in der so viel Gefühl steckt, auch wenn ich langsam die Geduld für einen echten Kuss verliere.
Seine Hand fährt unter mein Shirt und streicht mit seinem Daumen über meine hitzige Haut. Genüsslich seufze ich, als sich plötzlich ein Gedanke aufdrängt und ich weiß, er ist wichtig.
Magnus nähert sich mir immer mehr, bis sich unsere Lippen leicht streifen und ich Magnus' Atem spüre. Gerade als er sie zu einem sanften Kuss verbinden will, öffne ich meinen Mund, um etwas zu sagen. „Warte.", wispere ich gegen seine Lippen, was ihn verwirrt die Augen öffnen lässt. „Wir können noch warten, wenn du willst.", wirft er sofort ein, doch ich schüttele schnell den Kopf. „Nein, das ist es nicht. Ich hätte dich gerne schon vor einer Woche geküsst.", lächle ich verlegen, werde aber schnell wieder ernst.

„Ich muss dir etwas sagen.", beichte ich ihm, während er mir interessiert zuhört. „Du bist ein Vampir?", fragt mich Magnus lächelnd. Ich sehe ihn verwirrt an. „Wie kommst du darauf?"
„Ich habe dich noch nie Draußen gesehen und du hast diese Schutzfolien überall kleben. Ich denke nicht, dass du die wegen der Kopfschmerzen halber hast.", überlegt er. „Nein, ich bin kein Vampir.", lache ich leicht und streiche Magnus eine Haarsträhne aus der Stirn. „Ich bin ein Mondscheinkind, Magnus.", gebe ich schließlich gedankenverloren von mir. Jetzt ist Magnus derjenige, der mich verwirrt ansieht. „Ich leide unter der seltenen Mondscheinkrankheit, Xeroderma pigmentosum. Ich darf keinem UV-Licht ausgesetzt werden, wie der Sonne. Ich darf nicht raus. Ich muss monatlich zu einer Kontrolluntersuchung. Ich habe eine kürzere Lebenserwartung als gewöhnlich und eine viel höheres Risiko an Hautkrebs zu erkranken. Du musst nichts sagen. Wenn du jetzt gehen willst, werde ich dich nicht aufhalten.", murmele ich traurig und wende meinen Blick von ihm ab. Ich würde verstehen, wenn er jetzt gehen würde. Es ist schwer mit mir zu leben.

Als ich meinen Blick wieder Magnus zuwende, sehe ich seine glasigen Augen. Augenblicklich schließe ich ihn in meine Arme. „Du musst nicht weinen. Alles ist ok.", drücke ich seinen Kopf gegen meine Brust. „Es ist nicht alles ok.", flüstert er erschöpft, während er versucht, seine Tränen zurückzuhalten. „Warum denkst du, ich würde jetzt gehen?", sieht er aus traurigen Augen zu mir auf, während ich ihm über die Wange streiche. „Mein Vater ist auch gegangen und ich kann es ihm nicht unbedingt übel nehmen. Ich will nicht, dass jemand sein Leben für mich aufgibt. Dass du dein Leben für mich aufgibst. Du solltest dein Leben in vollen Zügen genießen, ohne mit mir hier eingesperrt zu sein.", erkläre ich liebevoll, während Magnus seinen Kopf schüttelt. „Was bringt mir ein vollkommenes Leben, wenn du nicht bei mir bist?", fragt er leicht lächelnd unter einem Tränenschleier. „Entscheide dich, aber dann bleibe dabei.", bitte ich ihn. Er lehnt sich nach vorne und schließt seine Augen, bevor ich seine Lippen auf meinen spüre. Zögerlich und überrascht bewege ich meine Lippen gegen seine und seufze leicht in den Kuss. Diesen Wunsch verspürte ich bereits bei einem unserer ersten Treffen, auch wenn ich es mir da niemals eingestanden hätte.

Doch jetzt spüre ich seine weichen Lippen an meinen, wie sie sich sanft und mit so viel Gefühl gegen meine bewegen. Ich lege meine Hände an seine Wangen und verstärke den Kuss noch einmal, bevor wir atemlos voneinander ablassen. Wir lassen unsere Augen geschlossen, während wir Stirn an Stirn nebeneinander liegen und nach Luft ringen. „Natürlich entscheide ich mich für dich, Alexander. Du Idiot.", lächelt er leicht und legt noch einmal kurz seine Lippen auf meine, bevor er sich dicht an mich drückt und seine Arme um mich schlingt. „Aber wir werden am Tag niemals rausgehen können. Du musst den Einkauf übernehmen, wenn wir ...", will ich lächelnd von mir geben, breche aber ab. Das ist zu früh. „Wenn wir zusammen leben?", fragt er, während ich verlegen nicke. „Wenn du für mich kochst, gerne.", streicht er über meine Wange. „Aber wir können zum Beispiel essen gehen abends, oder?", sieht er mich hoffnungsvoll an, was mich lächelnd nicken lässt.
„Abends und nachts können wir alles machen, was du willst.", hauche ich ihm einen Kuss an die Wange und knie mich über seine Hüfte, während ich meine Hände unter seinen Rücken lege.

„Warum?", fragt Magnus nach einer Weile. Ich sehe ihn wieder verwirrt an. „Warum du?"
„Ahm, also wenn beide Elternteile einen Fehler in einem bestimmtem Chromosom haben und die dann ein Kind bekommen, kann-"
„Was?", unterbricht mich Magnus verwirrt, was mich lachen lässt. „XP wird vererbt, aber nicht jede Generation muss es haben.", erkläre ich noch einmal. „Die UV-Strahlung, der schädliche Anteil des Sonnenlichts, führt zu DNA-Schäden in der Haut und XP-Patienten können das nicht reparieren. Bei unvollständiger oder fehlerhafter Reparatur entstehen mutierte Zellen und bestimmte mutierte Zellen können sich auch vermehren, was schlussendlich zu Hautkrebs führt."
„Warum hat Isabelle es nicht?"
„Wie ich vorher erklären wollte, als du mich verwirrt unterbrochen hast. Ich werde jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, aber ... es gibt einen Fehler in einem bestimmtem Chromosom, aber dieses Chromosom muss nicht weitergegeben werden. Ich habe beide fehlerhaften Chromosomen geerbt, während Izzy vielleicht nur eines oder keines bekommen hat. Die Krankheit bricht nur aus, wenn man beide erbt.", versuche ich vereinfacht zu erklären. „Und deine Eltern ...?"
„Haben beide eines.", erwidere ich und sehe Magnus lächelnd dabei zu, wie er versucht zu verstehen. „Ok.", antwortet er langgezogen, während er seine Arme um meinen Nacken legt. „Es gibt auch verschiedene Typen der Mondscheinkrankheit, aber ich denke, dass ich dich für heute genug überfordert habe?", lächle ich und streiche gedankenverloren über seine feuchte Wange. „Nein, ich will es wissen. Es ist ein Teil deines Lebens.", versichert er mir erschöpft, während ich nicke. „Es gibt Typ-A bis Typ-G und dann gibt es noch einen weiteren, Typ-V. Letzteres ist Variante, das heißt, die Krankheit bricht erst nach dem zwanzigsten Lebensjahr aus. Alle anderen schon im Kleinkindalter, beziehungsweise vor dem zwanzigsten Lebensjahr. Die Typen unterscheiden sich in Erkrankungsalter, Häufigkeit, Schwere der Erkrankung und Art der Tumore sowie dem Ort des Gen-Defekts. Patienten der Typen A, B, F und G leiden außerdem häufig an neurologischen Störungen. Ich bin von Typ-B betroffen, im zweiten Chromosom, sehr hohe Lichtempfindlichkeit."

Gerade als Magnus etwas sagen will, klopft es an der Tür. „Bleib-"
„Ja.", unterbreche ich meine Schwester, die wie jeden Tag fragen will, ob Magnus zum Essen bleibt. „Gehen wir?", frage ich schließlich, bevor ich ihm einen zärtlichen Kuss auf den Mundwinkel drücke. „Sollen wir damit jetzt einfach leben? Kann man nichts dagegen tun?", sieht mich der Mann unter mir verzweifelt an, während ich den Kopf schüttele. „Nein, noch nicht. Aber wenn ich es nicht riskiere in die Sonne zu gehen und immer brav zu den Kontrolluntersuchungen gehe, steigt meine Lebenserwartung.", erwidere ich schwerfällig. „Steigt? Zu?", fragt Magnus hoffnungsvoll, während ich mit den Schultern zucke. „Es gibt Menschen mit XP, die sind siebzig Jahre alt geworden. Normalerweise liegt sie bei dreißig."
„Nur?", haucht mein Freund traurig.
Mein Freund? Ist er das?

Mondscheinkrankheit (german Malec ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt