3. Dezember

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Mit aufgerissenen Augen starre ich auf Niko, welcher ganz selbstverständlich Walter Paul begrüßt und seinen Mantel auszieht, um ihn an die Garderobe zu hängen. Mein ganzer Körper fühlt sich an, als würde ich außerhalb von ihm stehen, als wäre es nicht mein eigener und die Worte, welche meine Mutter gerade gesprochen hat, hallen in meinem Kopf hin und her. Ich stehe auf, doch die Hand meine Mutter umklammert meinen Arm, sodass ich nicht weglaufen könnte, was ich eigentlich am liebsten tun würde.

Zwei Jahre lang habe ich mich erfolgreich vor ihm verstecken können, alles verdrängt, was mit ihm zu tun hatte und jetzt steht er einfach so vor mir. Als wäre nichts passiert. Seine schwarzen Haare fallen ihm fransig ins Gesicht und den dunkelblauen Pullover mit den Rentieren darauf, haben wir sogar zusammen gekauft.

„Hey Callie."

Seine Stimme reißt mich aus meiner Schockstarre und ich muss kurz schlucken bevor ich ihm mit gepresster Stimme antworten kann. „Hi."

Seine schmalen, dunklen Augen mustern mich und ich würde mich am liebsten wegdrehen, weil ich es nicht aushalten kann ihn zu sehen. „Du siehst gut aus."

Ich nicke leicht und verstecke meine zitternden Hände in den Jackentaschen des Mantels, welchen ich noch nicht ausgezogen habe. Wäre ich doch einfach nur Zuhause geblieben, dann wäre das alles bestimmt nicht geschehen.

Die Hände meiner Mutter legen sich auf meine Schultern und während sie Niko begrüßt drückt sie mich energisch zurück auf den Stuhl. „Schön, dass du da bist, Niko. Es freut uns alle sehr, dass du dich freiwillig gemeldet hast, mit Callie gemeinsam die Kür für die Spendengala zu machen. Ihr werdet bestimmt bald anfangen wollen zu trainieren."

Kür? Das kann nicht wirklich ihr ernst sein. Meine Augen switchen zu Tante Gab, welche mich mitleidsvoll ansieht. „Ich wollte es ihr ausreden", formen ihre Lippen lautlos, während ich meine aufeinanderpresse.

Darum also wollte meine Mutter unbedingt, dass ich Weihnachten bei ihnen verbringe. Nicht, weil sie mich so vermisst hat, sondern weil sie mich ausnutzen will. Genau wie sie es früher auch schon getan hat. Noch immer liegen ihre Hände auf meinen Schultern, während sie ihrem Komitee irgendetwas erzählt, was ich zwar höre, aber nicht wirklich aufnehmen kann. Und Niko steht neben mir, ich spüre seine Nähe und doch will ich ihn nicht da haben.

"-und da ja jetzt alles geklärt ist, können wir auch bestellen", beendet sie ihre Rede und winkt Walter heran, der sofort damit beginnt die Bestellungen der Damen aufzunehmen.

„Ich, ähm", kurz muss ich mich räuspern, da meine Stimme sehr kratzig klingt, „ich nehme ein Wasser und ähm-"

„Sie nimmt außerdem auch noch einen Salat, aber bitte nicht mit dem Joghurtdressing und natürlich ohne die Nüsse, sie muss ab jetzt nämlich auf ihre Figur achten", unterbricht mich meine Mutter und obwohl ich ihr am liebsten meine Meinung vor dem ganzen Komitee sagen würde, lasse ich es. Später wird auch noch Zeit dafür sein.

Walter sieht mich an und zieht leicht die Augenbrauen nach oben, sodass auf seiner Stirn leichte Fältchen entstehen. Den Blick kenne ich noch von der Zeit, als ich hier gearbeitet habe und ich ihm davon erzählte, wie sehr meine Mutter mir doch alles vorschreiben würde und wie froh ich darüber wäre, dass ich mich auf der Arbeit entspannen könnte, obwohl das Kellnern streng genommen, absolut nicht entspannend war. Ich nicke leicht, um die Bestellung meiner Mutter zu bestätigen und versuche mich an einem Lächeln, damit er sich nicht allzu viele Sorgen um mich macht.

„In Ordnung", nickt Walter und tippt die Bestellung ein. „Und was kann ich dir bringen Niko?"

„Ich nehme das Hühnchen mit dem gemischten Gemüse, bitte. Und ich werde mir mal einen Platz zwischen den Damen da vorne suchen." Seine schweren Stiefel entfernen sich von meinem Stuhl und ich atme erleichtert auf.

Crystal Christmas - Adventskalender 2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt